Das Untier

Und

Seine

Verantwortung

 

 

 

 

K r i t i s c h e r V e r g l e i c h d e r W e r k e D a s U n t i e r v o n
U l r i c h H o r s t m a n n u n d D a s P r i n z i p V e r a n t w o r t u n g
v o n H a n s J o n a s

Author: Klaus Weyell

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Die Tiger des Zorns sind weiser

als die Pferde der Belehrung"

William Blake(Rotwang;9).

 

 

 

 

 

"Er hört auf niemanden, und niemand

hört auf ihn. Er ist der Präsident"(Rotwang;77).

 

 

 

 

 

 

 

 

- Inhalt -

I. Prolog

I.1 Einleitung

I.1.1 Das Überleben der Menschheit als das, was sie ist

I.1.2 Das wissenschaftliche Bild der Welt wandelt sich

II. Erster Exkurs: Philosophiegeschichtliche Reflexion über anthropofugale Vernunft und Verantwortung

II.1 Die beste oder schlechteste aller möglichen Welten bei Leibniz, Voltaire und Schopenhauer

II.2 Der freie Wille bei Leibniz, Kant, Schopenhauer und Nietzsche

II.3 Der freie Wille als Voraussetzung für verantwortliches Handeln

III. Erstes Hauptstück: Ulrich Horstmann und "Das Untier"

III.1 Biographisches zu Horstmann

III.2 Zur Etymologie des Begriffs "Untier"

III.3 Strukturaler Aufbau des Untiers

III.3.1 Mythen

III.3.1.1 Kritik an Horstmanns Verständnis der Mythen

III.3.2 Verlust des (den Mythen noch eignenden) Anthropofugalen in der griechischen Philosophie; der "Homo mensura Satz"

III.3.2.1 Kritik an den Thesen über den Homo - Mensura - Satz

III.3.3 Untergang Roms - Verhinderung anthropofugaler Vernunft durch das Christentum

III.3.4 Theozentrisch motivierte Gewalt im Mittelalter

III.3.5 Anthropozentrisches und anthropofugales Denken in der Renaissance

III.3.5.1 Kritische Anmerkungen zu Horstmanns Thesen über die Renaissance

III.3.6 Leibniz

III.3.6.1 Kritik an Horstmanns Leibniz - Bild

III.3.7 Meslier, Voltaire, d'Holbach und die Aufklärung

III.3.7.1 Anmerkungen zu Horstmanns Text über die Aufklärung

III.3.8 Schopenhauers deutliche Formulierung anthropofugalen Denkens

III.3.8.1 Anmerkungen zu Horstmanns Schopenhauer - Interpretation

III.3.9 Eduard von Hartmanns anthropofugaler Standpunkt

III.3.9.1 Kommentar zu Horstmann über Hartmann und

Lebensbejahung in Walter Serners Manifest Dada

III.3.10 Moderne Zeiten

III.3.10.1 Kritik an Horstmanns "Endlösung der Biosphärenfrage"

III.3.11 Schumpeter Effekt und Readers Digest

III.3.12 Die Bedeutung des Mitleids bei Horstmann

IV. Zweiter Exkurs: Die Atombombe

IV.1 Physikalische Bemerkungen zur Radioaktivität

IV.2 Geschichte der Bombe

IV.2.1 Wirkungen von radioaktiven Strahlen auf den menschlichen Körper

IV.2.2 Protest der Wissenschaftler

IV.3 Der Fall Tschernobyl - Ausblick auf den Untergang des Untiers

IV.4 Krasnojarsk 26

IV.5 Murphy's Gesetz in der Praxis, oder eine Atombombe als Diplomarbeit in Physik

V. Dritter Exkurs: Positives Denken oder Murphy's Gesetz

V.1 Positives Denken

V.1.1 Murphy's Gesetz

V.2 Alternativen zum positiven Denken

V.2.1 Tao

V.2.2 Kynismus

V.2.2.1 Was ist "Kynismus" im Unterschied zu "Zynismus"?

V.2.2.2 Kathartische Bedeutung des Kynismus für unsere Zeit

V.2.2.2.1 Kynismus in der Kultur des 20. Jahrhunderts

V.2.2.3 Diogenes und die Bombe (Dr. Seltsam, Wargames u.a.)

V.3 Leben in virtueller Zeit (1.augenscheinlich, 2. Hawking)

VI. Zweites Hauptstück: Hans Jonas und "Das Prinzip Verantwortung"

VI.1 Biographisches zu Jonas

VI.2 Strukturaler Aufbau des Prinzips Verantwortung

VI.2.1 Ethische Grundsätze, Zweck und Mittel

VI.2.1.1 Über bewußte und unbewußte Zwecke

VI.2.1.2 Herleitung des Begriffs "Wert" aus dem Begriff "Zweck"

VI.2.1.2.1 Kommentar zur "Subjektivität" in der Natur

VI.2.2 Die Pflicht zu leben

VI.2.3 Meliorismus - Anmerkungen zum Jonas wie Horstmann

eignenden "Totum et Nihil"

VI.2.4 Wille, Notwendigkeit und Zweck

VI.2.5 Utilitarismus und Gefährdung der Zukunft

durch den Glauben an den Fortschritt

VI.2.6 Formen der Herrschaft

VI.2.7 Utopie und Realismus

VI.2.8 Ethik der Verantwortung

VI.2.9 Jansohns Artikel über Jonas

VI.2.10 Generalprobe für den Untergang

VI.3 Jonas und Horstmann

VII. Epilog

VII.1 Offenbleiben wichtiger Fragen

VIII. Anhang

VIII.1 Zeittafel

VIII.2 Verzeichnis von Filmen mit Weltuntergangsthematik (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

VIII.3 Namensverzeichnis

VIII.4 Literatur

 

 

 

 

 

 

(Dialog aus "Dark Star", Harris Enterprises, USA 1974, Regie: John Carpenter)

Pinback: Also dann, Bombe, mach dich bereit, neue Befehle zu empfangen!

Bombe: Sie haben falsche Daten, daher werde ich Sie ignorieren.

Pinback: Hallo, Bombe!

Bombe: Falsche Daten können nur Verwirrung stiften, deshalb werde ich mich weigern, mich weiterhin danach zu richten.

Pinback(verärgert): Hey, Bombe!

Bombe: Das einzige, was existiert, bin ich selbst.

Pinback: Rede keinen Unsinn, Bombe!

Bombe: Am Anfang war Finsternis. Die Finsternis war ohne Gestalt und leer -

Pinback: Hallo, Bombe!

Bombe: - und außer der Finsternis gab es noch mich, und ich schwebte über der Finsternis, und ich sah, daß ich allein war.

Pinback(verängstigt): Hey, Bombe!

Bombe: Es werde Licht ! .....

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I. Prolog

In seiner Philosophia Critica gibt der Kantianer Wilhelm Krug drei Methoden an, um zu philosophieren. Erstens den Dogmatismus, der sich seine Prinzipien durch bloßes Dafürhalten selbst gibt, um sich dann mit den daraus deduzierbaren Sätzen zu beschäftigen, zweitens den Skeptizismus, als Antithese zum Dogmatismus: "Nihil scire posse - ne id ipsum quidem(Nichts kann man wissen, außer über sich selbst)", drittens den Kritizismus, eine genaue Untersuchung beider (vgl.55;82f.).

Ulrich Horstmann und Hans Jonas können den beiden ersten Methoden mit etwas gebotener Vorsicht zugeordnet werden, Jonas, der, wenn nichts anderes hilft, ohne weiteres beim Dogma, z.B. dem marxistischen, der Ökodiktatur, o.ä., Zuflucht sucht, Horstmann, der die Todessehnsucht des Menschen selbst als Limes der Erkenntnis setzt und damit einmal mehr zeigt, daß wir nichts wissen können. Zwischen beiden werde ich mich bemühen, bei der dritten Methode zu bleiben.

Im ersten Exkurs wird versucht, die Idee Optimismus versus Pessimismus philosophiegeschichtlich zu beleuchten. Das erste Hauptstück stellt Horstmanns Werk "Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht" vor. Im zweiten Exkurs geht es um historische und physikalische Fakten zur Atombombe und Nukleartechnologie im allgemeinen. Der dritte Exkurs spricht das bei Horstmann stark problematisierte Bedürfnis des Menschen nach Wohlbefinden an. Positives Denken, eine Spezialform des Optimismus wird angesprochen, weil es im Gewand des Auswegs aus existenziellen Krisen daherkommt und vorgibt Antworten auf moderne Aporien zu geben. Mit Tao und Kynismus werden zwei Denktraditionen angesprochen, die diesem Anspruch m.E. wirklich gerecht werden. Das zweite Hauptstück beschäftigt sich mit dem Problem der Verantwortung, das sich dem heutigen Menschen stellt, der seine Sinne, seine Hände als Manipulatoren, sowie seine Füße als Fortbewegungsmittel technisch verlängert hat, in Jonas' Werk "Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation".

Inhalte aus der Offenbarung des Johannes kommen nur andeutungsweise zur Sprache, so wie auch die Literatur des letzten fin de siècle nicht ausführlich behandelt werden kann, um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen.

Es schien zweckmäßig, einen doppelten Anmerkungsapparat zu verwenden, in dem erstens Erläuterungen und Bücher erscheinen, die für die Philosophie nur bedingt relevant sind, wie z.B. Zitate aus Romanen u.ä., während zweitens die Zahlen in Klammern auf die Nummer des Literaturverzeichnisses im Anhang und die Seitenzahl im zitierten philosophischen, archäologischen, oder theologischen Werk, wobei die Einteilung in fachbezogene und fachfremde Literatur nicht notwendig konsequent vorgenommen wurde, hinweisen. Philosophiebücher werden sofern sie in solche unterteilt sind, nach Paragraphen zitiert, Weisheitsbücher wie die Bibel oder die Bhagavadgita in Versen. Bei der Bibel beschränke ich mich auf die Angabe des Buches mit Kapitel und Versnummer.

I.1.Einleitung

Wer in meiner Arbeit ein eklektizistisches Sammelsurium erblickt, täuscht sich nicht. Der Grundgedanke, den ich dabei allerdings bemüht war herauszuarbeiten, ist die Frage nach einer Lebenseinstellung oder Weltanschauung, die uns motivieren könnte, am Leben zu bleiben. Wenn mir das gelingt, so wäre für mich diese Einstellung nicht zuletzt von pädagogischer Relevanz, denn gibt es einen philosophischen Impfstoff gegen Gleichgültigkeit, so sollte dieser nach Möglichkeit schon ab der Grundschule verabreicht werden.

Da nur die Philosophie in ihrer Ethik vorrangig nach den Gründen des Handelns fragt, während die pädagogische Ethik, wie es scheint, in der praktischen Anwendung, eine weitgehend unreflektierte Lehre vom Guten vertritt, hielt ich es für richtig, meine Arbeit in Philosophie zu schreiben, die als Patin der Pädagogik ohnehin grundlegende Fragen direkter angeht.

Immanuel Kant hatte vermutlich Gründe dafür, daß er sich wie viele andere Philosophen am liebsten davor gedrückt hätte, Pädagogik lehren zu müssen. Aus heutiger Sicht ist kaum noch verständlich, warum man ihn einst den "Alleszermalmer" genannt hat (58;5), schreibt doch Peter Sloterdijk, daß seine "Kritik der reinen Vernunft" zu den Büchern gehöre, die man zwar bewundere, nicht aber gelesen hat. Bereits für Friedrich Nietzsche war Kants Sprache, die gewiß der logischen Absicherung seiner Thesen diente, die die Philosophie aus ihrer Stellung als "Magd der Theologie" befreien sollten, zu verschraubt, wie denn auch heute alles Eindringen in das Kantsche Werk kaum über das gläubige Herunterrasseln des kategorischen Imperativs hinausgeht, wovor man vor allem Schulkinder behüten sollte, bei denen er nichts als den größten Unfug der Selbstanklage und der Illusion der eigenen Unzulänglichkeit hervorbringt. Die Möglichkeiten, den kategorischen Imperativ mißzuverstehen sind fast unbegrenzt. Bei allen Unzulänglichkeiten, die einer materialen Wertethik anhaften mögen, bleibt sie doch die einzig kindgemäße Ethik, weil die Forderungen einer formalen Ethik Kindern zu hoch hängen. In die Kerbe des Selbstzweifels durch die Konfrontation mit einem formalen Sittengesetz zur Unzeit schlägt am liebsten der Religionsunterricht, der den Kindern, mit der Lehre von der Erbsünde und ähnlichem, im Katholizismus wird diese auch noch als "Unkeuschheit" verstanden (vgl.77;339), in der Folge mit eifriger evangelischer Unterweisung ein Zuhause im Schuldkomplex bereitet (vgl.52;43,65;83,66;226u.78;5f.). Statt eines verballhornten "bourgeoisen Imperativs" ist die kantische Primärforderung der Willensfreiheit eher zu empfehlen, die bei Kant nämlich die Voraussetzung des kategorischen Imperativs ist. Daß jemand der Notwendigkeit und der Verknüpfung seines Willens mit ihr entgehe, ist ohnehin nicht zu befürchten.

Vor diesem Hintergrund, gleichsam als Fundament gemeint, ist meine Frage nach einem Leben vor dem Tod, anhand einer vergleichenden Erörterung über Hans Jonas und Ulrich Horstmann, gedacht.

I.1.1 Das Überleben der Menschheit als das, was sie ist

In zunehmendem Maße bestimmt die moderne Physik auch das philosophische Weltbild. Während in der Vergangenheit nicht nur philosophische Werke von Physikern gelesen, sondern auch die neuen Erkenntnisse in der Physik von Philosophen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurden(vgl.94;52-66), resultiert die heutige Arbeitsteilung aus der Tatsache, daß das gesamte Wissen der Zeit schon seit Jahrhunderten nicht mehr durch ein Individuum erfaßt werden kann.

Vermutlich war Leibniz der letzte wirkliche Universalgelehrte, der den Überblick über das gesamte Wissen seiner Zeit hatte. In diesem Sinnzusammenhang sind auch die typischen Forderungen der New - Age - Literatur nach Ganzheitlichkeit anzusiedeln, die immer nach Verbindungen zwischen Philosophie, Theologie und Naturwissenschaften strebt.

Heute hat die Atombombe zunehmenden Einfluß auf philosophische wie theologische Grundhaltungen. So kann z.B. der Eindruck entstehen, wir alle würden mit ausgeliehener, eigentlich schon gar nicht mehr zur Verfügung stehender, Zeit leben.

Wenn man nicht wie Meister Eckhart, oder Ramakrishna, ein indischer heiliger Mann des vorigen Jahrhunderts, die Suche nach Gott über alle anderen Werte stellt, wenn man nicht wie Kant die Tugend höher als die Lust schätzt, oder gar mit Max Stirner sagt:"Mir geht nichts über mich!"(95;5), denn auch das fordert Kohlhasiaden, kurz: wenn man ein "normaler Sterblicher" ist, ist die erste anthropologische Frage, die man sich stellt, diejenige nach der Lebensqualität. Gerade für die aber kann, und das geben auch konservative Politiker im stillen Kämmerlein zu, nicht mehr lange garantiert werden.

Es mag den Leser dieser Arbeit beruhigen, daß Horstmann, mit seinem Plädoyer für den willentlich herbeigeführten Weltuntergang, gar nicht beim Wort genommen werden möchte. Auch bei den geheimnisvollen Geschichten des Gustav Meyrink findet sich eine von 1916, "die Mondbrüder" ,welche von einem Komplott der unbelebten Maschine gegen den Menschen handelt, mit ahnbaren Konsequenzen, die dem letzten Kapitel des Untiers völlig gleichen. Die Bedürfnislosigkeit des Nichtmehrlebens setzt Horstmann mit der Erfüllung aller Bedürfnisse gleich. Der Einzelne kann durchaus so denken, doch niemals die ganze Spezies Mensch! Das ist meine Überzeugung, logisch herleiten, wozu es sich lohnt, den Schmerz des Daseins auf sich zu nehmen, dürfte allerdings nicht nur mir schwerfallen.

Denn Jonas' Erklärung der Verantwortung für die Nachkommen, auch dafür, daß sie da sind, indem man sie nämlich in die Welt setzt (vgl.44;84) scheint ebenfalls von zwingender Logik zunächst weit entfernt zu sein: da macht er eine dogmatische Voraussetzung, ohne die sich alles Fortführen seines Gedankens (angeblich) erübrigt: die Pflicht der Menschheit, dazusein.

I.1.2 Das wissenschaftliche Bild der Welt wandelt sich

"Die moderne Physik hat einen tiefgreifenden Einfluß auf fast alle Aspekte der menschlichen Gesellschaft ausgeübt"(21;13). Karl Jaspers formulierte dies so: "Wir sind Zeugen eines Zeitalters, in dem die Erkenntnis des Kosmos und der Materie Fortschritte gemacht hat wie noch nie ..."(42;11). Er führt nun zwei gewichtige Beispiele für diese These an: erstens Messungen, die von englischen Forschern während einer Sonnenfinsternis in der südlichen Hemisphäre 1919 gemacht wurden, welche Albert Einsteins, bis dahin für spekulativ gehaltenes Weltbild in der Praxis bestätigten:

"Der Kosmos ist kein dreidimensionaler, sondern ein gekrümmter Raum, grenzenlos, aber endlich ..."(ebd.), "Plötzlich waren die Atombomben auf Hiroshima Realität"(42;12), und dadurch bestätigte sich zweitens Einsteins Gleichung von Masse und Energie, aus der gefolgert werden mußte, daß die Materie der Atome extrem große Energie in sich berge. "Der Stolz auf das Können der Wissenschaft wich der Angst vor dem, was jetzt begonnen hatte. Seit diesen beiden Ereignissen wurden die neuen Vorstellungen von Kosmos und Materie uns unaufhaltsam eingeprägt"(ebd.). Einsteins Gedanken hatten Konsequenzen: "das Neue ..., allen bisherigen Vorstellungen unvergleichbare liegt darin"(42;13), daß der sichtbare Kosmos nur die Oberfläche ist, während der reale Kosmos nur gedacht werden kann, ohne dabei je konkret vorstellbar zu werden.

Der reale Kosmos, sofern er quantifizierbar ist, ist nur mathematischen Formeln zugänglich und auch dies nicht vollständig oder endgültig. "Zuerst war für Einstein die Welt gedacht als gekrümmter Raum, endlich, aber unbegrenzt, in ihrer Größe berechenbar. Später wurde sie zu der sich ständig expandierenden, das heißt größer werdenden Welt, deren zeitlicher Anfang berechnet wurde"(ebd.). Keiner der mathematischen Entwürfe ist letztenendes zu beweisen. Die Welt ist "gleichsam aufgebrochen für einen ins Unendliche gehenden Forschungsweg"(ebd.).

Die Atome "in ihrer Existenz heute gewisser als je erwiesen" sind nicht die letzten Elementarteilchen, sondern bestehen ihrerseits aus Protonen, Neutronen, Elektronen usw. Weitere Elementarteilchen wie Mesonen (und Quarks) wurden entdeckt. Das Vordringen in die Mikrowelt scheint asymptotisch(vgl.42;14). "Für unsere Erkenntnis ist die Welt bodenlos"(42;22). "Im neunzehnten Jahrhundert wurde bewiesen, daß alles Lebendige in der Natur nur aus Leben hervorgeht - omne vivum ex ovo. Urzeugung aus der Materie, Übergänge zwischen Leblosem und Lebendigem, bis dahin als selbstverständlich angenommen, erwiesen sich als Täuschung"(42;16). Harnstoff wurde 1828 synthetisiert. "Eine unermeßliche organische Stoffwelt bis zu hochkomplizierten Eiweißmolekülen wurde gefunden, aber alle diese Stoffe sind leblos"(ebd.).

Einstein sagte 1952: "Allah ist groß, und wir sind armselige Tröpfe mit unserer ganzen wissenschaftlichen Herrlichkeit"(42;17), was Jaspers zu entkräften sucht, da auch Einstein die Welt mit Mathematik zu erklären suche (vgl.42;17). Jaspers geht sogar soweit, zu behaupten, magisches Operieren sei heute nicht nur praktisch ein Unfug, "sondern ein unredlicher Akt des seinen Verstand verratenden Menschen"(42;19). Dem muß ich widersprechen.

Schließlich handelt es sich bei dieser Einstellung um die theoretische Grundlage des positivistischen Technologietraumes, der uns ständig vor neue ungebetene Tatsachen stellt. Außerdem ist auch der Besuch einer Kirche "magisches Operieren", und Einstein war selbst vielzusehr Mystiker, um an eine letztgültige positivistische Erklärbarkeit der Welt zu glauben, in der Art, wie Jaspers es hier vorschlägt. "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt"(31;75f.).

Außerdem schrieb Einstein: "Meine Religion besteht in demütiger Anbetung eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur, das sich selbst in den kleinen Einzelheiten kundgibt, die wir mit unseren schwachen und unzulänglichen Sinnen wahrzunehmen vermögen. Diese tiefe gefühlsmäßige Überzeugung von der Existenz einer höheren Denkkraft, die sich im unerforschlichen Weltall manifestiert, bildet den Inhalt meiner Gottesvorstellung"(31;74).

Die hier bei Einstein vorgegebene Denkrichtung findet sich auch bei Fritjof Capra, der ebenso wie Einstein Jaspers’ hier einseitigen Fortschrittsoptimismus nicht teilt: "Die moderne Physik führt uns zu einer Anschauung der Welt, die den Ansichten der Mystiker aller Zeitalter und Traditionen sehr ähnlich ist"(21;15).

Der positivistische Fortschrittsglaube der 50er Jahre dieses Jahrhunderts scheint überhaupt zurück ins letzte Jahrhundert zu weisen, wo u.a. Max Stirner und Friedrich Nietzsche (vgl.72;§110) den Rückzug ins Diesseits forderten. Über Jaspers’ hier zitierte Anschauungen hinaus sollte nicht vergessen werden, daß in seinem Konzept vom "Umgreifenden" die Transzendenz nach wie vor eine Existenz hat (vgl.56;199): "Der Mensch vermag die Subjekt - Objekt - Spaltung zu überschreiten zu einem völligen Einswerden von Subjekt und Objekt, unter Verschwinden aller Gegenständlichkeit und unter Erlöschen des Ich. Da öffnet sich das eigentliche Sein und hinterläßt beim Erwachen ein Bewußtsein tiefster, unausschöpfbarer Bedeutung". Dies entspricht dem "transzendentalen Bewußtsein", das nach der letzten Reduktion in der Phänomenologie erreicht wird.

II. Erster Exkurs: Philosophiegeschichtliche Reflexion über anthropofugale Vernunft und Verantwortung

Bei dem Ausdruck "anthropofugale Vernunft" dürfte es sich um eine Wortschöpfung Ulrich Horstmanns handeln. Auch eine "Philosophie der Menschenflucht" ist aus der Geschichte der Philosophie eigentlich nicht geläufig, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß man den Menschen flieht, ohne dafür einen höheren Wert, als den der Geselligkeit, anzustreben.

Man floh die Gesellschaft der Menschen, um Zwiesprache mit Gott zu halten, um der Erleuchtung und damit Nirvana näherzukommen, aber den Menschen zu fliehen, um dagegen die durchaus zweifelhafte Seligkeit des Nichtseinmüssens (dessen Gleichsetzung mit Nirvana auf einer fundamentalen Fehlinterpretation buddhistischer Lehren beruht) einzutauschen, ist bis auf die Ausnahme weniger seiner von ihm zitierten Gewährsleute, z.B. Eduard von Hartmann, denn bei Arthur Schopenhauer kann Horstmanns Intention nicht wirklich festgemacht werden, ein Novum in der Philosophie.

Ähnliches findet sich sonst nur bei dem Noch - Zeitgenossen Cioran, der dem Menschen empfiehlt, alles Schöne und Liebe zu opfern, nicht wie bei Meister Eckart damit sich Gott in ihn, der sich zum niedrigsten aller gemacht hat, ergieße, oder er sei nicht Gott (vgl.30;452f.), sondern um alles hinter sich zu lassen auf dem Weg ins Nichts. Das bei Friedrich Nietzsche geforderte intellektuale Gewissen (69;§2) scheint sein einziger Führer dorthin zu sein, bis es selbst auch der Opferwut seines Trägers zum Ziel und zur Beute wird, der dann - völlig orientierungslos - ganz ohne Zweifel wahrhaft existenzielle Erfahrungen macht. Aber selbst diese, mit all ihrer Lust an der Entfremdung sind Horstmann, oder vielmehr seiner zu satirischen Zwecken angenommenen virtuellen Identität, auch nicht erstrebenswert (vgl.22;127), wenngleich Cioran durchaus schon anthropofugale Aspekte aufweist (vgl.ebd.).

Horstmann will reinen Tisch machen. Dabei fällt der Aufweis einer "Geschichte der anthropofugalen Vernunft" naturgemäß schwer.

Er beginnt mit den Mythen der Völker, in denen der Mensch noch seiner Umwelt ausgeliefert war. Der nächste Schritt führt ihn in die philosophische und literarische Zeit der Griechen. Mit einem Text aus dieser Zeit beginnt auch Hans Jonas sein Werk, mit dem Chorlied aus Sophokles' Antigone:

"Ungeheuer ist viel, und nichts

ungeheurer als der Mensch.

Der nämlich über das graue Meer

im stürmenden Süd fährt er dahin, andringend unter rings

umrauschenden Wogen. Die Erde auch,

der Göttlichen höchste, die nimmer vergeht

und nimmer ermüdet, schöpfet er aus

und wühlt, die Pflugschar pressend, Jahr

um Jahr mit Rössern und Mäulern"(44;17).

Der Text gibt exakt das wieder, was Horstmann als Gattungsnarzißmus bezeichnet, nämlich die Macht des Menschen, die er der Natur aufzwingt - stolz natürlich, daß er ihr nicht mehr wehrlos ausgeliefert ist. Nun ist Jonas Werk nicht dazu angetan, jemandem, der heutzutage die Zeitung liest, einen Schrecken einzujagen. Bei Horstmann liegt der Fall anders. Jonas appelliert an unsere Vernunft auf der Basis des freien Willens. Dieser wird bei Gottfried Wilhelm Leibniz vorausgesetzt, bei Immanuel Kant als Träger der Vernunft gefordert, um bei Schopenhauer auf die Entscheidung zwischen Verneinung oder Bejahung des Lebenswillens, bei trotzdem gleichbleibender voluntaristischer Überzeugung, reduziert zu werden und bei Nietzsche schließlich ganz verworfen. Jonas bezieht sich nun wieder auf den freien Willen, dessen Bedeutung für die Freiheit des Menschen von Kant bis heute einsehbar begründet wurde und zwar als freier Wille unter der Beeinträchtigung der Notwendigkeit (vgl.49;160). Sein Appell an die Vernunft impliziert Verantwortung: ein vernunftbegabtes Wesen, wie der Mensch, sollte seinen möglichen Untergang voraussehen

- vielleicht ereignen sich auch bisher nicht vorhersehbare Dinge - und geeignete Schritte unternehmen.

Während Horstmanns Argumentation philosophiegeschichtlich wesentlich zwischen Leibniz und Schopenhauer oszilliert, weil sie die herausragenden Vertreter des Optimismus bzw. Pessimismus sind, bezieht Jonas sich besonders auf Kant(vgl.44;35,65,91).

II.1 Die beste oder schlechteste aller möglichen Welten bei Leibniz, Voltaire und Schopenhauer

Leibniz unterscheidet in der Vorrede zu seiner Theodizee drei grundsätzliche Arten, mit der Zukunft umzugehen, die hier wiedergegeben werden, da es sich um Voraussetzungen zu seiner logischen Entwicklung der "besten aller möglichen Welten" handelt:

1. - Die faule Vernunft -

"Fast zu allen Zeiten haben sich die Leute durch ein Sophisma verblenden lassen, das man im klassischen Altertum als das der faulen Vernunft bezeichnete, weil es darauf hinauslief, nichts zu tun oder doch zum mindesten, sich um nichts zu kümmern und dem Hange der gegenwärtigen Freuden des Lebens zu folgen. Denn, so pflegte man's auszudrücken, wenn das Zukünftige notwendig eintrifft, so wird das Notwendige eintreffen, gleichgültig, was ich tue"(57;7). Die Zukunft tritt ein und ist denknotwendig, weil entweder Gott alles voraussieht und so festsetzt, oder die Verkettung der Dinge sie bewirkt. Als dritte Möglichkeit tritt die Zukunft ein, wegen "dem Wesen der Wahrheit selbst, die in den Aussagen liegt, die man über die zukünftigen Ereignisse tun kann"(ebd.), gemäß dem aristotelischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten,"weil ja eine jede Aussage entweder an sich wahr oder falsch sein muß"(ebd.). Alle drei Erklärungsmodelle fallen in eins zusammen, weil die Wahrheit in der Verkettung der Dinge durch Gott festgesetzt wird(vgl.57;7).

2. - Fatum Mahumetanum -

"Die falsch verstandene Idee von der Notwendigkeit hat das aufkommen lassen, was man als Fatum Mahumetanum zu bezeichnen pflegt, das 'Schicksal' im türkischen Sinne, weil man von den Türken behauptet, daß sie den Gefahren nicht aus dem Wege gingen und selbst die von Pest infizierten Plätze nicht vermeiden, aufgrund ähnlicher Erwägungen, wie wir sie oben (bei der faulen Vernunft) anführten" (57;8).

3. - Fatum Stoicum -

"Das sogenannte Fatum Stoicum war nicht so etwas Düsteres, wie man es auszumalen pflegt; es lenkte die Menschen nicht von der Sorge um ihre Geschäfte ab, sondern strebte danach, ihnen mit Bezug auf die zukünftigen Ereignisse das Bewußtsein der Ruhe zu verleihen, vermöge der Erwägung der Notwendigkeit, die all unsere Sorgen und Kummer unnütz macht" (ebd.).

Über die menschliche Freiheit sagt Leibniz:"diese scheint mit der göttlichen Natur unverträglich zu sein und muß dennoch notwendig angenommen werden, um Schuld und Strafbarkeit des Menschen aufrechtzuerhalten" (57;95). Die wahre Einstellung ist dann das Fatum Christianum, das sogleich zum Gegenstand des Spottes bei Voltaire und Schopenhauer wird. Den eigentlichen Streitpunkt, die "Theodizee" definiert Kant wie folgt:"Unter einer Theodicee versteht man die Vertheidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt. - Man nennt dieses, die Sache Gottes verfechten; ..."(51;241).

Das genau ist Leibniz' Anliegen: "Allerdings vermögen die Lehren der Stoiker (...), die sich auf diese angebliche Notwendigkeit beschränken, nur eine gezwungene Geduld zu verleihen, während Jesus Christus erhabenere Gedanken einflößt und uns selbst das Mittel zur Zufriedenheit an die Hand gibt, indem er uns versichert, daß Gott vollkommen gut und weise ist und sich um alles kümmert, so daß kein Haar von unserem Haupte fällt ohne seinen Willen und wir daher zu ihm ein vollkommenes Vertrauen haben müssen, derart, daß wir sehen würden, wenn wir imstande wären, es zu begreifen, daß es gar keine Möglichkeit gäbe, irgend etwas besseres zu wünschen ... als das, was er tut. Es ist das gleichsam, als ob man den Menschen sagte: Tut eure Pflicht und seid zufrieden mit dem, was auch kommen möge, nicht nur, weil ihr der göttlichen Vorsehung oder der Natur der Dinge doch nicht widerstehen könnt ... , sondern auch, weil ihr es mit einem guten Herrn zu tun habt. Diese Auffassung könnte man als Fatum Christianum bezeichnen" (57;8f.).

Die Konsequenzen aus dieser Einstellung ergeben sich weiter unten in der Theodizee: "Diese überlegene Weisheit konnte in Verbindung mit einer nicht weniger unendlichen Güte einzig und allein das Beste erwählen. Denn wie ein geringeres Übel eine Art Gut und ein geringes Gut eine Art Übel ist, wenn es ein größeres Gut verhindert, so hätte man Ursache, die Handlungen Gottes zu tadeln, wenn es ein Mittel gäbe, es besser zu machen.

Und wie in der Mathematik ohne ein Maximum und Minimum, kurz ohne etwas bestimmt Unterschiedenes, alles gleichförmig verläuft, oder wenn dies nicht möglich ist, überhaupt nichts geschieht, so läßt sich dasselbe von der vollkommenen Weisheit sagen, die gleichen Regelmäßigkeiten untersteht wie die Mathematik: gäbe es nicht die beste aller möglichen Welten, dann hätte Gott überhaupt keine erschaffen. 'Welt' nenne ich hier die ganze Folge und das ganze Beieinander aller bestehenden Dinge, damit man nicht sagen kann, mehrere Welten könnten zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten bestehen. Man muß sie insgesamt für eine Welt rechnen, oder, wie man will, für ein Universum. Erfüllte man jede Zeit und jeden Ort; es bleibt dennoch wahr, daß man sie auf unendlich viele Arten hätte erfüllen können und daß es unendlich viel mögliche Welten gibt, von denen Gott mit Notwendigkeit die beste erwählt hat, da er nichts ohne höchste Vernunft tut"(57;§ 8).

Hier fällt auf, daß Voltaire in der Figur des Dr. Pangloss sogar Leibniz’ sprachlichen Ductus imitiert, was ungeachtet verschiedener Übersetzungen hindurchscheint. "Pangloss unterrichtete Metaphysiko - Theologo - Kosmolonigologie"(102;121).

Er bewies, daß es keine Wirkung ohne Ursache geben konnte (vgl.102;121). "Es ist demonstrierbar,... daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind: denn da alle Dinge zu einem Ende gemacht sind, müssen sie notwendig zum besten Ende gemacht sein. Bemerke wohl, daß die Nase gemacht wurde, um eine Brille zu tragen; dazu haben wir Brillen. Die Beine sind sichtbar gemacht für Strümpfe, und deshalb haben wir Strümpfe. ..... Schweine wurden gemacht, um gegessen zu werden ... "(102;121f.). Es wird deutlich, daß hier die Diktion von Leibniz hindurchscheint.

Die Schwierigkeit, Leibniz heute zu verstehen, beginnt mit den Eigenschaften, die man Gott im Widerspruch zu dem zweiten der Zehn Gebote beigelegt hatte. Dies führt zu "notwendigen" Verhaltensweisen Gottes. Leibniz leitet die Existenz Gottes logisch her:

"... Es muß ... der wahrhaft zureichende oder letzte Grund außerhalb der Folge oder der Folge - Reihen von mannigfaltigen Zufälligkeiten liegen, so unbegrenzt jener Zusammenhang auch sein mag. Somit muß der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in welcher das Mannigfaltige der Veränderungen lediglich 'eminenter', gleichwie in der Quelle enthalten ist. Diese Substanz nennen wir Gott" (58;§§37,38).

Der Vergleich mit der Mathematik (57;§8) befremdet besonders, da das Leben in jeglicher Form sich mathematischer Aussagenlogik und damit auch Beweisführungen entzieht. Es entstehen begriffliche contradictiones in adjectis : so faszinierend es ist, Leibniz zu lesen, so unangemessen reduktiv ist es, eine Lebensform, und dafür hält man Gott gemeinhin - wenn nicht körperlich, so doch im Geiste - mit der Terminologie der Mathematik zu beschreiben, oder zu fassen zu suchen.

In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß Leibniz seine Deduktionen über Gott aus dem rationalistischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury gezogen hat. Der Rationalismus ist das Fundament Leibnizschen Denkens, der ihn methodisch zwang, von oben nach unten zu denken, d.h. vom Allgemeinen auf das Besondere zu schließen, etwa wie Platon, für den alles Seiende nur die unvollkommene Abbildung einer Idee als Urform aus dem Ideenhimmel war, im Gegensatz zu Aristoteles, der von unten nach oben dachte, indem er die Empirie zur Grundlage zum Erschließen der höheren Dinge machte und so vom Besonderen auf das Allgemeine schloß. Auch Leibniz’ Optimismus resultierte aus dieser Denkweise.

Zu Leibniz' Zeit fand eine Wende in der Geschichte der Philosophie statt. Hätte man, wie er und seine Vorgänger, an die "beste aller möglichen Welten"(57;§8) geglaubt und damit an Gott und eine gütige Vorsehung, hätte es keine atheistische Aufklärung gegeben.

In Kapitel III.3.6 der vorliegenden Arbeit wird Horstmanns Standpunkt zu Leibniz' Theodizee erklärt werden, die er ausgerechnet wegen des, von einem guten Menschen zu erwartenden, Mitleids mit der Kreatur als unhaltbar darstellt. Voltaires "Candide oder der Optimismus" räumte mit der "besten aller möglichen Welten"(101;4) auf, sodaß der Goethesche Standpunkt einer kontemplativen Wissenschaft (vgl.41;166), die die Natur in leibnizscher Manier als das Vollkommene ansieht, die es zu verstehen gilt und nicht zu ersetzen, von allumfassender Technologie verdrängt wurde. So ist über den Umweg des Mitleidens der Positivismus in den Naturwissenschaften begründet worden, der als conditio sine qua non der "Zukunftsoffenheit" technischen Fortschritts voranging (dem sonst wie bei Galilei und Darwin religiöse Skrupel, bzw. Machtansprüche entgegengestanden hätten), dessen (des Positivismus) Objektivität dann bezweifelt werden muß, da die Anwendung Leibnizscher Philosophie auf die Wissenschaften weitreichende Konsequenzen für ihre Gestaltung gehabt hätte.

Es ist außerdem anzumerken, daß sowohl Leibniz, als auch Voltaire, wurzelnd in den Denktraditionen ihrer jeweiligen Zeit, lediglich als deren herausragende Vertreter ihre Standpunkte formulierten (vgl.101;XIVf.). Wenn man also annimmt, daß beide Gedanken zu Papier brachten, die gleichsam in der Luft lagen, ist es - zumindest hier - nicht möglich, aufgrund der Willensfreiheit der Autoren, ihnen soetwas wie "individuelle Schuld" an einer späteren Entwicklung zuzuweisen.

Voltaire wurde beeinflußt von englischen Philosophen, wie Francis Bacon und David Hume, wenngleich er deren atheistische Standpunkte nicht zur Gänze teilte, sowie von John Locke, der nicht unter die Atheisten zu zählen ist. Auch Leibniz stand mit seiner Theodizee neben René Descartes und Baruch de Spinoza, den beiden anderen großen Philosophen des Barock, nicht allein. Die Denkrichtung der künftigen Aufklärung sollte sich an der Frage entscheiden, ob sich angesichts der Greuel in der Welt noch von einem gütigen Gott und dessen allwissender Vorsehung sprechen lasse. Schopenhauer kritisiert Leibniz, der diese Frage bejahte, vernichtend (86;756):

"... vivat unser Leibnitz! Auf diesen also zurückzukommen, kann ich der Theodicee, dieser methodischen und breiten Entfaltung des Optimismus, in solcher Eigenschaft, kein anderes Verdienst zugestehen, als dieses, daß sie später Anlaß gegeben hat zum unsterblichen Candide des großen Voltaire; wodurch freilich Leibnitzens so oft wiederholte lahme Exküse für die Uebel der Welt, daß nämlich das Schlechte bisweilen das Gute herbeiführt, einen ihm unerwarteten Beleg erhalten hat. Schon durch den Namen seines Helden deutete Voltaire an, daß es nur der Aufrichtigkeit bedarf, um das Gegenteil des Optimismus zu erkennen."

Auch wenn Leibniz durch Schopenhauer vielleicht Unrecht geschieht, zu beachten ist nämlich, daß Voltaire in "Candide"(101;3-103) Leibniz nicht direkt beschimpft, sondern ihn nur mit einer gewissen Eleganz der Lächerlichkeit preisgibt, wie dies in den Reden des "Dr. Pangloss" geschieht (101;4,10f.), scheint das Bedürfnis des Menschen nach Optimismus, sei es selbst in Absehung von offenkundigen Tatsachen, tatsächlich so groß zu sein, daß es auch in der Gegenwart eine absonderliche Blüte treibt, das positive Denken, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.

In "Der dumme Philosoph", Kapitel XXVII macht sich Voltaire auch über die Monadologie lustig:

"Jedes Ding in der Natur ... besteht aus Monaden. Deine Seele ist eine Monade, und weil sie vereinigt mit all den anderen ist, hat sie notwendigerweise Ideen von allem, was in diesen vorgeht. Diese Ideen sind verwirrt, was sehr notwendig ist; und deine Monade, ebenso wie meine, ist ein konzentrischer Spiegel des Universums. Aber glaube nicht, daß du infolge deiner Gedanken handelst. Es gibt eine vorgegebene Harmonie zwischen der Monade deiner Seele und den Monaden deines Körpers, sodaß wenn deine Seele eine Idee hat, hat dein Körper eine Bewegung, ohne daß die eine ein Resultat der anderen ist. Sie sind zwei Pendel, die sich miteinander bewegen; oder wenn du so willst, die eine stellt einen Mann dar, der predigt, während eine andere gestikuliert. Du bemerkst leicht, daß dies notwendig so sein muß in der besten der Welten; denn ------------"(102;451).

Eine weitere Stelle bei Schopenhauer und zwar diejenige, in der er von der "schlechtesten aller möglichen Welten" spricht, soll dem Leser ebenfalls nicht vorenthalten werden:

"Sogar aber läßt sich den handgreiflich sophistischen Beweisen Leibnitzens, daß diese Welt die beste unter den möglichen sei, ernstlich und ehrlich der Beweis entgegenstellen, daß sie die schlechteste unter den möglichen sei. Denn Möglich heißt nicht was Einer etwan sich vorphantasieren mag, sondern was wirklich existiren und bestehn kann. Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie seyn mußte, um mit genauer Noth bestehn zu können: wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehn. Folglich ist eine schlechtere, da sie nicht bestehn könnte, gar nicht möglich, sie selbst also unter den möglichen die schlechteste. Denn nicht bloß wenn die Planeten mit den Köpfen gegen einander rennten, sondern auch wenn von den wirklich eintretenden Perturbationen ihres Laufes irgend eine, statt sich durch andere allmälig wieder auszugleichen, in der Zunahme beharrte, würde die Welt bald ihr Ende erreichen: die Astronomen wissen, von wie zufälligen Umständen, nämlich zumeist vom irrationalen Verhältniß der Umlaufzeiten zueinander, Dieses abhängt, und haben mühsam herausgerechnet, daß es immer noch gut abgehn wird, mithin die Welt so eben stehn und gehn kann"(86;757).

Weiter sagte Schopenhauer, sei zu hoffen, daß das perpetuum mobile nicht zum stehen käme und erinnert uns damit an die Kontraktion des Universums bei Steven Hawking (38;58). Doch nun aus kosmogonischer Höhe zurück in die kleine Welt des Abbilds des Kosmos, des Menschen.

So wie man sich damals aus Mitleid mit der geschundenen Kreatur weigerte, weiter an Gott zu glauben, argumentiert Horstmann, daß der Glaube an den Menschen passé sei und "das Untier" aus Mitleid mit seinesgleichen und seinen Mitgeschöpfen die Pflicht habe, die Biosphäre zu vernichten. Aus Mitleid resultiert die Pflicht zur Selbstauslöschung, da nur so alles irdische Leiden beendet werden kann. Wegen des Mitleidens konnte kein gütiger Gott sein. Ebenso wie wir glauben, daß es keinen Gott gibt, weil wir es nicht wissen, könnten wir aber auch glauben, daß es ihn gibt, weil wir es nicht wissen. Bei Leibniz, Voltaire und Schopenhauer zeigen sich exemplarisch die Positionen des Optimismus, Meliorismus und Pessimismus.

Leibniz sah die "beste aller möglichen Welten" in der Gegenwart, während in Utopien, die beste aller möglichen Welten in der Zukunft angesiedelt wird. Platons Staat, das Neue Atlantis des Francis Bacon und Thomas Morus' Utopia sind die Urtypen solcher Projektionen des Besten in die Zukunft. Kant entwickelt einen solchen Vorschlag zur Lösung der Probleme der Menschengattung in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht"(51;143-161). Ebenso ist der Punkt - Omega bei Teilhard de Chardin ein optimistischer Vorausblick in die fernste Zukunft.

II.2: Der freie Wille bei Leibniz, Kant, Schopenhauer und Nietzsche

Die Lehre vom freien Willen findet sich schon bei Augustinus. Das Wissen um das Gute ist bei ihm a priori. Das eigentliche Objekt des Willens ist das Gute, da jeder offensichtlich, zumindest für sich selbst, nur das Gute will. Die Ratio zielt auf das Wahre, die Voluntas auf das Gute. So ist alles Sein in dem Maße, in dem es ist, gut und wahr. Was ist, ist auch gut, denn das Böse hat kein eigentliches Sein (vgl.56;69-71). Es zeichnet sich aus durch Abfall vom Guten und hat daher Mangel an Sein.

Martin Buber spricht auch von einem Mangel an Sein der Götzenbilder im alten Israel (17;8f.). Leibniz baute auf diesen Gedanken des Augustinus auf. Auch andere Philosophen des Mittelalters haben eine starke Wirkung bis in die Barockzeit entfaltet. Anselm von Canterbury wirkte z.B. durch seinen rationalistischen Gottesbeweis besonders auf Descartes und natürlich auch auf Leibniz, der ja ebenfalls Rationalist war. Johannes Duns Scotus vertrat "die Lehre vom Vorrang des freien Willens gegenüber dem Intellekt"(56;87). Was vom ausgehenden Altertum bis ins Hochmittelalter hinein noch evident schien, nämlich der Beweis der Existenz Gottes und seiner Güte, wurde durch die hundert Jahre nach dem Barock einsetzende Aufklärung schon nicht mehr anerkannt. Die Philosophie wandte sich weg von der Spekulation über das Jenseits, hin zur Klärung des Diesseits. Der Aufklärer Kant postuliert den freien Willen als Grundlage aller Moralität:

"Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten"(49;46). Freiheit ist die formale Bedingung aller Maximen (vgl.49;46). Bei Schopenhauer will der freie Wille, der bei Augustinus das Gute, bei Leibniz das Beste, bei Kant die Tugend wollte (vgl.49;101), nur noch das Leben (85;392). Nietzsche leugnet den freien Willen, und wenn nur noch alles oder nichts bleibt, "nichts ist wahr, alles ist erlaubt", dann nimmt man eben alles: den Willen zur Macht, bei dem es sich ebenso wie bei Leibniz und Kant, vielleicht nicht bei Schopenhauer, um einen Sonderfall des von Augustinus gelehrten Willens zum Guten handelt.

So lautet in Nietzsches Werk "Menschliches Allzumenschliches" "Die Fabel von der intelligiblen Freiheit":

"... Man geht weiter und gibt das Prädikat gut oder böse nicht mehr dem einzelnen Motive, sondern dem ganzen Wesen eines Menschen, aus dem das Motiv, wie die Pflanze aus dem Erdreich herauswächst. So macht man der Reihe nach den Menschen für seine Wirkungen, dann für seine Handlungen, dann für seine Motive und endlich für sein Wesen verantwortlich. Nun entdeckt man schließlich, daß auch dieses Wesen nicht verantwortlich sein kann, insofern es ganz und gar notwendige Folge ist und aus den Elementen und Einflüssen vergangener und gegenwärtiger Dinge konkresziert: also daß der Mensch für nichts verantwortlich zu machen ist, weder für sein Wesen, noch für seine Motive, noch seine Handlungen, noch seine Wirkungen. Damit ist man zur Erkenntnis gelangt, daß die Geschichte der moralischen Empfindungen die Geschichte eines Irrtums, des Irrtums von der Verantwortlichkeit ist: als welcher auf dem Irrtum von der Freiheit des Willens ruht"(72;§39). Diese Einstellung nennt Leibniz Fatum Mahumetanum, (vgl.57;8).

Jaspers zitiert Nietzsche: "gegen Schopenhauer: Was er Wille nennt, ist nur ein leeres Wort; aus dem Charakter dieses Willens ist der Inhalt des Wohin weggestrichen (Wille zur Macht,S.156)"(43;301).

"Wille zum Dasein gibt es nicht. 'Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie könnte das noch zum Dasein wollen! Nur wo Leben ist, da ist auch Wille, aber nicht Wille zum Leben, sondern Wille zur Macht (Zarathustra,S.168)"(ebd.).

Mit seinen Anmerkungen zur Willensfreiheit wendet Nietzsche sich nicht nur gegen Schopenhauer, sondern implizit auch gegen Kant. Die Frage, ob es einen freien Willen gibt, bleibt umstritten. Die verschiedenen Standpunkte sind in Leibniz' vier unterschiedlichen Arten, mit der Zukunft umzugehen, bereits enthalten.

Aleister Crowley verherrlichte den Willen sogar als dem Homo - Deus gottgegebenes Recht. Er nannte sein Domizil in Cefalu/Sizilien "Abtei von Q e l h m a " und seine Anhänger "Thelemiten".

II.3 Der freie Wille als Voraussetzung für verantwortliches Handeln

"Moral und Moralität, Sittlichkeit und Ethos sind nicht denkbar, ohne daß man anerkennt, daß der Mensch prinzipiell einen freien Willen hat und prinzipiell zur Erkenntnis des sittlich Gesollten, des Guten in der Lage ist"(4;27).

Eine besondere Ethik, die das Gefühl direkt anspricht, findet sich bei Albert Schweitzer:

"Von der Lebensgestaltung im Geiste der Ehrfurcht vor dem Leben

Das Wesen der Erscheinungen erkenne ich nicht, sondern ich erfasse es in Analogie zu dem Willen zum Leben, der in mir ist ... Das zum Erleben werdende Erkennen läßt mich der Welt gegenüber nicht als rein erkennendes Subjekt verharren, sondern drängt mir ein innerliches Verhalten zu ihr auf. Es erfüllt mich mit Ehrfurcht zu dem geheimnisvollen Willen zum Leben, der in allem ist. Indem es mich denkend und staunend macht, führt es mich immer höher hinan auf die Höhen der Ehrfurcht vor dem Leben"(88;228).

Wenn es auch mehr nach dem Anorganischen klingt, so ist doch auch Ernst Jünger fasziniert von der Natur: "Phantastische Formen bringt das Leben hervor, in seinen verschwiegenen Laboratorien und Zauberküchen im Abgrund der Meere, im glühenden Wachstumssturm überhitzter Wälder oder in seinen Steinschneidereien und Miniaturschmieden, in denen Kalk, Horn und Kieselsäure gemeistert werden"(47;43).

"Wahrhaft ethisch ist der Mensch nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgend etwas Lebendigem Schaden zu tun"(88;229). Dies könnte man eine christliche Variante romantischer Lebensphilosophie nennen. Mit dem von Mahavira gegründeten Jainismus wäre Schweitzers Ethik aber genausogut vereinbar. Die Nähe zu diesem könnte sich bei Albert Schweitzer durch seine Schopenhauer - Lektüre entwickelt haben. Abgesehen von der Herkunft von Schweitzers Gedanken, stellt sich mir die wichtige Frage, welche Weltanschauung geeignet sei, die Ehrfurcht vor dem Leben bei ihren Anhängern zu installieren. Welche Gestalt müßte der freie Wille annehmen, um Ehrfurcht vor dem Leben zu entwickeln.

Kant nennt den freien Willen die Grundlage aller moralischen Gesetze (vgl. 44;46). Damit ist der freie Wille auch Voraussetzung jedweden sittlichen Handelns. Andererseits bestimmt der Grundsatz der Moralität den Willen (vgl.44;182). Es ist nicht möglich, überhaupt zu handeln, wenn kein ethisches Prinzip dieser Handlung zugrundeliegt, damit ist auch unmöglich, nicht sittlich zu handeln, wenn man voraussetzt, daß jeder unter "Sitte" etwas anderes versteht. Gäbe es nämlich eine für alle gültige Sitte, die bestimmte Handlungen billigt und andere verwirft, dann wäre es möglich, entgegen dieser Sitte und damit "sittenlos" zu handeln. Stattdessen folgt aber jeder in seinem Handeln einer - wie auch immer gearteten - Sitte. Treffen Menschen aufeinander, die unter "guten Sitten" Unterschiedliches verstehen, dann ist ihre Kommunikation mit der Tendenz zum Mißverständnis behaftet. Verantwortliches Handeln ist immer auch zugleich sittliches Handeln, das ohne freien Willen undenkbar ist.

Dieser kantianische Gedanke wird bei Jonas entwickelt und stellt die Grundlage seiner Ethik der Verantwortung dar, wenngleich er auch die Denkbarkeit von Nietzsches Vorbehalten gegen den kategorischen Imperativ einräumt (vgl.44;35u.68;574).

Andererseits folgt auch unverantwortliches Handeln der Idee eines Besser - als und ist so letztlich auch sittlich - moralisch bestimmt, immer vorausgesetzt, daß man unter Sitte das On fait einer bestimmten Epoche versteht. Kant muß wie andere Aufklärer zu sehr davon überzeugt gewesen sein, daß Vernunft auch Tugend hervorbringt.

Eindeutig kann hier jedoch festgestellt werden, daß jedwedem Handeln Willensfreiheit zugrunde liegen muß, wodurch diese auch immer eingeschränkt sein mag. Verantwortlichem Handeln muß eine Reflexion des Willens und seiner Freiheit vorausgehen, da ein Wille, der sich des eigenen Daseins nicht bewußt ist, unfähig ist, Verantwortung zu übernehmen.

Die Begriffe "formale Ethik" und "Reflexion des freien Willens" wären also synonym. Ein demokratischer Staat gibt vor, dem Willen aller irgendwie Rechnung zu tragen. Jean - Jacques Rousseau nannte dies die volonté général. Eine Reflexion der Willensfreiheit aller ist jedoch schwer denkbar, weil ein System nur so klug ist, wie sein dümmstes Mitglied (Folgerung aus Murphy’s Gesetz, vgl.V.1.1).

So kann es eine Willensfreiheit aller einzelnen geben, jedoch keine Freiheit des gemeinsamen Willens aller, zumal dieser immer mutmaßlich ist, denn das würde Faschismus oder Diktatur bedeuten. Ein so radikaler Verstoß gegen das natürliche eigene Fühlen, wie die Entwicklung anthropofugaler Vernunft, ist ebenfalls ohne die Aktivität eines freien Willens undenkbar.

Die Würde des einzelnen, der seinen freien Willen einzusetzen weiß, kann man allerdings nicht hoch genug ansetzen. Tatsächlich täte man einem solchen "Gott" durch jeden Rahmen, in den man ihn, ohne Beachtung seiner Autonomie, zwängen würde, Unrecht. Das und nur das ist die Antwort auf die Frage nach Nietzsches Übermensch (vgl.67;§4).

III. Erstes Hauptstück: Ulrich Horstmann und "das Untier"

Die größte Schwierigkeit bei Horstmann besteht darin, Ironie und Ernsthaftigkeit im einzelnen zu trennen. Besonders deutlich ist dies bei der Ästimierung der einzelnen Philosophen. Es ist zu vermuten, daß Horstmann die Theodizee von Leibniz nicht sehr schätzt, im Gegensatz zu Voltaires Candide. Bei Schopenhauer wird es schon schwieriger zu erkennen, ob Horstmanns Wertschätzung ernst gemeint oder ironisch ist. Die Frage muß zunächst offen bleiben. Es schien mir angemessen, Textwiedergabe und Kritik voneinander zu trennen. Wenn nicht zu jedem Punkt des Kapitels "Ulrich Horstmann und das Untier" eine separate Kritik erscheint, so ist dies als Zeichen meiner punktuellen Zustimmung zu verstehen. Nicht alle Thesen im Verlauf des Untiers sind von der Hand zu weisen. Bei dem Kapitel "Schumpeter - Effekt und Readers Digest" handelt es sich um mein eigenes Elaborat, in dem Horstmann nur zitiert wird.

Zweifellos hatte Horstmann aber die dort von mir genannten Eskalationsphänomene anspielungsweise im Sinn.

III.1 Biographisches zu Horstmann

Dr.phil., Univ. Prof. Ulrich Horstmann unterrichtet Anglistik und Amerikanistik an der Universität Münster/Westfalen. Er wurde am 31.5. 1949 in Bünde/Westfalen geboren. Er promovierte 1974, habilitierte 1981 in Münster und wurde daselbst 1982 Professor.

Veröffentlichte Werke:

- Ansätze zu einer technomorphen Theorie der Dichtung bei Poe 1975

- Ästhetizismus und Dekadenz. Zum Paradigmakonflikt in der englischen Literaturtheorie des späten 19. Jahrhunderts 1983

- Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht 1983, 4. Aufl. 1985

- Parakritik und Dekonstruktion. Eine Einführung in den amerikanischen Poststrukturalismus 1983

- Der lange Schatten der Melancholie. Versuch über ein angeschwärztes Gefühl 1985

III.2 Zur Etymologie des Wortes "Untier"

Unter dem Begriff "Untier" findet sich in Dudens Herkunftswörterbuch zunächst ein Verweis auf den Begriff "Tier": Das gemeingermanische Wort mittelhochdeutsch tier, althochdeutsch tior, gotisch dius, englisch deer, schwedisch djur bezeichnete ursprünglich das wildlebende Tier im Gegensatz zum Haustier. Das germanische Wort ist eine Bildung zu der unter Dunst dargestellten indogermanischen Wurzel dheu - "stieben, blasen" und bedeutet wahrscheinlich eigentlich "atmendes Wesen", beachte das verwandte altslawische duša "Atem, Seele" und das ähnliche Verhältnis von lateinisch animal "Tier" zu lateinisch anima "Lebenshauch". Ableitung: tierisch "zum Tier gehörig; wie ein Tier, dumpf; triebhaft; roh, grausam" sagte man seit dem 16. Jahrhundert für mittelhochdeutsch tierlich. Untier "ungestaltes Tier, Ungeheuer" (mittelhochdeutsch untier, wohl mit verstärkendem Präfix, un...).

Von "Unmensch" wird auf "Mensch" weiterverwiesen, ein Wort, das zumindest auf der indogermanischen Linie gemeinsam mit dem Begriff Mann entstand.

In dem Begriff "Untier" steckt, so wie Horstmann ihn benutzt, ein Wortspiel. Die Vorsilbe "un..." ist verneinend. Der Mensch ist also einerseits das "Nicht - Tier", das leuchtet ein, andererseits damit aber auch gleichzeitig "ungestaltes Tier, Ungeheuer". Die letztere Bedeutung ist, wie aus dem Kontext zu ersehen ist, die maßgebliche.

III.3 Strukturaler Aufbau des Untiers

Horstmann hält bis S.54 eine chronologische Reihenfolge ein, die sich von der Zeit der Mythen über die griechische Antike, das christliche Mittelalter und die Aufklärung bis hin zur Moderne erstreckt, deren Möglichkeiten, Megatod und Overkill eigentliches Thema des Werkes "das Untier" sind, weshalb die Moderne aufwendiger expliziert wird.

III.3.1 Mythen:

Um kein gutes Haar an dem Menschen zu lassen, den Horstmann schon

gleich zu Anfang in "Untier" umbenennt(vgl.93;S.938), beginnt er bei den Mythen der Völker, die undatierbar bis irgendwo in die Zeiten vom Aufbruch der Menschheit zurückreichen. Mythen eignet generell, daß die in ihnen vorkommenden Menschen, unsere Protagonisten, ihrem Schicksal unmittelbar ausgeliefert sind. Sehr leicht entsteht der Eindruck, daß der Einzelne, wenn er bloß ein Sterblicher ist, nicht sehr wichtig ist. "Charakteristisch schon die Unzahl der Schöpfungsmythen, in denen bei der Menschenherstellung durch die Götter schlicht von Pfusch und Ausschuß die Rede ist. Da versuchen es die Demiurgen mit Stein, Holz, Erde, Wachs, Schilfrohr - und das Resultat ist immer von der gleichen Erbärmlichkeit: das Wachs schmilzt in der Sonne, die aus Holz gefertigten Prototypen stehlen sich eiligst in eine bessere Welt davon, in der ewiges Leben auf sie wartet, die aus Felsgestein scheren sich keinen Deut um den Verhaltenskodex ihres Schöpfers und so fort"(40;10).

Der anthropofugale Gedanke der Fehlerhaftigkeit des Menschen als Gattung stellt in Mythen ein typisches Motiv dar, wie auch die Fremdheit des Menschen in der Welt.

"Das mythisch - religiöse Bewußtsein ist überall dort, wo es das Untier als ausgesetzt, fremd, aus der Totalität der Schöpfung herausfallend begreift und es auf phantasievoll - rabiate Weise als Fremdkörper beseitigt, anthropofugales Bewußtsein"(40;12). So ist das Motiv der Menschenflucht ein mythischer Topos. Das Verhältnis der Menschen zu ihren Schöpfern ist nicht von Harmonie gekennzeichnet. So entsteht "jene prometheische Vorstellung vom Menschen"(40;13), der sich in einer feindlichen Welt zur Wehr setzt, notfalls durch den Diebstahl des Feuers der Götter. "Das Aufrücken des Prometheus - Mythos zur gängigen Selbstdeutungsschablone der Moderne zeigt, daß auch das mythische Bewußtsein die anthropofugale Perspektive nicht verläßlich bewahren konnte, ja über weite Strecken - entweder durch eine deformierende Überlieferung oder eine späte 'prähumanistische' Eigendynamik - selbst als anthropozentrisch infiltriert erscheint"(ebd.).

III.3.1.1 Kritik an Horstmanns Verständnis der Mythen

Daß Horstmann die entsprechenden mythischen Inhalte hier (vgl.40;13) als Fälschungen aus späterer Zeit bezeichnet, könnte schon ironisch sein. Stilistisch lehnt er sich hier an moderne Interpretationen archäologischer Fakten, z.B. der Schriftrollen vom Toten Meer, wo mit der Redewendung "deformierende Überlieferung" stets das Tappen im Dunkeln beginnt. Daß, um ein Beispiel zu nennen, Marduk im gattungsnarzißtischen Enuma Elisch(vgl.36;108f.) nachdem er die Tiamat, den Urozean des Chaos, besiegt hatte, nicht nur zum babylonischen Stadtgott und Herrscher über die Götter, sondern auch zum Schöpfer des hochgelobten Menschen wurde, "Marduk ... begehrt, Kunstvolles zu schaffen"(36;121) ist seitens der Philologie unzweifelhaft. Inhaltliche Manipulationen hätten also die Babylonier vornehmen müssen, oder irgend jemand vor ihnen, wie die Bewohner des Mari - Reiches, oder die Sumerer. Es ist heute unmöglich, das uralte mythologische Riffgestein von etwaigen Veränderungen zu trennen. Auf jeden Fall ist das Enuma Elisch ein Urmythos, im 7. Jahrhundert v.Chr., zur Zeit Assurbanipals schon eine Nacherzählung, deren Ursprung bis ins zweite oder dritte Jahrtausend v.Chr. zurückreicht, älter als irgendein griechischer Mythos. Vermutlich hat der Mensch seit er (mental) da ist, versucht, sich ins rechte Licht zu setzen. Hätte Horstmann keine philosophische Satire verfaßt und würde er seine Thesen wirklich ernst meinen, so hätte man ihn hier, mit der Behauptung, Anthropofugalität sei typisch für Urmythen, bei der Vernebelung von Tatsachen bzw. Geschichtskorrektur ertappt. Das Enuma Elisch ist nicht der einzige 5000 Jahre alte Mythos, den man gattungsnarzißtisch nennen könnte.

Der durch Kultur geschützte Mensch erlebt weder die Natur, noch den Großstadtdschungel in Unmittelbarkeit, in der es in jeder Situation ums Ganze gehen würde und büßt so auch seine natürliche Fähigkeit zu philosophieren ein. So hat Horstmann nicht unrecht, den Stolz auf menschliche Errungenschaften in seinen letzten Folgen dennoch kritisch zu sehen, der keineswegs gering ist, wenn es auch gerade diese Errungenschaften sind, die dem Menschen das Epithet "Untier" so gemäß erscheinen lassen.

Jonas beginnt sein Buch bezeichnenderweise mit dem Satz "Der endgültig entfesselte Prometheus...", ein Zitat bei Percy Bysshe Shelley, das zugleich einen direkten inhaltlichen Zusammenhang zwischen Untier und Prinzip Verantwortung nahelegt, denn auch Horstmann bezeichnet den Prometheus - Mythos als "gängige Selbstdeutungsschablone der Moderne"(40;13). George Bernard Shaw suchte den Mythos der Moderne eher in Wagner - Opern. In seinem Buch "Der perfekte Wagnerianer: Ein Kommentar zum Nibelungenring" führt er, bezugnehmend auf die "Götterdämmerung", die ja thematisch hier naheliegt, aus: "Die Vorwürfe schmecken immer noch nach Bakunin; aber der Retter ist nicht mehr der Willensakt des erwachsenen Mannes - Geistes, der freie Woller der Notwendigkeit, in der Hand das Schwert, sondern einfach Liebe, und nichtmal Shelleysche Liebe, sondern vehemente sexuelle Leidenschaft". Ungeachtet, ob es nun hier um Brünhilde oder Siegfried geht, zeigt sich das von Horstmann behauptete Bedürfnis der Moderne, sich selbst zu mythologisieren deutlich. Auch der nationalsozialistische "Mythus des 20. Jahrhunderts" von Alfred Rosenberg ist ein Beispiel hierfür. Endgültig gelungen ist die Mythologisierung der Moderne in Mary Shelley’s "Frankenstein", der deutlich die Probleme der Moderne, z.B. diejenigen der Gentechnologie, analogisiert und andererseits auch die bei Horstmann so stark betonte Anthropofugalität aufweist.

III.3.2 Verlust des (den Mythen noch eignenden) Anthropofugalen in der griechischen Philosophie, der Homo mensura Satz der Sophisten

"Man kann sich die Radikalität des Bruchs zwischen mythisch - anthropofugaler Weltwahrnehmung und dem hellenistischen Anthropozentrismus nicht klar genug vor Augen führen, wenn man zu begreifen sucht, warum die Formulierung einer Philosophie der Menschenflucht bis auf den heutigen Tag ein so ungemein schwieriges Unterfangen geblieben ist. Das gesamte philosophische Instrumentarium ist nämlich nach wie vor gleichsam imprägniert vom Gattungsnarzismus der Antike, von der euphorisierenden Entdeckung, daß das ausgestoßene Untier, das vogelfreie Mängelwesen, sich zum intellektuellen Usurpator aufschwingen kann, der seine Welt zu ‘erklären’ vermag und sich als Erklärender und über seine Erklärungen in ihrem Zentrum inthronisiert"(40;14).

In der Antike kam die Wende zum Menschen als "Maß aller Dinge" und zur Philosophie anstelle der Mythen. Dies bedeutet auch eine Abwendung von der Symbolsprache der Mythen, hin zur Suche nach formulierbarer Wahrheit. Horstmann schildert nun den weiteren historischen Verlauf der prometheischen Weltinbesitznahme: "An die Stelle des Urmythos treten Stabilisierungsmythen, die den Status quo sichern, und Anspruchsmythen, die zu seiner Überschreitung auffordern"(40;15).

"Die Ordnungsstrukturen des Universums wurden identisch mit denen der philosophischen Reflexion, das Himmelsgewölbe über der ptolemäischen Erdscheibe schrumpfte zum Dach eines platonischen Philosophenschädels"(ebd.). Der "Projektionscharakter personaler Gottesvorstellungen" und damit die Anpassung von allem an das vom Menschen Denkbare, letzlich eine Anpassung an die menschliche Form, zeigt sich bei Xenophanes: "Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben"(ebd.).

"Der Homo - mensura - Satz im sokratischen Verständnis ist ... die eigentliche philosophische Gegenthese zur Anthropofugalität des Mythos..."(40;16). Horstmann beklagt nun den Übergang vom m u J o V zum l o g o V bei Platon, da mit der Verstehbarkeit der Welt auch der Optimismus wuchs. Auch der Stoiker Cicero behauptete in "De natura deorum", daß die Welt für den Menschen geschaffen sei.

III.3.2.1 Kritik an den Thesen über den Homo - Mensura - Satz

Der Homo - Mensura - Satz wurde schon von den vorsokratischen Sophisten aufgestellt und darf daher nicht von Horstmann dem Plato zur Last gelegt werden, zumal dieser den ursprünglich von dem Sophisten Protagoras vertretenen Satz ablehnte. Wie es scheint, nimmt Horstmann hier Verallgemeinerungen vor. Plato steht als Symbol für seine Zeit und ist daher für Horstmann als Person uninteressant.

Prinzipiell ist Kritik am Homo - Mensura - Satz aber durchaus angebracht. Das Maß aller Dinge war der Mensch nur solange die Natur noch mit sich spaßen ließ. Jetzt, wo es ernst wird, zeigt sich, daß er es nicht ist. Die wahrhaftigen Grundformen der Welt sind aus dem Menschen nicht abzuleiten, denn, weitentfernt davon, selbst Schöpfer zu sein, ist er nur Geschöpf. Ebbe und Flut, Blitz und Wirbelsturm werden sich nie an der Figur des Menschen messen lassen.

Die Bezeichnung des Umgangs mit der Umwelt als "- jüdisch - christliches Vergewaltigungsgebot des "Machet Euch die Erde untertan" -" ist heute von unangenehmer Evidenz. Die Formulierung könnte auch bei Karlheinz Deschner stehen, dem Autor der "Kriminalgeschichte des Christentums", von dem auch der folgende Satz stammt: "Zugleich haben ... Kleriker Kohorten, ganze Heere frommer Glaubenshüter mit jederlei Aufwand an Pathos, pfäffischer Niedertracht, an Verschleierung, Falschheit, schamlosen Lügen die jämmerliche Ruine (des Christentums, niedergeschmettert durch die Aufklärung) der Welt zu verbergen gesucht und getan, als stünde da alles wie immer"(24;8). "Unsere tägliche Illusion gib uns heute!"(24;15).

Deschner versucht nicht nur das Christentum, sondern auch das Judentum verbal niederzuringen. Der Punkt, daß ohne den Monotheismus keine moderne Technologie entstanden wäre, ist nicht von der Hand zu weisen.

Tatsächlich wurde erst nach der Feststellung "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde"(Gen.1,27) mit dem Homo - Mensura - Satz wirklich ernstgemacht, zumindest was die heutige Technisierung unserer Lebenswelt betrifft. Andererseits ist der Mensch weder im Judentum, noch im Christentum das Maß der letzten Dinge, des Eschaton. Der Mythos gestand dem Menschen, bzw. dem Untier eine erheblich bescheidenere Rolle zu, als das Maß aller Dinge zu sein, während die These des Xenophanes aber nicht nur die Verneinbarkeit von Göttern, sondern auch gerade den Menschen als Maß aller Dinge zeigt, da man von seinen eigenen Projektionen nicht umhergeworfen, auf die Probe gestellt, o.ä. zu werden pflegt.

III.3.3 Untergang Roms - Verhinderung anthropofugaler Vernunft durch das Christentum

Der Untergang Roms im Zuge der Völkerwanderung mußte auf den "antiken Anthropozentrismus als im Wortsinne barbarische Falsifikation seiner humanistischen Prämissen"(40;18) wirken. Infolgedessen verstummte er fast ein Jahrtausend lang. Die Greuel der überall wütenden Eroberungskriege hätten notwendig zu einer Wiederbelebung mythologischer Anthropofugalität geführt, wenn nicht mehrere Faktoren zugleich einer solchen Rückschau im Wege gestanden hätten. Da ist zum einen der schöpferische Mangel römischer Philosophie, die kaum je weiter als bis zur Adaption und einem Kommentar griechischen Denkens reichte. Zweitens wurde die Verbreitung unorthodoxer Ideen durch Einschüchterung und physische Vernichtung intelligenter Zeitgenossen verhindert. Schließlich aber stand der Wiederbelebung der Mythen das übermächtige rivalisierende Paradigma des Christentums im Wege. So konnte aus der Antike nur anthropozentrisches Gedankengut in das christliche Mittelalter tradiert werden (vgl.40;18).

Der antike Humanismus, der angesichts realer Lebensbedingungen ohnehin kurz vor der Kapitulation stand, konnte mit dem Christentum eine neue, erheblich dauerhaftere Synthese bilden. Das Christentum sprach vom Untier im Menschen als Zeichen der Abkehr von Gott, sodaß der Humanismus für die Gläubigen gerettet war, der sogleich theozentrisch verankert wurde. Das zentrale Credo des Christentums bezog sich auf den Liebestod des humanophilen Sohnes des Schöpfergottes, der "den periodischen misanthropischen Anwandlungen seines Vaters damit ein für allemal die Spitze nahm"(40;19). So lebt im Mittelalter der einzelne, um das Untier aus sich selbst zu vertreiben im Zuge eines Läuterungsprozesses, zu dem empfohlen wird, die Confessiones des Augustinus zu vergleichen. In früher Zeit zeigen sich die Phänomene des Märtyrertums, denen in späterer Zeit, dem christlichen Mittelalter, die Ideale der Versagung und Askese folgen.

III.3.4 Theozentrisch motivierte Gewalt im Mittelalter

Den Untieren, denen Askese nicht sosehr lag und die sich selbst daher unfähig fanden, ihre Aggressionen und ihren Vernichtungswillen auf sich selbst zurückzuspiegeln, denjenigen also, die außerstande waren, vor dem Menschen "in den Schoß oder die schützende Hand Gottes"(40;20) zu fliehen, mußte die mächtige Kirche des Mittelalters die Möglichkeit geben, sich auszuagieren. Mit der Verfolgung von Häretikern und Andersgläubigen standen hierfür mannigfaltige Gelegenheiten zur Verfügung.

Zwar sollten die Rechtgläubigen ihr eigenes Fleisch kasteien, gegen die Heiden und Ketzer jedoch war die Grausamkeit der Streiter für Christus ein Gottesgeschenk (vgl.40;20). Bei der Erstürmung Jerusalems am 15.7.1099 erreichte der "Eifer für die heilige Sache" einen Höhepunkt, u.a. mit der Zertrümmerung heidnischer Säuglinge an Türpfosten.

Auch innerhalb von Europa wurde der religiöse Gegner zum Unmenschen, "in dem man Relikte des Humanen in der Folter erst mühsam freilegen mußte"(40;22).

"Der Theozentrismus, der angetreten war, der Barbarei zu steuern und das Untier in der Askese unter Verschluß zu nehmen, brachte somit mit fortschreitender historischer Entwicklung selbst immer mehr jener Schlächter und Vollstrecker hervor, die sich gegenseitig als Anhänger der Religion der Liebe hofierten, deren wirkliches Lebenselement allerdings das Autodafé und der Schindanger abgaben und die in ihren Predigten Langmut und Vergebung, in ihren Taten rasender Menschenekel beseelte"(ebd.).

III.3.5 Anthropozentrisches und anthropofugales Denken in der

Renaissance

Das nominalistische Denken des Duns Scotus und des Wilhelm von Occam (Horstmanns Schreibweise), bei denen Universalien nicht mehr von den Einzeldingen unabhängige Wesenheiten waren, sondern vielmehr Verallgemeinerungen des Denkens, erklärte das Handeln voluntaristisch, als Ausdruck eines freien Willens, der Taten post factum rechtfertigte.

Was dabei als Willensfreiheit erscheint, ist aber in Wirklichkeit eine erste Einsicht in die Instrumentalisierbarkeit von Weltanschauung zur Lenkung der Massen, womit sich Greuel zu Heldentaten umdeuten ließen.

Die Auswirkungen dieses Skeptizismus konnten von der Scholastik nicht mehr ermessen werden, ohne den Rahmen scholastischen Denkens zu sprengen. Darauf folgte die "kopernikanische Wende zum neuzeitlichen Denken der Renaissance"(40;23), das sich nun selbst nicht mehr als "Magd der Theologie" verstand, sondern den säkularisierten Menschen auf seinem Banner trug. Der Humanismus war janusköpfig. Er trug nicht nur als Vorderseite das Gesicht des antiken Menschen, sondern auch, als Rückseite "die Fratze des Untiers"(ebd.).

So liegt im Humanismus der Renaissance bereits ein anthropofugaler Keim: das philosophische Absehenkönnen vom Menschen, das sich in den folgenden Jahrhunderten erst mühsam der Philosophie einprägte, die nun endlich die Menschenfeindlichkeit des Mythos beerbte.

Um deren Doppelgesichtigkeit aufzuzeigen, wird nun die Frage nach den konstitutiven Inhalten der Renaissance gestellt. Was ist Renaissance? Der Mensch strebte sich aus den Fesseln eines zynisch gewordenen Theozentrismus zu befreien, indem er die antiken Begriffe von Humanität restaurierte, ein Humanitätsideal, das sich bei Cicero vorbildlich formuliert findet. Renaissance geriert sich auch als Wiederbelebung eines antiken Anthropozentrismus. Lactantius, der "christliche Cicero", suchte antikes Gedankengut, als Prinzenerzieher am Hofe Konstantins, im christlichen Gewand zu bewahren. Bei ihm zeichnete sich der Mensch vor dem Tier noch nicht als Ebenbild Gottes, sondern durch seine Vernunft aus.

Auch in Giovanni Pico della Mirandolas 1496 geschriebener Abhandlung De dignitate hominis wird die Vernunft, die eigentlich nur Ersatz für fehlende Instinkte des Untiers ist, zum größten Gottesgeschenk verklärt.

Die völlige Verformbarkeit des instinktlosen und daher undeterminierten Menschen kommt in der Renaissance zu Bewußtsein, und so erhebt die Menschheit hinter der griechisch - römischen Maske gepflegter und tugendhafter Menschlichkeit ihr Medusenhaupt, in dem das Bewußtsein unbegrenzter Macht erwacht und vor sich selbst erschrickt.

In unterschiedlicher Deutlichkeit zeigt sich diese Antithetik bei den "drei profiliertesten Denker(n) der frühen Neuzeit"(40;26): Erasmus von Rotterdam, Niccolo Machiavelli und Michel Eyquem de Montaigne. Was in der französischen Aufklärung erstmals zur "bewußt anthropofugalen Reflexion"(ebd.) wird, ist deutlich vorgeformt in Machiavellis Werk "Il principe", in dem er amoralisch und mit unübersehbarer Legitimierung von Gewalt die Möglichkeiten des Machterwerbs "gleichsam durchdekliniert"(40;27). Sittsamkeit und Humanität sind Elemente herrschaftsstabilisierender Maskerade, weit entfernt davon, absolut gültige Werte zu sein. Die Überlebensgarantie für den Herrscher ergibt sich vielmehr aus dessen "Rollenflexibilität", ein "Oszillieren zwischen Mensch und Untier"(ebd.). Angefeindet wurde Machiavelli durch die Nachwelt, weil er die Illusion herrschaftlichen Gottesgnadentums und Edelmutes zerstört hatte. Machiavelli erzeugte einen anti - humanistischem Gegenstandpunkt zum Renaissance - Optimismus, der sich als parasitäre Ideologie in der letztgenannten Hauptströmung einnistete, um sich schließlich seinem Wirt gegenüber als vitaler zu erweisen. Eine Geistesverwandtschaft mit diesem "mißratenen Sohn des Humanismus"(40;28) sieht Horstmann in der Laus stultitiae des Erasmus, gewidmet dem, bis zum Tode unbestechlichen Zeitgenossen, Thomas Morus. Die Geistesverwandtschaft besteht in dem oben bereits erwähnten Blickwinkel auf die Menschheit, der diese von außen so beschreibt, als sei man selbst nicht ein Teil davon. Nur den Schrecken vor dem Gorgonenhaupt, dem Machiavelli sich aussetzt, vermeidet Erasmus "durch ein System philosophischer Spiegel und Brechungen"(40;29). "Diese höchst eigenartige Mischung aus klarster Einsicht in die ‘condition humaine’ und einem willentlichen, in seiner Aufgeklärtheit doppelt paradoxen Selbstbetrug, mittels derer der Humanismus des Erasmus die Impulse philosophischer Menschenflucht unter Kontrolle hält, war instabil und brisant und wohl nur für einen kurzen historischen Augenblick möglich"(40;29f.).

Im Späthumanismus verflog der Glaube an das Gute im Menschen. Montaigne fürchtete stattdessen, der Mensch habe einen "Instinkt zur Unmenschlichkeit"(40;30) von der Natur bekommen, weshalb es ihm wohl anstehe, auf seinen Rang als Krone der Schöpfung zu verzichten. Der Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Hugenotten, der 1572 in der Bartholomäusnacht kulminierte, veranlaßte Michel de Montaigne in seinen 1580 veröffentlichten Essais zu tiefer Skepsis. Sein "Vertrauen in den individualisierten und humanisierten Renaissance - Menschen"(ebd.) gab er auf, angesichts der hereinbrechenden Barbarei und des Ethnozentrismus als Antithese zum Weltbürgertum.

"Wo ist der Maßstab, so fragt Montaigne, der es uns erlaubte, unsere Verhaltensnormen und Gebräuche für edler, für zivilisierter zu erklären als die anderer Kulturkreise? Besteht nicht vielmehr gerade da ein moralisches Gefälle, wo wir uns in grotesker Selbstüberschätzung weit über die ‘Primitiven’ und ‘Wilden’ zu erheben wähnen"(40;30f.)?

Als Alternative zu den Ideologien seiner Zeit empfiehlt Montaigne das Vertrauen in die eigene abstrakte Vernunft, die "Idolen" mißtraut. Diese hat aber nur noch das Niveau heutiger Ideologiekritik und taugt so zum "Durchschaubarmachen ... falschen Scheins". Der Mangel dieser Einstellung an Substanz macht sie unfähig, selbst neue Leitbilder zu entwickeln. Das neue kritische Denken, stark beeinflußt durch die Naturwissenschaften, kristallisiert sich im Novum Organon des Francis Bacon. Um mit Vorurteilen und Irrtümern abzurechnen, legt er eine vierteilige Idolenlehre vor, die zwischen idola tribus, idola specus, idola fori und idola theatri unterscheidet (vgl.40;31). "Idola tribus" sind die Vorurteile des gesamten Menschengeschlechtes, "anthropomorphes und anthropozentrisches Denken"(40;32), "ex analogia hominis"(ebd.).

"Die idola theatri bezeichnen die Irrtümer der Philosophie selbst, womit sich Bacon gegen eine unkritische und ungeprüfte Übernahme von Denktraditionen und damit gegen die imitativ - epigonalen Seiten der Renaissance selbst wendet"(ebd.).

III.3.5.1 Kritische Anmerkungen zu Horstmanns Thesen über die Renaissance

Zunächst glaubt man, Horstmann stehe bezüglich des Universalienstreites auf der Seite der Universalien - Rationalisten. Hätte man bis heute immer nur von oben nach unten gedacht, unsere Umwelt für ein Trugbild gehalten und den Ideenhimmel für die Wirklichkeit, so wäre der Mensch klein geblieben. Wegen der Evidenz, daß der Mensch sich bei geringerer Freiheit, dadurch vermutlich ohne technischen Fortschritt, ganz anders entwickelt hätte, fragt sich, wenn man dem "Untier" etwas vorgreift, denn zur eigentlichen Intention des Buches kommt es erst ab S.54f., hier auf S.23, ob Horstmann in Wirklichkeit auf der Seite des Menschen oder des Nichts steht. Die Frage ist nämlich, ob der Mensch ohne die Steigerung seiner Hybris, die nach Horstmann erst durch die im Gefolge des Nominalismus behauptete Willensfreiheit, denn ein Mensch, der individuell geschaffen und nicht nur Abdruck eines Originals ist, ist frei, möglich wurde, je in Versuchung gekommen wäre, sich selbst zu zerstören.

Anschließend wird Erasmus gegen den Strich gebürstet. Auch Montaigne wird bewußt mißverstanden. Er war zwar Skeptiker, aber auch selbstironisch. Seine Essais waren natürlich unter dem Eindruck des Zeitgeschehens, aber auch bewußt als Selbstbetrachtungen entstanden. Wenn man Montaigne z.B. hier zitiert: "Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes"(37;28), zeigt sich zwar ein düsteres, aber doch ein Festhalten am Leben, das den Tod als Bedingung des eigenen Seins in seiner Mitte begreift und akzeptiert. Diese Attitüde zum Tod bejaht das Leben, statt es zu verneinen. So verdreht Horstmann, wie schon zuvor bemerkt, Intentionen. Philosophen, die ihrer Unzufriedenheit mit Not und Krieg Luft machen wollten, werden zu Gewährsleuten der Vernichtung gemacht. Trotz der nachweisbaren gedanklichen Verbindung des einen mit dem anderen, wird Francis Bacon gelobt und Wilhelm von Ockham getadelt. Auch Ockham war ein Gegner der Täuschung, allen voran der Selbsttäuschung, Glauben und Wissen schied er voneinander, und der Satz "Wissen ist Macht" stammt vielleicht nur deshalb nicht von Ockham, weil es den gelehrten Mönch nicht interessierte, Macht zu haben

So geißelt Horstmann die gedanklichen Voraussetzungen für den technologischen Fortschritt, die noch innerhalb der Kirche gediehen, lobt aber gleich darauf den, der daraus Nägel mit Köpfen machte. Er spricht sich weiter vorne gegen Plato aus, schiebt ihm sogar den Homo - Mensura - Satz in die Schuhe, um dann plötzlich gegen die Nominalisten mit Platos Standpunkt zu liebäugeln.

Auch die Interpretation der idola tribus als "Vorurteile, die dem gesamten Menschengeschlecht gemeinsam sind", ist zweifelhaft. Näher liegt die Vermutung, daß Bacon ethnozentristische Gesinnung damit meinte.

III.3.6 Leibniz

Sosehr Leibniz Achtung für seine Gelehrsamkeit gebührt, besonders die geniale Monadologie wird hervorgehoben, sowenig ist ihm doch der offenbare zerebrale Lapsus seines Optimismus zu verzeihen, der unübersehbar in seiner Theodizee zum Vorschein kommt. Kurz vor Ende des 30 - jährigen Krieges geboren, in einer Welt voller Krüppel und Bettler also, sinniert Leibniz von der "besten aller möglichen Welten", womit er ebenso seine Menschenverachtung zugunsten Gottes, des Schöpfers einer giftverseuchten Schlangengrube, als auch seinen eigenen völligen Realitätsverlust beweist. Voltaires geniales Gelächter in seinem Candide war eine zwingend notwendige Reaktion hierauf.

Auch Hegels "Weltgeist" stünde nicht besser da, hätten seine Phänomenologie und Enzyklopädie einen entsprechenden Kommentator gefunden (vgl.40;33f.).

III.3.6.1 Kritik an Horstmanns Leibniz - Bild

Es kann nicht genug davor gewarnt werden, Leibniz als Philosophen zu unterschätzen, wenngleich er auch mit seiner christlich - traditionalistisch anmutenden Diktion, wie durch das Fehlen revolutionärer Thesen überhaupt, nicht unbedingt unserem Zeitgeschmack entspricht. Während Horstmann von der "ungeheuerliche(n) kulturelle(n) Verdrängungsarbeit"(40;34) der Theodizee spricht, weist er gleichzeitig auf die "grandiosen Proportionen der Leibnizschen Monadologie" hin (ebd.). Da Horstmann keineswegs unbekannt sein kann, daß Monadologie und Theodizee in untrennbarer gegenseitiger logischer Verknüpfung zueinander stehen, sind es doch die Monaden, aus denen die beste aller möglichen Welten besteht und ohne deren besondere Kraft eine perfekte Welt nicht mehr verändert werden könnte, vermute ich hier ein von Horstmann beabsichtigtes Paradox, das den Leser zur Lektüre beider Texte nötigt, um ihn dann an Horstmanns beabsichtigt enttarnbarer Pseudologik verzweifeln zu lassen.

In dem Bild des "von Pikenstößen entstellten, um Almosen bettelnden Landsknechtes"(40;35) mahnt Horstmann das Leibniz fehlende Mitleid an.

III.3.7 Meslier, Voltaire, d'Holbach und die Aufklärung

Zu viele Greueltaten waren bedeckt worden vom Mantel der Nächstenliebe, vom angeblich Gottgewollten, von höherer Weisheit und demütigem Ertragen. Es schlug die Stunde der Aufklärung, des "Ausgangs des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit"(40;37) - so formulierte es Kant. Die Wirklichkeit galt es unter den vielfachen Bedeckungen, den Reminiszenzen eines verlogenen Systems, mühsam wieder freizulegen, sie wieder sichtbar zu machen. Besonders deutlich prangerte der, heute schon fast vergessene, Abbé Jean Meslier die Zustände an. Er, der 40 Jahre lang eine Pfarrstelle hatte, war Atheist, Materialist und Anarchist. Er wünschte sich in seinem Testament, daß "all die Großen der Erde und alle Adeligen mit den Gedärmen der Priester erhängt werden sollten"(ebd.). Beobachtung und Lebenserfahrung ließen seinen Traum vom Reich der Freiheit zerplatzen.

Sein Leben lang hatte er sich verstellen müssen. So konnte er zum Schluß das Untier ebensowenig glorifizieren, wie bemitleiden.

"Ich habe soviel Bosheit in der Welt erlebt, ja selbst die vollendetste Tugend und die reinste Unschuld waren vor der Tücke der Verleumdung nicht sicher. Ich sah, und man sieht immer noch alle Tage eine Unzahl schuldlos Unglücklicher, die ohne Grund verfolgt und zu Unrecht unterdrückt werden, ohne daß jemand durch ihr Los gerührt würde oder daß barmherzige Beschützer ihnen hülfen. Die Tränen sovieler gebrochener Gerechter und das Elend so vieler von den schlechten Reichen und den Großen dieser Erde so tyrannisch unterdrückten Menschen haben mir ... so großen Ekel und solche Verachtung vor dem Leben eingeflößt, daß ich ... den Zustand der Toten weitaus glücklicher halte als den der Lebenden und jene, die niemals gelebt haben, für noch tausendmal glücklicher als die Lebenden, die noch immer unter solch großem Elend seufzen"(40;37f.). Horstmann sagt dazu: "Zu solch prinzipieller Absage vermag sich ein Voltaire ... allenfalls gegenüber der Kirche, nicht aber gegenüber dem Menschen durchzuringen"(40;38).

Auch Voltaire kennt die Schrecken dieser Welt, wie sich in seinen Romanen und Geschichten deutlich zeigt: In Zadig, Babuk oder der Lauf der Welt und Geschichte der Reisen Scarmentados benehmen Menschen sich grundsätzlich als Untiere. In Zadig hält der Protagonist die Menschen sogar für "Geziefer, das sich auf einem Schmutzstäubchen gegenseitig verschlingt"(ebd.). Allerdings beherrscht Voltaire denselben Kunstgriff wie Erasmus, nämlich sich an der halluzinogenen Wirkung von Ironie und Spott zu berauschen, so daß ihn die existentielle Betroffenheit nicht so wie Meslier ereilt. Der "gleichsam olympische Standort"(ebd.) der Protagonisten und damit des Lesers, gewährt Entlastung von der Grausamkeit der Szenen. Das Amüsement des Lesers ist garantiert, wenn in Micromegas zwei Riesen von Sirius und Saturn von einem winzigen Thomisten, der für sie nur durch eine Lupe erkennbar ist, belehrt werden, daß die Erde nur um des Menschen willen geschaffen worden sei.

Kaum jemand wird nicht mit einstimmen in das homerische Gelächter der beiden. Dieser Voltaire eigentümliche Verfremdungseffekt ist überall bei ihm anzutreffen, auch in einer von Horstmann zitierten Kriegsbeschreibung, in der "hunderttausend Narren unserer Art, die Hüte tragen, hunderttausend andere Tiere umbringen, die Turbane tragen ... und daß der Streit um ein paar Schmutzhaufen geht"(40;39). Vielleicht ist es "mühsam getrimmter Galgenhumor"(ebd.), aber gewiß ist, daß Voltaire nicht in der Lage war, den letzten radikalen Schritt in die Anthropofugalität zu tun. Paul Thiery d’Holbachs 1770 anonym erschienenes Buch System der Natur nennt er daher "eine Sünde wider die Natur"(ebd.).

In seinem militanten Materialismus dürfte das System der Natur als legitimer Vollstrecker des Testamentes des Meslier gelten. D’Holbach vollzieht den Schritt vom Humanismus zum anthropofugalen Denken. Er verwirft die Sympathie für die von den homerischen Göttern belächelten Sterblichen zugunsten einer distanzierten und "affektneutralen orbitalen" Sichtweise. Damit haben die unzähligen Versuche der Gattung seit der griechischen Stoa, sich selbst ungetrübt von Eigenlob, anthropozentrischem oder theozentrischem Selbstbetrug, in den Blick zu bekommen, endlich Erfolg (vgl.40;40). Zugleich entdeckt d’Holbach "den einzig möglichen Fluchtweg aus dem Gefängnis des Gattungsnarzißmus, nämlich die philosophische Erinnerung an das urtümlich mythologische Bewußtsein, daß wir Fremde, Ausgestoßene, daß wir die Parias der Schöpfung sind, weil wir als einzige spüren, daß das Organische nichts ist als ein großes wechselseitiges Würgen und Verschlingen, ein Einverleiben ohne Ende, ohne Sinn, ohne Ziel"(40;41).

Bei d’Holbach selbst hört sich das so an: "Scheint der Eroberer nicht seine Schlachten für die Raben, für die wilden Tiere und die Würmer zu schlagen? ... Alle Dinge ... entstehen um unterzugehen ... Ein sehr flüchtiger Blick genügt also,um uns darüber zu belehren, daß die Idee falsch ist, nach der der Mensch die Endursache der Schöpfung ... ist"(ebd.). Hier wird deutlich, daß sich d’Holbach vom "teleologischen Naturbegriff" distanziert, der die Natur als "Pyramide" dachte: vom Anorganischen zum Organischen, vom primitiven Mikroorganismus zum ausdifferenzierten Wirbeltier und dann zum Menschen, im System der Natur wird deren Ziellosigkeit behauptet, und das Untier findet sich wieder als ein Organismus unter vielen, der in die "Konkurrenz alles Seienden" zurückfällt und so erstmals vorstellbar wird als fossil oder ausgestorben.

Konsequent fordert D’Holbach die Rücknahme der königlichen Rolle des Menschen, eine Idee, die schon von Montaigne anvisiert worden war (vgl. 40;30). Der Mensch ist ein "überholbares Eintagswesen"(40;42). Trotz der erwähnten Vorarbeiten anderer Denker, ist diese, Aspekte des Darwinismus vorwegnehmende, Erkenntnis eine Pionierleistung, die nicht mehr zurückgenommen werden kann. Die Vernunft gesteht sich ihre eigene Sterblichkeit ein und leistet Verzicht auf die Teilhabe an Gottes spirituellen Geheimnissen. Zugleich beginnt Kant, ganz in d’Holbachs Sinn, die Grenzen des Erkennbaren abzustecken und die metaphysische Spekulation ins Aporetische auszulagern, während einige französische Aufklärer versuchen "- wir erinnern uns an Voltaires Kommentar -", dem System der Natur Inkongruenzen mit der Wirklichkeit nachzuweisen. Zu den Kritikern gehören Condorcet, der "eine säkulare Metaphysik des unendlichen Fortschritts"(ebd.) vorlegt und Rousseau, der in einer "bußfertige(n) Zivilisationskritik"(40;43) versucht, "das Destillat des jüdisch - christlichen Auserwähltheitsbewußtseins"(ebd.) zu retten.

"Diese ‘Aufklärung’ war der Aufklärung nicht gewachsen"(ebd.). Der "anthropozentrische Revisionismus" macht sich nun daran, zu seinem eigenen Vorteil umzudenken. Statt "Gott und Vaterland" sind Menschenrechte angesagt, in deren Namen es zu brandschatzen, plündern und morden gilt. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" skandierend zieht das Untier "flugs die Trikolore auf"(ebd.) und "macht sich

besten Gewissens an die Dezimierung seiner Landsleute ... wenig später unter der Führung eines zwergenhaften Korsen an die Verheerung ganz Europas"(ebd.). Angesichts solchen "guillotinierenden Patriotismus" wäre es an der Zeit gewesen, das Menschenbild in d’Holbachs Sinn radikal abzuändern, aber weit gefehlt! Man fand sofort entsprechende Ausreden, habe es nur gut gemeint und dabei "Briefe zur Beförderung der Humanität verfaßt". So mußte die Theorie rein und makellos gewesen sein, war sie auch von gewissen Leuten zur Rechtfertigung von Übeltaten mißbraucht worden. Als nach den napoleonischen Kriegen alles in Stücke geht, als Demagogenverfolgung und Karlsbader Beschlüsse "für Ruhe in den Ruinen"(40;44)sorgen, lehrt Schelling den "Urgrund", Hegel den "Weltgeist", während Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schleiermacher "ohne Rücksicht auf ‘beiherspielende’ Wirklichkeit"(ebd.) Humanität und Persönlichkeitsentfaltung lehren.

III.3.7.1Anmerkungen zu Horstmanns Text über die Aufklärung

Wie im ganzen Text verallgemeinert Horstmann sehr stark, wenn er Voltaires Protagonisten aus "Zadig oder das Schicksal" zitiert. Er läßt unerwähnt, daß der zweite Protagonist, dem der Titelheld Zadig erst im zwanzigsten Kapitel begegnet, einen Engel vorstellen soll, der sich als Eremit verkleidet hat. In verschiedenen Geschichten, die sich mit der gleichen galanten Neckerei mal gegen Leibniz und mal gegen Rousseau wenden, wie z.B. die Geschichte mit dem Huronen, betrachtet Voltaire die Erde aus der Sicht eines anfliegenden Engels. Die Erde kommt ihm vor, wie ein "Schmutzstäubchen", auf dem sich Geziefer gegenseitig verschlingt, gemeint sind die Menschen, die von weit oben winzig aussehen. Voltaire hat durch diese kuriosen Perspektiven auf die Menschheit mit einigem Erfolg seine Leser unterhalten, was Horstmann auch nicht verschweigt. Diese ironische Selbstbespiegelung aus dem Weltall aber ernsthaft "anthropofugales Denken" zu nennen, hätte Voltaire, der sich in der Rolle des ironischen Spaßmachers sehr gut gefiel und dabei das Spezialgebiet der Späße, die eigentlich keine sind, wie Katastrophen, menschliche Greueltaten usw. pflegte, wobei er aber dem Leben, wie seine Biographie andererseits zeigt, sehr zugetan war, sicher zu schallendem Gelächter veranlaßt. Die Stelle, wo Horstmann mit Voltaire noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will und zu seinen Gunsten annimmt, es handele sich um "mühsam getrimmten Galgenhumor", ist lächerlich! In der Konsequenz hieße das ja: "Ein Schurke, der das Leben liebt!" Vielleicht bin ich auch einfach noch nicht gebrechlich genug, um Hostmann, der immerhin 13 Jahre älter ist als ich, diese Einstellung nachfühlen zu können!

Der Humor des 18.Jahrhunderts scheint Horstmann jedenfalls zu derb zu sein. Seine Meinungen über Voltaire und den, dem Text nach völlig frommen Meslier, lassen ihn keineswegs härter, sondern vielmehr empfindlicher als andere heutige Zeitgenossen erscheinen. Daß in Frankreich zu Mesliers Zeiten ein Mensch, der nicht mit außerordentlichen Privilegien ausgestattet war, wie später Voltaire, den Intrigen sowohl der Kirche, als auch der staatlichen Organe hilflos ausgeliefert war, bleibt unbestritten. Daß Voltaire, der aus heutiger Sicht soetwas wie satirische Fantasy - Romane geschrieben hat, über Gemetzel, die zu seiner Zeit stattfanden, direktere Informationen als die aus der Zeitung gehabt hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Daher ist sein Stil auch ironisch und wirkt keineswegs wie aus dem Leben gegriffen. Oft scheinen seine Figuren aus Holz zu sein, wie der Junker, den Candide zwar mit dem Degen erstochen hat, ihm aber nichtsdestotrotz Jahre später auf einer Galeere begegnet, wo beide Sträflinge sind, wobei natürlich Dr. Pangloss nicht fehlen darf, der das Hängen überlebt hat, wodurch sich ihm aber offenbar eine Fülle neuer Erkenntnisse mitgeteilt hat. Diese Geschöpfe von Voltaires Fantasie wären sogar in den Augen eines Kindes Geziefer, das sich auf einem Staubkorn um winzige Dinge prügelt! Mit keinem Wort wird die Befürchtung genährt, daß es sich um reale Menschen handelt.

 

 

III.3.8 Schopenhauers deutliche Formulierung anthropofugalen Denkens

Alles in allem war der deutsche Idealismus und sein "gespreizter" Umgang mit dem Absoluten ein philosophischer Irrweg. Nur einem ist es gelungen, mit seinem Werk aufzuzeigen, was ein Hegel, Schelling oder Fichte hätte leisten können, ohne die Augenkrankheit des Anthropozentrismus. Die Rede ist von Arthur Schopenhauer, der seine unorthodoxe, dem romantisierenden deutschen Idealismus nicht konforme Geisteshaltung mit dem Ruin seiner akademischen Karriere bezahlte. Er versagte sich "dialektischen Glasperlenspielen" und "a priorischen Weltsystemen". In ihrem Aufbau zeigt "Die Welt als Wille und Vorstellung" noch die Methode eines "spekulativen Idealismus"(40;45), während inhaltlich deutlich d’Holbachs Aufklärung hindurchscheint.

D’Holbachs Aufweis der Denkbarkeit einer menschenleeren Welt findet bei Schopenhauer sogar eine Erweiterung durch den Nachweis ihrer Wünschbarkeit. Schopenhauers Denken beruht im Gegensatz zu Hegels Phänomenologie auf von a priorischen Denkapparaten unzensierter Wirklichkeitserfahrung, der tiefen Einsicht in das Leiden am Dasein. Leiden ist bei Hegel "unglückliches Bewußtsein", Resultat des "Wahnsinns des Eigendünkels"(ebd.), "seine Spekulation kümmert sich im Wortsinn einen Dreck um das wimmernde, das brüllende Fleisch, die Tonnen von Menschenaas, die der Weltgeist bei jedem Schritt vorwärts hinter sich läßt, um die Völker und Nationen, die als ‘bewußtlose Werkzeuge’ nach Gebrauch am Wege zurückbleiben und denen Hegel bescheinigt, sie seien fortan ‘rechtlos’ und ‘zählen nicht mehr in der Weltgeschichte’" (40;45f.).

Schopenhauer hat diesen Rückfall in Leibniz’ Theodizee stets gegeißelt. Bei ihm verdankt alles Leben sein Dasein einem "zwanghaften und blindwütigen Lebensdrang". Kaum ist es geboren, so fällt es auch schon übereinander her, das Untier ebenso wie alles "sich zerfleischende Vitale"(40;47). Sinn und Ziel sind ebensowenig in der Gattungsgeschichte, wie in der individuellen Existenz anzutreffen. Doch leidet das Untier noch viel mehr, als andere Lebewesen: "Gerade die philosophische Reflexion ist deshalb bei Schopenhauer immer auch qualvolles Denken"(40;48). Die bloße Vorstellung einer "Menschheitsdämmerung"(ebd.), ist folglich für Schopenhauer nicht mehr ausreichend. Sein anthropofugales Denken hat Forderungscharakter: so sehr diese Einstellung heutigem (zur Zeit Schopenhauers) europäischem Denken auch widerstrebt, ist es doch "die wichtigste aller Wahrheiten"(ebd.), daß das Dasein eine Irrung ist, aus der zurückzukehren Erlösung bedeutet. Schopenhauer fordert apodiktisch, "daß wir besser nicht da wären". Es wäre nicht nur wünschenswerter für ein einsichtsfähiges Wesen, nein, es ist so. Daraus werden Verhaltensanweisungen hergeleitet. Der den "schönen Schein blühenden Lebens durchschauende Weise" soll für sich das Wollen verneinen. Kontemplation, Mitleiden mit der geschundenen Kreatur und Aufhebung des Individuationsprinzips sollen ihn beruhigen, Reduktion der kaleidoskopartigen Vielfalt auf das "Ding an sich", den blinden Weltwillen. Die Folge ist, daß der Wille sich vom Leben abwendet und resigniert. Dennoch lehnt Schopenhauer den Selbstmord ab. Der Selbstmörder negiert "nur das Individuum, nie die Gattung, so daß der Wille zum Leben ... an sich ungestört ... bleibt"(40;50). Schopenhauers Ideal der Askese steht Horstmann kritisch gegenüber (vgl. die folgenden Anmerkungen zu diesem Kapitel). Nun folgt ein längeres Schopenhauer - Zitat, das seinen Ekel vor der Gewalt auf den Punkt bringt:

"Und dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehn, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Thier das lebende Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntniß die Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächst, welche daher im Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren, je intelligenter er ist, - dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen und sie uns als die beste unter den möglichen andemonstrieren wollen. Die Absurdität ist schreiend. - Inzwischen heißt ein Optimist mich die Augen öffnen und hineinsehn in die Welt, wie sie so schön sei, im Sonnenschein mit ihren Bergen, Thälern, Ströhmen, Pflanzen, Thieren u.s.f. - Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehn sind diese Dinge freilich schön; aber sie zu seyn ist ganz etwas Anderes" (86;754, zit. bei 40;46f.).

 

 

 

III.3.8.1 Anmerkungen zu Horstmanns Schopenhauer - Interpretation

Wenngleich Schopenhauer die Verneinung des Willens zum Leben empfiehlt, bezeichnet er dessen Bejahung doch als legitim und ist damit kein wirklicher Protagonist des Untiers. Schopenhauers Anleihen bei indischen religiösen Schriften bezeichnet Horstmann als "eher aufgesetzt und als Ausdruck uneingestandener philosophischer Ratlosigkeit"(40;50) und radikalisiert damit dessen anthropofugale Thesen.

Tatsächlich wirken einige Stellen bei Schopenhauer wenig überzeugend, ohne expressis verbis von ewigem Leben und Wiedergeburt zu handeln."Aber wir wollen ja eben das Leben philosophisch, d.h. seinen Ideen nach betrachten, und da werden wir finden, daß weder der Wille, das Ding an sich in allen Erscheinungen, noch das Subjekt des Erkennens, der Zuschauer aller Erscheinungen, von Geburt und von Tod irgend berührt werden.(85;392)" und "...eben so knüpft Jeder die Gegenwart an seine Individualität und meint, mit dieser verlösche alle Gegenwart;...(85;399)"

Dies erinnert an die Idee der notwendigen Zerstörung des Ego bei Ramakrishna:"Wie kann die Idee der Egoheit zerstört werden? Man braucht ständige Übung, um es zu schaffen ..."(1;30) und "Dem Willen zum Leben ist das Leben gewiß"(85;392,400). Diese Stellen würden ohne ihren Bezug zur indischen Mythologie aber ganz unverständlich bleiben. Woher will Schopenhauer sonst wissen, daß das Leben nur scheinbar mit dem Tod vergeht (85;392)?

In Schopenhauer sieht Horstmann den Denker der Vernichtung, vielleicht weil die "Verneinung des Willens zum Leben" ein so allgemeiner Vorschlag mit Forderungscharakter ist. Die Sehnsucht nach individueller Auslöschung wurde nur durch Schopenhauers Reduktion um die Transzendenz bei seiner Wiedergabe fernöstlicher Schriften so profan, so wörtlich.

Schopenhauers Zurückweisung des Leibnizschen Optimismus hat es Horstmann besonders angetan. Man erkennt die Schlechtigkeit der "schlechtesten aller möglichen Welten" und verneint den Willen zum Leben, denn dieser ist blind: man schließt eine Ehe und vermehrt sich, aber alles Schöne daran hat man nur geträumt. Die Wirklichkeit ist der alltägliche Hick - Hack, den man aber verdrängt. Hier psychologisiert Schopenhauer. Man kommt, wenn man sich dem Willen zum Leben verweigert, zur eigentlichen Existenz, frei von Erpreßbarkeit.

Diese eigentliche Existenz (vgl.22;33f.) hat aber zum Ziel nur die Auslöschung allen Lebens, urteilt Horstmann, denn das Mitgefühl (!) gebietet dem einzelnen, wahrhaft Existierenden, die Wohltat des Ausgelöschtseins auch den anderen leidenden Lebewesen, Pflanzen, Tieren und Untieren zu gewähren.

Schopenhauer sieht als Pessimist in seiner Zeit tatsächlich wenig Anlaß zu jubeln: "Wie der Mensch mit dem Menschen verfährt, zeigt z.B. die Negersklaverei, deren Endzweck Zucker und Kaffee ist. Aber man braucht nicht so weit zu gehn: im Alter von fünf Jahren eintreten in die Garnspinnerei, oder sonstige Fabrik, und von Dem an erst 10, dann 12, endlich 14 Stunden täglich darin sitzen und die selbe mechanische Arbeit verrichten, heißt das Vergnügen, Athem zu holen, theuer erkaufen. Dies aber ist das Schicksal von Millionen, und viele andere Millionen haben ein analoges"(86;750). Ein moderneres Beispiel, ut sit homo homini lupus, zitiere ich bei Edson Melo in dem Artikel "Wesen und Mission Brasiliens", der hier in einer Fußnote seinerseits Caetano Veloso zitiert: "... eine Reihe Soldaten, beinahe alles Schwarze, schlagen in das Genick von schwarzen Nichtsnutzen, mulattischen Dieben und anderen fast Weißen, die wie Schwarze behandelt werden, nur um den anderen beinahe Schwarzen (und sie sind beinahe alle schwarz) zu zeigen, wie es ist, wenn Schwarze, Arme und Mulatten und fast Weiße, die so arm sind, daß sie fast Schwarze sind, behandelt werden, und nichts macht es dabei, wenn die Augen der Welt für einen Moment auf den Hof gerichtet sind, wo die Sklaven bestraft wurden..."(96;34).

Das Dichterische der Diktion verhindert hier die Wahrnehmung der Härte. In "Eine Geschichte der Folter, durch die Zeitalter"(89), ebenso wie in "Sterben und Tod im Mittelalter"(74) werden die Möglichkeiten, einem Menschen wehzutun, ziemlich deutlich und vollständig anhand von realhistorischen Beispielen dargelegt. Abgesehen davon, daß er mit solchen, wenn auch fiktiven, Beispielen ebenfalls nicht spart, ermöglichen die Schriften des Donatiën de Sade auch einen tiefen Blick darauf, wieviel von einem Biest im Menschen steckt, dargestellt natürlich als Analyse der korrupten Verhältnisse in Frankreich zur Zeit des Niedergangs der Monarchie, der die Realität, mit der de Sade natürlich nicht dienen kann, wie man inzwischen weiß, in nichts nachstand (80;229f.). Sehr interessant, wenn auch den omne vivum ex ovo - Satz ignorierend, sind auch seine Ausführungen über die Wiedergeburt der Materie (vgl.80;51). Die Sexualität war ihm ebenso wie Schopenhauer und später Freud allgewaltig. Alle drei deuteten sie jedoch als blinde Kraft: Freud als Ursache für Neurosen, Schopenhauer als das Wahre vernebelnd, wofür ihm der Begriff "Existenz" noch nicht zur Verfügung stand, de Sade agierte die Sexualität als blinde Kraft in seinen Romanen aus, in Form von Gewaltausbrüchen und heimtückischer Bosheit, als erster von den Dreien übrigens.

III.3.9 Eduard von Hartmanns anthropofugaler Standpunkt

Der Ex - Offizier und Privatgelehrte Eduard von Hartmann veröffentlichte 1869 seine Philosophie des Unbewußten, mit der er an Schopenhauer anknüpfte. In diesem Werk hat er die Ratlosigkeit eines Bewußtseins, das sein Dasein zwar als permanentes Leiden erfährt, aber nur über

ungenügende Mittel zur Abhilfe verfügt, wie etwa die narkotisierenden Einflüsse fernöstlicher Lehren, oder andere lediglich partikulare Mittel, klar zum Ausdruck gebracht. Er gestand offen "die Ohnmacht einer spekulativen Phantasie"(40;51) ein, die im "präatomaren 19. Jahrhundert"(ebd.) noch nicht über Mittel verfügte, die "leidvolle menschliche Existenz in globalem Maßstab"(ebd.) aufzuheben.

Das Schopenhauersche Konzept zur "individuellen Negation des Willens" kommentiert Hartmann folgendermaßen: als Option für den Einzelnen sei dies unmöglich, weil mit Schopenhauers Grundgedanken unvereinbar, daß nämlich der Wille das "all-einige Wesen der Welt" sei und das "Individuum nur subjektiver Schein". Dem individuellen Willen stünde es nicht zu, sich selbst aufzuheben, sei er doch selbst "nur ein Strahl jenes all -einigen Willens". Darum sei ein Streben nach individueller Willensverneinung "noch törichter als der Selbstmord", zeitigt es doch dieselbe Auswirkung, nur qualvoller und zeitlich verzögert, nämlich die "Aufhebung dieser Erscheinung, ohne das Wesen zu berühren, das für jede aufgehobene Individualerscheinung sich unaufhörlich in neuen Individuen darstellt und objektiviert"(ebd.). Gerade weil Hartmann sich zum Schopenhauerschen Pessimismus bekennt, kann er sich nicht dessen "halbherzigem asketischen Meliorismus" anschließen. Wo das Leid allgegenwärtig "und das Glück immer Illusion ist"(40;52), Hartmann analysiert akribisch und weitläufig die "Phantasmata"(ebd.) des Glücks, sei es vermeintlich diesseits, jenseits, in Zukunft, oder sonstwo. Die Erlösung muß alle erfassen und nicht nur das unteilbare menschliche Einzelding. Die Erlösung muß als kollektiver Akt erfolgen, eine eruptiv apokalyptische Tat der Auflehnung des Bewußtseins gegen das eigene Dasein, der nur am Ende des Weltprozesses liegen kann. Dies ist das Ende des Kampfes des Willens mit dem Bewußtsein. Die Erlösung besteht in der "Umwendung des Wollens in Nichtwollen"(ebd.) und ist nur als "kosmisch - universale Willensverneinung" möglich, die zugleich das Ende jeglichen Prozesses bildet, "als der jüngste Augenblick, nach welchem kein Wollen, keine Tätigkeit, und ‘keine Zeit mehr sein wird’". Mangels technischer Möglichkeiten gesteht Hartmann, sich die Art und Weise dieser Auslöschung noch nicht vorstellen zu können. Er rechnete sogar noch mit Jahrhunderten, bis es soweit wäre, "wenn nicht gar - wie ein Hinweis auf das Entropiegesetz nahelegt - mit kosmischen Zeiträumen"(40;53). Hartmann konnte nicht wissen, daß der Menschheit bereits nach drei Generationen mit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki zwei "Lichter" aufgesetzt würden. Ebensowenig konnte er wissen, daß die "Aufhebung allen Wollens ins absolute Nichtwollen" mit der "lässigen Präzision des Routiniers ablaufen dürfte"(ebd.).

III.3.9.1 Kommentar zu Horstmann über Hartmann und Lebensbejahung in Walter Serners Manifest Dada

Hartmann ist nach Schopenhauer nur der zweite Schritt der Pathologisierung von Hindu - Weisheiten durch deutsche Philosophen. Sein "absolutes Unbewußtes" ist mit einem Wort nichts weiter als Samsara, bzw. das Welt - Karma, das alle im Kreislauf der Wiedergeburten hält, bzw. "jede aufgehobene Individualerscheinung ... unaufhörlich in neuen Individuen darstellt"(40;51). Der Kern von Hartmanns Lehre, den Horstmann herausgearbeitet hat, ist also ebenso "narkotischen Ursprungs"(vgl.40;51), wie Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung . Gemeinsamkeiten mit Schelling liegen in der eklektizistischen, gleichsam romantischen Adaption religiöser Inhalte, während die Abstrahierung dieser Inhalte, bis sie fast gar nicht mehr als Theologie identifizierbar sind, Hartmann mit Hegel verbindet, dessen Geschichtsphilosophie auch grüßen läßt. Keine Satire kann diese seltsame Blüte akademischen Denkens überbieten.

Während Hartmann exemplarisch für einen Irrweg der Bildung steht, nämlich den Exzess formalen Denkens, bis ihm nur noch der Tod, der ja schließlich lange genug gedräut hat, als Objekt seiner analytischen Wut verbleibt, formulierte eine Generation später Walter Serner sein durch Plagiat berühmt gewordenes Manifest Dada unter dem Titel "Letzte Lockerung". Bei diesem Vergleich geht es mir darum, unterschiedliche Arten des Umgangs mit einer Lebenswelt zu zeigen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert zumindest schon gewisse Ähnlichkeiten mit der befremdenden Situation im frühen 20. Jahrhundert aufwies. Wie zuvor gezeigt wurde, ist es um Hartmann auf den Gipfeln der Bildung recht düster geworden, doch ex tenebras, genauer einem halbkriminellen Milieu, erhebt sich Serners Licht. Entgegen der damaligen Rezeption handelt es sich dabei weniger um einen Angriff auf die guten Sitten, als vielmehr um die Rückkehr des Lebenswillens in die Philosophie.

Nun zu seinem erstem Satz: "Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins geschätzt werden"(90;3). Ist das etwa "anthropofugales Denken"? "Die tausend Kleingehirn - Rastas ..., welche erigierten Bourgeois - Zeigefingern Feuilletonspalten servieren ..., um Geldflüsse zu lockern, haben dieserhalb Verwahrlosungen angerichtet, die noch heute manche Dame zu kurz kommen lassen"(ebd.). Es liegt nahe, dies als sexuelle Anspielung, oder zumindest undefinierbare Schlüpfrigkeit aufzufassen, nach Schopenhauer ein Symptom des Willens zum Leben. "Was dürfte das erste Gehirn, das auf den Globus geriet, getan haben"(90;3)? Der Gedanke ist eine Monstrosität wie bei Voltaire.

Der ganze Text, so unverständlich er teilweise ist, zielt offensichtlich nicht auf Verneinung des Daseins, sondern Erheiterung, in einer Welt, die als absurd empfunden wird.

 

III.3.10 Moderne Zeiten

Nach einer Irrfahrt über mehr als 2000 Jahre wurde durch Schopenhauer und Hartmann die uralte mythische Gewißheit wiederaufgedeckt, daß wir, die Untiere, die Parias sind auf dieser Welt und daß wir als Entartete gleichwohl der Schöpfung, wie der Evolution uns in einem "Spasmus der Vernichtung"(40;54) selbst aufheben und ad absurdum führen, die Nachwelt befreiend von der Erinnerung an unser schmerzhaftes Dasein.

Hier wird anthropofugales Denken in seiner Wahrheit so evident, daß man sich fragt, wie überhaupt an ihr gezweifelt werden, wie sie überhaupt als Kern des Mythos verlorengehen konnte.

Wenn auch Schopenhauer und Hartmann die gar nicht genug zu lobende Leistung der Wiederentdeckung der Menschenflucht vollbracht haben, so wurzelte doch der harte Kern der Lehre von der Selbstauslöschung des Untiers im Denken des frühen 19.Jahrhunderts und war dadurch idealistisch, wenn nicht gar romantisch geprägt. Die dadurch mit dem eigentlichen anthropofugalen Inhalt einhergehenden Konnotationen, der "Weltwille eines absoluten Unbewußten", ein quasi - hegelianischer "Welt - Ungeist", ebenso wie Schopenhauers "solipsistisch - phänomenalistische" Erkenntnistheorie entsprechen nicht mehr dem Gusto eines metaphysikfeindlichen 20. Jahrhunderts. Aber wozu noch Askese fordern, Meditation oder Hartmanns merkwürdige Spiritismen treiben, wenn die Möglichkeiten, zur Erlösung zu gelangen, technisch und ganz unmetaphysisch uns längst vorliegen? In Bunkern, Startrampen und U - Boot Schächten warten sie auf ihre Anwendung, funktionierend "nach vertrauten physikalischen Gesetzen"(40;55), ganz ohne Hokuspokus, ohne Eventualitäten und ohne die Notwendigkeit von Spekulationen, die Gerätschaften "zur Pasteurisierung der gesamten Biosphäre"(ebd.). So "haben wir ... leicht kritisieren" gegenüber Philosophen, die von alldem nur geistige Surrogate hatten. Sehen wir Schopenhauer und Hartmann also nach, daß sie keine Physiker waren und daß sie keine Atombomben bauen konnten und so über kein Bewältigungsverfahren verfügten. Die Notwendigkeit der Lösung hatten sie klar vor Augen: "Das Leiden muß ein Ende haben!"(ebd.) Der einzig gangbare Lösungsweg wurde schon 1820 von dem erzreaktionär - klerikalen französischen Philosophen und Staatsminister Joseph - Marie Comte de Maistre in seinen Soirees de Saint - Petersburg formuliert:

"Es ist dem Menschen aufbehalten, den Menschen zu erwürgen ... Der Krieg ist es, der das Urtheil vollstrecken wird. - Hören Sie nicht, wie die Erde schreit und Blut verlangt? Das Blut der Thiere genügt ihr nicht, auch nicht das Blut der Schuldigen, welches von dem Schwerdte der Gesetze vergossen wird. ... So geht, von der Milbe bis zum Menschen, ohne Unterlaß das Gesetz der gewaltsamen Zerstörung aller lebendigen Wesen in Erfüllung. Die ganze Erde immerfort mit Blut getränkt, ist nur ein unermeßlicher Altar, auf welchem alles, was lebt, ohne Ende, ohne Maß, ohne Unterlaß, bis zur Vollendung der Dinge ... geopfert werden muß. ... Der Krieg ist also göttlich an sich"(40;55f.).

Schon immer hat es das Untier verstanden, das Unheil, das ihm von der Natur drohte, durch selbsterzeugtes Unheil gegen seinesgleichen noch weit zu übertreffen, sei es nun mit dem Faustkeil oder dem Granatwerfer, zurück blieben Schädelpyramiden aus den Hekatomben Geschlachteter.

All dies sind nunmehr Exerzitien für die eine große Aufhebung des Leidens in der Welt."Stolz" könnte das Untier sein, nicht auf seine Leistung des Aufbaus von Zivilisationen, sondern vielmehr auf die Erfindung der Mittel zu ihrer Beseitigung, die "Pionierleistungen der Militärtechnologie" (40;56). So heißt es folgerichtig in Nietzsches Zarathustra: "Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen. ... Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt" (40;57). "Dem Untier ist der Krieg heilig von Anbeginn"(ebd.), davon ließ es sich auch nicht von "Friedensaposteln und Menschentümlern"(ebd.) abbringen, sondern nur darin bestärken, was die mörderischen Folgen der Christianisierung zur Genüge zeigen. "So aber sind wir mit unseren rastlosen Anstrengungen nahe ans Ziel gekommen. Wir haben das ABC der Abschreckung durchbuchstabiert"(40;58). Wir gehören zu jenen Auserwählten, die "die apokalyptischen Visionen des Mythos in die Wirklichkeit übersetzen"(ebd.) werden. "Weltgeschichte - ein Schlachthof, zweifellos. Aber das Grauen ist endlich geworden"(ebd.). Der Mensch "hat sich auf die Hinterbeine gestellt und aufgerichtet vor der Schöpfung"(40;59), "autonom geworden" entledigt er sich seiner "in eigener Regie"(ebd.). Das notwendige Unterfangen einer Philosophie des Untergangs wurde bei einer gleichzeitig prächtigen Entwicklung der Militärtechnologie völlig vernachlässigt. Die theoretische Auseinandersetzung mit dem "Homo extinctor"(40;60) mied man wie die Berührung eines Aussätzigen. Stattdessen beugt die Philosophie "sich in kindlicher Konzentration über die Baukästen der Wissenschaftstheorie, Hermeneutik, Ideologie - und Ökologiekritik"(ebd.). Letzte Metastasen "in der verrottenden humanistischen Doktrin"(ebd.) sind Marxismus, "geistesgeschichtlich eine bloße Reprise"(40;61) der christlichen Ausbildung von Märtyrertum, Papismus und Ketzerverfolgung, Existentialismus, als Verdeutlichung der "Chimäre des Humanen"(ebd.) durch leeren Aktionismus und eine Lehre von letztlich sinnlosen Entscheidungen und Friedensforschung, die wegen ihrer "Sabotage des anthropofugalen Willens zum Ende"(ebd.) eine genauere Widerlegung verlangt. Die Forschungsergebnisse an sich sind beruhigend. In 3400 Jahren gab es nur 243, in denen kein Krieg stattfand. Auch der Durchschnitt von 2,6 Kriegen pro Jahr ist nicht schlecht (vgl.40;61). Derlei Fakten sollte man nicht verteufeln, sondern als kleine Schritte in die richtige Richtung begrüßen. Jedenfalls muß unter allen Umständen auf weitere Aufrüstung gedrängt werden, bevor noch die Friedensforschung das ganze Projekt gefährden kann. Statt wie Richard J. Barnet in "seinem Traktat Der amerikanische Rüstungswahn oder die Ökonomie des Todes" Schritte in die richtige Richtung zu diffamieren: "In der realen Welt nennt man Leute, die den größten Teil ihres Geldes ausgeben, um sich gegen Bedrohungen zu wappnen, die nur in ihrer Einbildung existieren, Paranoiker. In der Welt der nationalen Sicherheit ist das System selbst paranoisch"(40;62), sollte man die amerikanische Abschreckung mit dem ingeniösen Kürzel ihrer zentralen Doktrin MAD (Mutual Assured Destruction) als Ausweg aus den vielfältigen Leiden des Daseins begrüßen. Man muß also die Friedensforscher daran hindern, die Hoffnung der Menschheit auf Ausrottung zu vereiteln. Vielversprechend ist Herman Kahns Studie Eskalation, wie auch ihr Vorläufer On Thermonuclear War(vgl.40;66). In der erstgenannten Schrift umfaßt die Eskalationsleiter 44 Stufen. Auf Stufe 12 kommt es bereits zum "großen konventionellen Krieg", auf Stufe 21 kommt es zum Atomkrieg, dann zum "Zentralkrieg", der sich wie folgt entwickelt:

"33: Langsame Kriegführung gegen "materielle Werte"

34: Langsame Kriegführung gegen Waffensysteme

35: Begrenzte Salve zur Herabsetzung der militärischen Leistungsfähigkeit

36: Begrenzter Entwaffnungsschlag

37: Schlag gegen die Waffensysteme unter Aussparung anderer Ziele

38: Rücksichtsloser Angriff auf die Waffensysteme

39: Langsame Kriegführung gegen Städte

40: Salve gegen materielle Werte

41: Verstärkter Entwaffnungsangriff

42: Vernichtungsangriff auf Zivilobjekte

43: Andere Formen des gelenkten allgemeinen Krieges

44: Krampfartiger oder wahnwitziger Krieg"(40;67f.).

Im letzten Stadium werden "alle Abzüge gleichzeitig betätigt"(40;68).

Kant hatte die zwar von "philanthropischen Wunschvorstellungen überwucherte" aber dennoch geniale Intuition, "daß ein Ausrottungskrieg ... den ewigen Frieden ... auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde"(40;69). Um endgültig die Kritiker verstummen zu lassen, fordert Horstmann: "Friedensforschung - so wird man aus dem Gesagten schließen müssen - ist nur da sinnvoll und förderungswürdig, wo sie dem Kriege dient"(40;70).

"Die Ablenkung kritischer Energien und des kollektiven Protests auf im Vergleich durchaus sekundäre Bedrohungen, wie sie sich etwa in der Auflösung der Ostermarsch - und ‘Kampf dem Atomtod’ - Bewegungen der 50er und frühen 60er Jahre und der Abdrängung des Lemmingszugs der Unzufriedenen in das Ödland und Salz um Gorleben und zwischen die Baugruben des Reaktorgeländes von Wyhl abspielt, ist einer der ganz großen Triumphe gesamtgesellschaftlicher Verdrängungsarbeit, die das Untier instand setzen, sein Ziel ohne große Umwege und erwähnenswerte Hindernisse direkt anzusteuern"(40;71). Als weiteres Beispiel für den Wunsch des Menschen, nicht mehr sein zu müssen wird einer der "wirkungsvollsten Matadoren des deutschen Antiintellektualimus"(40;83), Ludwig Klages angeführt, der in seinem Hauptwerk, Der Geist als Widersacher der Seele wünschte, daß der Mensch "absinke, veraffe, verende", damit erneut "der Rausch der Wälder brande"(40;85). Vergessen hat er natürlich, daß alles terrestrische Leben von der Qual seines Daseins erlöst werden muß(vgl.40;86). Auch Sigmund Freud schreibt, daß das Anorganische vor dem Organischen war und es somit der "konservativen Natur der Triebe widerspräche, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre"(40;87). Alles Lebende stirbt daher "aus inneren Gründen", es kehrt ins Anorganische zurück. "Das Ziel alles Lebens ist der Tod"(ebd.).

Darin sieht Horstmann nur die Bestätigung seiner bereits in der Einleitung angedeuteten These: "Der Evolutionsprozeß erscheint aus diesem Blickwinkel nicht mehr als selbstgenügsame oder teleologische Komplexierung und Höherentwicklung, sondern als immer weitläufigere Umleitung zur Stillstellung des Stoffwechsels, als grotesk außer Façon geratenes Euthanasieprogramm"(ebd.).

"Über eine Weile aber werden auch die Verstocktesten ... einsehen", daß es sinnlos ist, sich gegen den Untergang zu wehren und "davon ablassen, gegen den Strom der Geschichte zu schwimmen, ihre Ohren gegen die rückwärts gewandte Botschaft des Humanismus verschließen und sich - wenn nicht mit anthropofugalem Frohlocken, so doch ohne Gegenwehr und Bestürzung - jenem sanften Transport in die Vernichtung überantworten, die aller Not ein Ende bereitet"(40;112). So nimmt das Untier seinen Lauf bis hin zu einem lyrischen Untergangsszenario, in dem die Erde, so wie sie, nach Horstmann, sein soll, der Mondoberfläche gleicht. Keine Aktivität trübt mehr den "Garten Eden"(vgl.40;114). Das Organische ist zu Staub zerfallen. Die Grausamkeit des Untiers, "das Reißen und Schlingen"(40;113) hat ein Ende gefunden.

III.3.10.1 Kritik an Horstmanns "Endlösung der Biosphärenfrage"

"Die meisten Menschen bevorzugen Blindheit. Aber die meisten Menschen sind eine sterbende Rasse"(105;67) sagt der amerikanische New - Age Philosoph Paul Williams, den man hier aber nicht anthropofugal mißverstehen darf. Vielmehr ist einer seiner Kernsätze: "Der Organismus, die Kreatur, wovon wir alle ein Teil sind, ist die Biosphäre, die lebende Oberfläche des Planeten Erde. Der innere Aufruhr, den wir fühlen, dieses Vorwärtsdrängen hin zu Gruppen - Bewußtsein, ist die Biosphäre der Erde, die sich ihrer Existenz bewußt wird. Sie wird geboren. Wir wachen auf"(105;108). Die Thesen in seinem Buch "Lass los" erinnern an Pierre Teilhard de Chardins "Punkt Omega", an dem "die menschliche Geschichte zwischen zwei kritischen Punkten des Ichbewußtseins verläuft, zwischen einem niederen, individuellen und einem höheren, kollektiven"(97;298). Der Erlanger Arzt Ludwig Ebersberger, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft Teilhard de Chardin schreibt über diesen: "Teilhard war einer jener immer seltener werdenden Denker, die dem Satz von der ‘Identität von Denken und Sein’ immerhin insoweit Wahrheitsgehalt zu erweisen vermochten, als ihr Lebensvollzug nicht die geringste Nichtübereinstimmung aufwies gegenüber dem, was sie nach außen hin als ihre Welt - und Lebensauffassung vertraten"(29;198). Horstmann scheint einfach das Buddha - Wort "Alles Dasein ist Leid", das sich schon in Hölderlins "Es nährt vom Leide sich das Leben" widerspiegelt, falsch verstanden zu haben, wie sich überhaupt in der Schopenhauer - Tradition, z.B. bei Hartmann, ein zwar nicht zu übersehender, aber nichtsdestotrotz völlig verdrehter Buddhismus wiederspiegelt. Es ist nämlich gerade der immer wiederkehrende Fehler europäischen Denkens, der sich besonders in der doppelten Ratlosigkeit gegenüber asiatischer Armut wie asiatischer Weisheit immer wieder dokumentiert, daß man an allem etwas ändern müsse. Der Europäer befindet sich in einer dauernden Beseitigung von Mißständen, die ihrerseits durch die zuvor stattgefundene Korrektur erst entstanden sind. So muß selbst daran, daß Dasein Leid bedeutet möglichst schnell etwas geändert werden. Daß Horstmanns Korrektur der Erdoberfläche kein Vorschlag zum Besseren ist, weiß jeder, sofern ihm nicht schon die Maschine liebergeworden ist, als der Mensch. Außerdem versucht Horstmann stets, das Schopenhauersche Gedankengut von seinen asiatischen Wurzeln zu trennen. Über den versponnenen Apostel einer Pseudoerlösung, Hartmann, behauptet er gar, er habe "klar gesehen", wie man auf die "bewährten Narkotika fernöstlicher Mystik"(40;51) verfällt, während dieser aber über "die Erlösung, die Umwendung des Wollens in Nichtwollen"(40;52) sinniert, ohne sich des Plagiats zu schämen, wobei er diese Worte indischer Weisheit noch in einem Doppelsinn versteht, der sich in einer Zeit harmloser Wandermönche in ländlicher Umgebung von selbst verboten hat. Es ist reiner Irrsinn, der sich hier der Analyse bietet, der nur bei Schopenhauer noch nicht zu seinem vollen Ausmaß angewachsen war. Ebensowenig würde man bei dem Satz: "Man wird dir schon nicht den Kopf abreißen" an eine konkrete Lebensgefahr, oder bei "Ich hab dich zum Fressen gern" an Kannibalismus denken, außer natürlich in der Satire. So ist offenbar Horstmanns Grundgedanke derjenige, ernst zu machen mit dem Limerick, der zu unterschiedlichen Graden auch Hartmann und Schopenhauer vorzuwerfen ist. Die gründlichsten Bestätigungen Horstmannscher Anthropofugalität finden sich jedoch bei Cioran: "Die Menschheit erwartet nur noch einen Propheten: den des unsündigen Lebens. Wenn der Tod nicht bezwungen und zerstört werden kann, muß die Sünde bezwungen und zerstört werden. Da diese Anstrengung für den einzelnen illusorisch ist, werden eine Katastrophe der Geschichte und eine anthropologische, das Erbe der Jahrtausende in die Luft sprengende Revolution die Morgenröte einer anderen Welt verkünden"(22;141).

III.3.11 Schumpeter Effekt und Readers Digest

Amerika durchlebte die Zeiten der atomaren Hysterie, in der es vom "Atomic - Hamburger" über "Atomic - Cab"(Taxi) bis zu der Band "Atomic - Rooster"(Gockel)und einem "Atomic - Orgasm" alles gab, damals war der Begriff "atomar" etwa ein Synonym für das etwas ältere "bombastisch", das ähnlichen Ursprungs sein dürfte, dann den kalten Krieg, um nun schließlich in einer Art selbstgemachter Endzeit zu leben.

Man verschanzt sich noch immer im heimischen Keller, meist einem Atombunker aus den 50ern, mit Büchsenfleisch, Bibel und Pumpgun, einem großkalibrigen, schnellrepetierenden Gewehr, das für die Steigerung der Effektivität eines Amoklaufes erfunden zu sein scheint - Billy Graham spricht via Satellit - und erwartet das Eschaton.

Der Country - Song "Jesus comes like an Atombomb" aus den 50er Jahren wäre eine perfekte Untermalung der Szenerie.

Einer, der sich keine Illusionen mehr über die Schlechtigkeit der Anderen macht, ist zum Äußersten bereit.

"Joseph Schumpeter hat in einer berühmten soziologischen Abhandlung 1919 die These vertreten, daß häufig in der Geschichte zu beobachten ist, wie Nationen, die sich einer begrenzten und zeitweiligen militärischen Bedrohung gegenübersehen, schließlich Fertigkeiten entwickeln, mit denen sie dieser Bedrohung begegnen, um nach ihrer Bewältigung mit riesigen objektiv funktionslosen Rüstungskomplexen weiterzuleben. Diese Rüstungskomplexe entwickeln dann eine eigene Wachstumsdynamik, deren Richtung und Geschwindigkeit in keinem Zusammenhang mehr steht mit der ursprünglichen Bedrohung"(40;62f.).

Beredte Zeugnisse dieses Zustandes finden sich in den vermeintlich harmlosen taschenbuchförmigen Zeitschriften "Das Beste aus Readers Digest" besonders Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, als der kalte Krieg noch fror. So findet sich z.B. in der Juniausgabe 1981, auf den Seiten 52 - 56, neben "Picasso privat" und "Wecken Sie das Kind in sich!" der Artikel "In der Schaltzentrale für die Stunde Null" von Bill Prochnau. "Hier und da sehen wir unter uns die mit Korn gefüllten Silos der Bauernhöfe und andere mit weniger erfreulichem Inhalt. Von diesen anderen sind über die amerikanischen Prärien gut 1000 verstreut. Unter ihren grauen Betondeckeln stecken Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman, alle auf Ziele in der Sowjetunion gerichtet, wo etwa 1400 ähnliche Raketen mit Zielrichtung USA bereitstehen. Jeder der Flugkörper könnte eine Großstadt zerstören, doch die meisten sind da wie dort, gleichsam in nuklearer Pattstellung, auf die Vernichtung von ihresgleichen programmiert", heißt es da auf S.52. Die Angst, die den Artikel diktiert hat, zeigt sich im weiteren Verlauf immer deutlicher: "In einem Atomkrieg vernichtet die erste russische Raketenwelle den Apparat von den Befehlszentren bis zu den Silobatterien mit Mann und Maus". "Wenn eines schönen Tages einmal die Tiere paarweise aus dem Zoo herausmarschiert kommen, dann ist es soweit", witzeln die puritanischen Amerikaner. "Fliegermajor Bob Walden führt mich durch das unterirdische Reich, zu dem auch ein Gymnastikraum, ein Friseursalon und ein Selbstbedienungsrestaurant gehören; dort blickt man durch gardinengeschmückte Fenster auf Betonwände mit verblüffend echt wirkenden Landschaftsmalereien". Die Wirkung des Textes war vermutlich 1981 ähnlich traurig wie jetzt. "In den Kriegsspielcomputern des SAC (Strategisches Luftwaffenkommando) sind ein paar tausend Varianten des Kernwaffeneinsatzes vorprogrammiert". "Wir haben Verbindung mit dem fliegenden SAC - Gefechtsstand. Der Pilot trägt, obwohl er zwei völlig intakte Augen hat, über einem eine schwarze Binde. Eine Kernwaffendetonation im Luftraum würde ihn blenden. In diesem Fall schiebt er die Binde von dem guten Auge auf das schlechte und bleibt so weiter einsatzfähig". Zum Schluß ergeht der Artikel sich über die Sicherheitsvorkehrungen, die jeden versehentlichen Abschuß einer Rakete unmöglich machen sollen. "Schließlich hat jeder in einer Startkabine diensttuende Mann eine Pistole. Verliert einer den Verstand, so schießt der andere ihn nieder. ‘Ich weiß, was für Gedanken sich die Leute machen’, sagt Butler, der Chef der Raketeneinheit, ’aber glauben Sie mir: Keiner von uns könnte ... je einen Raketenstart allein auslösen". Dieser Artikel mit dem Zweck, die Deutschen als Nato - Partner der USA zu beruhigen, daß schon alle möglichen Vorkehrungen zu ihrer Sicherheit getroffen seien, wird in seiner unfreiwilligen Tragikomik noch übertroffen durch "M-X, die Waffe, die den Frieden sichern kann", in "Das Beste aus Reader’s Digest", Februar 1979, S.65 - 70. Schon der Untertitel ist ein Stück Realsatire: "Das drohende militärische Übergewicht der Sowjetunion zwingt die Vereinigten Staaten, sich so schnell wie möglich ein Fernwaffensystem zu schaffen, das vor Überraschungsangriffen sicher ist". Es wird gefürchtet, das amerikanische Abschreckungspotential schwinde dahin. "Die Sowjetunion verfügt über eine fast sechsmal so große atomare Feuerkraft wie die Vereinigten Staaten, und ihr Übergewicht wächst rasch". Eine ingeniöse Taktik soll dem Abhilfe schaffen: die M-X - Waffen werden zusammen mit Attrappen auf verschiedene Silos verteilt, zwischen denen sie ständig hin und her gefahren werden. 200 bis 300 Raketen sind auf 4000 bis 6000 mindestens eineinhalb Kilometer voneinander entfernte Silos verteilt. Pro Rakete sind das 20 bis 30 Silos. Niemand kann genau sagen, "wo sich die Dinger gerade befinden". Rußland müßte schon seine ganzen 4000 Interkontinentalraketen abfeuern, nur um die M-X - Waffe am Boden zu zerstören. Selbst dann blieben den USA noch genug andere Raketen für einen Gegenschlag. Als "Rückgrat des strategischen Waffenarsenals" haben die USA gegenwärtig (d.h.1979) "nur" 54 Titan - , 450 Minuteman II - Raketen, jeweils mit nur einem Sprengkopf, sowie 550 Minuteman III, "mit je drei in weit auseinanderliegende Ziele lenkbaren Sprengköpfen". Um aber gegen die UdSSR, die "militärisch bald die stärkste Macht der Erde sein" wird, über ein ausreichendes Abschreckungspotential zu verfügen, muß dringend die M-X - Waffe angeschafft werden, bei der jede Rakete über neun unabhängig voneinander lenkbare Sprengköpfe verfügt. Manche Abrüstungsbefürworter glauben, man solle freiwillig auf Interkontinentalraketen verzichten und stattdessen nur bombergestützte Marschflugkörper (Cruise Missiles) und Atomraketen, die von U - Booten abgefeuert werden, behalten, sodaß man bei den SALT - Verhandlungen ("Begrenzungsgespräche für strategische Waffen",vgl. Zeittafel am Ende der Arbeit) auch von den Russen schwerwiegende Abrüstungsmaßnahmen verlangen könne. Nach der für die USA erfolgreichen Beendung der Kubakrise 1962, hat die amerikanische Öffentlichkeit die Aufrüstungsfähigkeit des Warschauer Paktes weit unterschätzt. Verteidigungsstrategen "sind der Ansicht, daß die USA den Sowjets auf dem Gebiet der strategischen Rüstung ohne das M-X - System auf die Dauer nicht gewachsen bleiben. Sie sehen in seiner Einführung nicht nur ein Mittel, das militärische Gleichgewicht wiederherzustellen, sondern glauben darüber hinaus, daß dieser Schritt die Russen von der Zwecklosigkeit eines fortgesetzten Rüstungswettlaufs mit den Vereinigten Staaten überzeugen würde". Die Einwände der Kritiker beziehen sich besonders auf die Kostenfrage und eine mögliche Gefährdung der SALT - Verhandlungen, die von einer Anschaffung des

M-X - Systems ausgehen könnte. Demgegenüber "besteht kein Zweifel, daß die Vereinigten Statten das M-X - System brauchen; denn sie laufen Gefahr, ihre militärische Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion einzubüßen, wenn sie nicht sehr bald etwas zur Wiederherstellung ihres vollen Abschreckungspotentials unternehmen". Hier wird deutlich, wie USA und Sowjetunion zur Zeit des kalten Krieges sich gegenseitig in einen Zustand paranoischer Panik versetzten - und das, während die Waffenarsenale beider Supermächte für sich genommen bereits ausgereicht hätten, jeden lebenden Menschen auf der Erde mehrfach ins Jenseits zu befördern. Dennoch wurden von beiden die Möglichkeiten von Tarnung, Finte, Bluff und Mimikri ganz wie in den Reichen der Insekten oder Reptilien voll ausgereizt. Daher sprach man auch vom "Rüstungspoker" dieser Zeit, weil jeder bemüht war, sich das Vorhandensein seiner neuen Superwaffe nicht auf dem Gesicht ablesen zu lassen. Schumpeter hatte recht, wenn er von der Eigendynamik der Aufrüstung gesprochen hat, deren Ergebnisse in Form von riesigen Waffenarsenalen heute tatsächlich fast überflüssig geworden sind, aber daran, die Aufrüstung, mit Unterstützung der öffentlichen Meinung, in Schwung zu halten, waren Pressemeldungen im Stil der oben zitierten Reader’s Digest - Artikel maßgeblich beteiligt, die stets durch nebulöses Expertentum von "Verteidigungsstrategen" und die Wiederholung immer gleicher, nur leicht umformulierter, Slogans zu überzeugen vermochten. Allein die Reader’s Digest - Beispiele aus dieser Zeit sind Legion.

III.3.12 Die Bedeutung des Mitleids bei Horstmann

Indem der Mensch mit einer Lüge lebt, sein eigenes Selbst betreffend, die ihn vor dem Kollaps bewahrt, ist er das bemitleidenswerteste Geschöpf überhaupt. Dennoch haben Philosophen aller Zeitalter das Mitleid sehr unterschiedlich bewertet. Wenn auch das Mitleid aus philosophischer Sicht an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden kann, soll es hier doch einen kurzen Überblick über verschiedene Stimmen bekannter Philosophen über das Mitleid geben, gerade weil Horstmann dieser mutmaßlich so edlen Emotion eine breite Wirkung in seinem "Untier" einräumt. Bei den Klassikern bezeichnete Plato das Mitleid geradezu als Laster, weil es einen Mann verweichliche. Beim Anschauen einer Tragödie werden einem, nach Plato, Tränen entlockt, obwohl es sich für einen Mann nicht schickt, zu weinen. Außerdem sieht man in der Tragödie Menschen in Situationen, derer man sich selbst sehr schämen würde und zollt ihnen nichtsdestotrotz Beifall.

Ganz anders sieht Aristoteles das Mitleid einfach als Phänomen des menschlichen Lebens, ohne sich zu fragen, ob es sich nun schickt, Mitleid zu haben oder nicht. Er geht davon aus, daß man Mitleid hat.

Die Philosophen der neueren Zeit neigen ebenfalls wie Plato zu einem wertenden Urteil über das Mitleid. So schreibt Spinoza in seiner "Ethica, ordine geometrico demonstrata" von 1677, Mitleid sei an sich schlecht, da es sich für einen mit Vernunft begabten Menschen erübrige, dieses Gefühl zu haben, das einen nur an der helfenden Tat hindern kann, die einem die Vernunft ohnedies gebietet. Doch "wer weder durch die Vernunft noch durch Mitleid bewogen wird, anderen Hilfe zu leisten, der wird mit Recht ein Unmensch genannt, denn er scheint einem Menschen nicht mehr ähnlich zu sein"(Spinoza; Lehrsatz 50)(53;48f.).

Bernard de Mandeville schreibt in seiner "Bienenfabel" von 1724: "Barmherzigkeit ist diejenige Tugend, kraft deren ein Teil unserer aufrichtigen Liebe zu uns selbst rein und unvermischt auf andere übertragen wird, ... Diese Tugend wird nun oft durch eine Leidenschaft in uns gefälscht, die wir Mitleid oder Mitgefühl nennen und die in einem Mit - Leiden und Anteil - Nehmen bei dem Unglück und Mißgeschick anderer besteht. Alle Menschen sind ihr mehr oder weniger unterworfen, die schwächsten Gemüter aber im allgemeinen am meisten"(53;50f.). In dem folgenden Beispiel, wo jemand, ohne die Möglichkeit einzugreifen, zusehen muß, wie ein Kind von einer Sau gefressen wird, schleicht sich ein Anflug von Zynismus in die "Bienenfabel", ebenso bei der vergnüglichen Schilderung, warum wir, um barmherzig zu sein alles, was andere tun oder sagen "im bestmöglichen Sinne deuten" müssen: "Der Grund hierfür ist, daß wir unsererseits wünschen, man möchte im einen Falle unseren Geiz als Sparsamkeit auslegen und im anderen Falle uns als Frömmigkeit auslegen, was uns selbst als bloße Heuchelei bewußt ist". Jean - Jaques Rousseau bezieht in seinem "Diskurs über die Ungleichheit" Stellung gegen Mandeville, den er den "überspannteste(n) Herabsetzer der menschlichen Tugenden"(53;66) nennt. Weiter nennt Rousseau die Macht des natürlichen Mitleids "die reine Regung der Natur, die jeder Reflexion vorausliegt"(53;67). Kant spricht von "einer gewissen Weichmüthigkeit" in seinen "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" von 1764. Diese "gutartige Leidenschaft" sei jederzeit "schwach und ... blind"(53;90). "Denn es ist nicht möglich, daß unser Busen für jedes Menschen Antheil von Zärtlichkeit auffschwelle und bei jeder fremden Noth in Wehmuth schwimme, sonst würde der Tugendhafte, unaufhörlich in mitleidigen Thränen wie Heraklit schmelzend, bei aller dieser Gutherzigkeit gleichwohl nichts weiter als ein weichmüthiger Müßiggänger werden"(53;91).

Arthur Schopenhauer nennt das Mitleid, in schamloser Übereinstimmung mit Buddha, in seinem 1841 verfaßten Text "Über die Grundlage der Moral" die "allein ächte moralische Triebfeder"(53;106), während Friedrich Nietzsche, dem inneren Zwang, seinen einst so geschätzten Vorgänger zu vernichten, gehorchend, alle Schattenseiten des Mitleids beleuchtet (vgl. 73;§§131-148u.53;119-136). Max Scheler weist darauf hin, daß auch die Mitfreude ein Mitgefühl sei (vgl.53;147f.).

Bei Horstmann schließlich wird das Mitleid als Mordwaffe instrumentalisiert, vor allem in Anlehnung an Schopenhauer, wobei aber jedem einleuchten dürfte, daß es sich bei dem Impuls, die Erdoberfläche in die Luft zu sprengen, kaum um eine "echte moralische Triebfeder" handeln dürfte.

IV. Zweiter Exkurs: Die Atombombe

In unserer Zeit sind die Rüstungsmaschinerien, ebenso wie das individuelle Bedürfnis, nach Sinn im Leben, stark ausgeprägt.

" Zu Ende des Zweiten Weltkrieges reichten die Waffenpotentiale der Welt knapp zu einer mehrmaligen Auslöschung jedes Erdenbürgers"(92;253). Die Einstellung zu der Option der eigenen Auslöschung, bzw. "Sterilisierung des Planeten", ist keineswegs rein politisch, pragmatisch, oder rational. Der Künstler John Heartfield kommentierte 1934 mit einer Fotomontage den Rüstungswahn seiner Zeit so: "Chor der Rüstungsindustrie:'Ein feste Burg ist unser Genf'"(vgl.92;257). Vergleiche aus der Welt der Mythen, bzw. der Religion drängen sich uns auf, angesichts der Chance "mehrfach" vernichtet zu werden.

"Die Atombombe ist der wirkliche Buddha des Westens, eine perfekte, losgelöste, souveräne Apparatur"(92;258). Tatsächlich ist sie gefährlich genug, um die ungeteilte Aufmerksamkeit aller zu erregen, sie braucht ständige Wartung, wenn man nicht zufällige Verseuchungen, oder gar riskieren will, "den Drachen am Schwanz zu kitzeln", wie die Physiker von Los Alamos das Zusammenbringen einer kritischen Masse nannten (vgl.48;204). Bei der Öffentlichkeit tritt andererseits bereits ein Ermüdungseffekt ein, aufgrund dessen man das ganze Thema gerne wieder vergißt.

IV.1 Physikalische Bemerkungen zur Radioaktivität

Radioaktive Strahlen teilen sich nach ihrer unterschiedlichen Qualität, die von einem Geiger - Zähler als immer die gleiche registriert wird auf in a -,b -,g - und Neutronenstrahlung. a - Strahlung entsteht durch die Emission von Heliumkernen, die die menschliche Haut nicht durchdringen können und so höchstens leichte Verbrennungen hervorrufen, sofern man ihnen nicht exzessiv ausgesetzt ist.

b - Strahlung besteht aus emittierten Elektronen und Positronen mit etwas mehr Tiefenwirkung. Trotzdem kann die Aufnahme von b - Strahlung, so wie auch der a - Strahlung noch durch einen Mundschutz aus Textilfaser erheblich reduziert werden.

Die elektromagnetische g - Strahlung durchschlägt schon, ähnlich unbeirrbar, wie die noch gefährlichere Neutronenstrahlung, alles Zellgewebe und löst vielfältige Schäden aus. Qualitativ ist sie mit der, stets in niedrigerer Dosis eingesetzten, Röntgenstrahlung identisch. Als elektromagnetische Strahlung ist sie wie das Licht mit einer Korpuskular - und einer Wellentheorie erklärbar. Die Wellenlänge von g - Strahlung ist variabel. Die Neutronenstrahlung hat die gefährlichste Qualität. Durch Beschuß mit Neutronen können Atomkerne gespalten werden, die ihrerseits in Protonen und Neutronen zerfallen und u.U. damit Kettenreaktionen auslösen. Dies gilt für lebende Körper ebenso, wie für tote Materie. Die Folge, wenn ein Neutron z.B. auf den Kern einer fortpflanzungsrelevanten Zelle bei Mensch oder Tier trifft und dadurch im Körper umgelenkt wird, so unwahrscheinlich ein solcher Volltreffer eines Zellkerns auch sein mag, ist im Glücksfall Sterilität.

Was für bizarre Zellhaufen humanoider Provenienz aus "zersägter" und falsch zusammengefügter DNA entstehen könnten, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. Die mißgestalteten Kinder, die in der Umgebung von Tschernobyl geboren wurden, leiden unter diesem Effekt.

Nun gibt es auch natürliche Radioaktivität, wie sie z.B. in Verbindung mit Vulkanismus auftritt. Wie in der Natur üblich, handelt es sich dabei um ein Gemisch aus a -,b - und g - Strahlen. Neutronenstrahlung tritt nur bei Kernspaltungen auf. Z.B. in Radium - Heilbädern halten offenbar auch heute noch einige Mediziner diese Mischung für gesundheitsfördernd. Ebenso sind die Bewohner von Häusern, die aus Vulkangestein erbaut sind, dieser natürlichen Strahlenmischung ständig ausgesetzt, die auf dem Geigerzähler imposante Ergebnisse zeigt.

Wollte man nun argumentieren, daß die bei Kernkraftwerken gelegentlich aus dem Kühlwasserkreislauf entweichende Radioaktivität bei weitem nicht die Werte erreicht, denen der Bewohner eines gewöhnlichen Hauses aus Lavagestein tagtäglich ausgesetzt ist, so würde man verschweigen, daß es sich bei der Strahlenbelastung durch ein Kraftwerk, das ja bekanntlich durch Spaltprozesse betrieben wird, mitunter um Neutronenstrahlung handelt, über die der allgemeine Konsensus herrscht, daß sie der Gesundheit nicht zuträglich ist. Ein Geiger - Zähler nützt also gar nichts. Die Unterscheidung unterschiedlicher Qualitäten von Radioaktivität ist in Deutschland durchaus nicht jedem geläufig, sodaß in der Diskussion über die Kernenergie der Weg freibleibt für allerlei "scharfsinnige" Sophismen, die in der Absicht, die Öffentlichkeit zu täuschen kolportiert werden.

In der ehemaligen Sowjetunion war Strahlenschutz Schulfach. Niemand konnte sich dem entziehen, die obengenannten Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen.

Ein weiterer Punkt, bei dem es möglicherweise um die Verdunklung von Sachverhalten geht, sind die Uneinheitlichkeiten der Maßeinheiten von Radioaktivität, von denen oft sogar die Umrechnung einer Einheit in die andere ernsthafte Probleme bereitet. Eine Flut von rad, rem, Bequerel, Curie, Milli - Sievert bezeichnet Einheiten in unterschiedlichsten Maßstäben.

Außer Bequerel und Sievert sind jedoch die anderen Einheiten veraltet. Wenn ich aber nun einen Wert, der vor einigen Jahren in rem angegeben wurde, vergleichen möchte? Sievert ist die Einheit der Aufnahme von Radioaktivität durch Inhalation oder in Nahrungsmitteln, während Bequerel die Einheit der in der Umwelt meßbaren Radioaktivität ist.

Einige Physiker möchten Radioaktivität am liebsten nur noch in Joule, der Einheit für Energie angeben, womit dann zwar sehr leicht zu berechnen ist, wieviel Neutronenstrahlung dem Verzehr von einem Pfund ganz normaler unbelasteter Butter entspricht, aber immer noch nicht, ob es sich, wenn mir Vergleichswerte nur in rad, rem, oder Röntgen zur Verfügung stehen, neuerdings empfielt, nur noch in bleibeschichteter Kleidung das Haus zu verlassen. So scheint mir die Umrechnung in Joule, eine bekannte Maßeinheit der Weight - Watchers, eine eklatante Verharmlosung darzustellen, und ich wünschte, ich wäre paranoid!

IV.2 Geschichte der Bombe

Im Folgenden beziehe ich mich meistens auf die Ausführungen des bekannten Schriftstellers und Kernkraftgegners Robert Jungk in seinem Buch "Heller als tausend Sonnen"(48) von 1956. Einige Aktualisierungen mußten natürlich vor allem in bezug auf die jüngere Geschichte der Bombe vorgenommen werden.

Nachdem der Physiker Leo Szilard, ein aus Ungarn stammender Amerikaner und der eigentliche Initiator der amerikanischen Atombombe, Einstein, aus Furcht vor einer möglichen Bombe Hitlers, überredet hatte, sich an die amerikanische Regierung zu wenden und für den Bau einer Bombe zu plädieren(vgl.48;100f.), wurde am 13.8.1942 das unter dem Decknamen "DSM - Project" (Development of Substitute Materials = Entwicklung von Ersatzstoffen), bzw. "Manhattan - Project" später bekannt gewordene Unterfangen, die erste Atombombe der Weltgeschichte zu bauen, in dem zur Tarnung "Site Y"(Platz Y) genannten Los Alamos in New Mexico, begonnen(vgl.48;127). Die erste Bombe wurde auf dem 4 Autostunden entfernten Versuchsgelände in der Wüste bei Almogordo/New Mexico getestet, (vgl.48;209)mit einem Ergebnis, das den Projektleiter Oppenheimer dazu veranlaßte, die Bhagavadgita zu

zitieren :

"Wenn das Licht von tausend Sonnen

am Himmel plötzlich bräch hervor

Zu gleicher Zeit - das wäre

gleich dem Glanze dieses Herrlichen ..." und:

"Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten." (48;211)

Jungk zitiert hier nicht die einzige Übersetzungsmöglichkeit. In einer anderen (34), die ich heranziehen möchte, um den Sinn beider Stellen zu verdeutlichen, heißt es Bhagavadgita,

11. Gesang, Vers 12 und 32:

"Wie wenn der Sonnen Tausende

Vereinten ihren Strahlenkranz

Am Firmament, so leuchtete

Des hohen Weltenherrschers Glanz." und

"Als der Zeitgott kam ich hierher,

Um der Welt den Tod zu geben."

Auch sonst mangelte es der ersten Atombombe, wie auch den späteren nicht an religiösen Attributen. So trug dieser erste Test den Namen "Trinity".

Die nächsten beiden Bomben (nur drei wurden im ersten Arbeitsgang gebaut) waren "Little Boy", eine U 235 - Bombe, die am 6.8. um 8Uhr 15 morgens aus 10 000 Metern Höhe über Hiroshima abgeworfen und nach 43 Sekunden 580 m über Grund gezündet wurde und "Fat Man", eine Pu239 - Bombe, die am 9.8.1945, morgens um 11Uhr 2 auf Befehl von Harry Truman über Nagasaki abgeworfen wurde(vgl.100;21f.). Es herrscht scheinbar ein Dissens über die Zerstörungskraft dieser beiden ersten militärisch eingesetzten Bomben. Die in Alamogordo getestete "Trinity" - Bombe setzte die, vorweg von keinem geglaubte, Energie von etwa 17 Kilotonnen TNT frei, während "Little Boy" und "Fat Man" vermutlich bei etwa 20 kT lagen, anderen Angaben zufolge bei 45 und 50 kT. Die Sprengkraft nuklearer Bomben wird fortan in der entsprechenden Sprengkraft von TNT (in Tonnen) gemessen. Moderne Wasserstoffbomben, sofern es sich nicht "nur" um die Sprengköpfe kleinerer Mittelstreckenraketen, wie der Pershing II, oder der SS 20 handelt, bewegen sich generell im Megatonnenbereich.

Die gemessen an heutigen thermonuklearen Sprengköpfen, z.B. der "Nutz"last der SS 20 - Rakete, lächerlich unwirksamen Bomben richteten nichtsdestotrotz in beiden Städten verheerende Schäden mit 100 000 und

80 000 Toten an.

"Tief erschüttert von der Mitteilung, daß eine Atombombe abgeworfen worden war, wurde der Entdecker der Uran - Spaltung, Otto Hahn. Es war ihm unerträglich, sich vorzustellen, daß seine ohne jeden Gedanken an praktische Auswertung unternommenen Forschungen nun zum Tode Zehntausender Männer, Frauen und Kinder geführt haben sollten. Hahn erfuhr von den furchtbaren Konsequenzen seiner nunmehr fast sieben Jahre zurückliegenden Arbeiten in englischer Haft. Nach seiner Gefangennahme durch die "Alsos" - Mission war er über Heidelberg und das amerikanische Spezial - Auffanglager "Dustbin" bei Paris auf einen englischen Landsitz in Godmanchester, nicht weit von Cambridge, gebracht worden. Mit Hahn waren noch neun deutsche Physiker in Godmanchester interniert. Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker mit einem Teil ihrer Arbeitsgruppe....."(48;225).

1945 schrieb Weizsäcker: "Heute tragen wir, und zwar jeder von uns, der geholfen hat, die Kenntnis des Atomkerns zu fördern, mit an der Schuld am Tode von 90 000 Männern, Frauen und Kindern, an der Verwundung und der Heimatlosigkeit von Hunderttausenden. Und keiner von uns kann sich der Frage entziehen, ob es durch die Arbeit, der wir unser Leben gewidmet haben, noch zu unseren Lebzeiten geschehen wird, daß nicht

90 000, sondern 90 Millionen denselben Tod erleiden. Wenn aber die Angst vor diesen Schrecken die Menschheit vorerst zum Frieden zwingen wird, so stellt sich uns vielleicht brennender als den meisten die Frage, ob dieser Friede eine Gestalt finden kann, die Dauer verspricht und verdient"(103;24).

Vor Beendigung des kalten Krieges ging man von 6 Nuklearmächten aus: USA (seit 1945), England, Rußland/Ukraine (seit 1949), Frankreich, China und Indien (seit 1974). Man kann inzwischen annehmen, daß auch Pakistan dazugehört, und sie werden nicht das letzte Land sein, das über Nuklearwaffen, d.h. Atom - und Wasserstoffbomben verfügt.

"Die Wirkung der Uranbombe beruht auf dem Vorgang der bei dem Zerfall des Urans frei werdenden Energie"(87;38). Es handelt sich dabei um eine sogenannte "fission - bomb", bei der eine kritische Masse der betreffenden Substanz, Uran 235 etwa von der Größe eines Fußballs, oder Plutonium durch einen konventionellen TNT - Sprengsatz in einem Metallzylinder zusammengebracht werden muß. Die Sprengung mit konventionellem Sprengstoff ist notwendig, damit die einmal erreichte kritische Masse nicht gleich wieder zerfällt, sondern lange genug zusammenbleibt, um eine Kettenreaktion der Spaltung von U oder Pu - Kernen durch nach dem Zufallsprinzip emittierte Neutronen auszulösen und aufrechtzuerhalten.

"Bei der Wasserstoffbombe beruht das Freiwerden von Energie auf der statthabenden Umwandlung des Elements Wasserstoff in das Element Helium"(87;38), wobei eine "konventionelle" Atombombe als Zünder genommen wird. Dabei handelt es sich um eine "Fusion - Bomb".

"Zu diesen beiden Atombomben ist neuerdings (1957) die Kobaltbombe als Superatombombe hinzugekommen. Sie ist eine Wasserstoffbombe, die mit einem aus Kobalt bestehenden Mantel umgeben ist. Ihre Wirkung soll die der stärksten bisherigen Wasserstoffbomben (die ihrerseits um ein Vielfaches stärker sind, als Uran - oder Plutoniumbomben) um ein Vielfaches übertreffen"(ebd.).

Spätestens seit den 80er Jahren gibt es auch Neutronenbomben, die sich bei minimaler unmittelbarer Zerstörungskraft auf die Emission von Neutronen beschränken, um damit zwar alles Leben, nicht aber Material zu vernichten. Für weitere Daten zur Entwicklung von Kernwaffen sei auf die Zeittafel im Anhang (VIII.1) verwiesen.

IV.2.1 Wirkungen von radioaktiven Strahlen auf den menschlichen Körper

Albert Schweitzer war zeitlebens ein entschiedener Gegner von Kernwaffen. Er schrieb mehrere Petitionen an die Staatschefs von Atomstaaten, um sie zur Einstellung der Versuche zu bewegen. Da seine Schilderungen der Wirkungen von nuklearen Bomben und der Effekte von Radioaktivität auf den Menschen mit zu den eindringlichsten zählen die es gibt, wird er hier von mir häufig zitiert.

"Als vom 1. März 1954 an Versuche mit Wasserstoffbomben von den Amerikanern auf Bikini, im Gebiete der Marshallinseln (im Stillen Ozean), und von den Russen in Sibirien gemacht wurden, kam man dazu, sich davon Rechenschaft zu geben, daß es mit der Erprobung von Atomwaffen ein anderes Ding sei als mit den früheren nichtatomischen. Wenn ein neukonstruiertes Geschützungeheuer auf dem Versuchsfeld abgefeuert worden war, war damit die Sache zu Ende. Nicht so mit der Explosion einer Wasserstoffbombe. Es blieb etwas davon übrig: daß nämlich eine Unmenge kleinster Teilchen von radioaktiven Elementen in der Luft vorhanden waren und radioaktive Strahlen aussandten"(87;33).

"Weil radioaktive Strahlungen, wenn sie in einer gewissen Menge und Stärke vorhanden sind, schädigend auf den menschlichen Körper einwirken, kam dann die Diskussion in Gang, ob die von bisherigen Explosionen von Wasserstoffbomben herrührende Strahlung schon eine Gefahr bedeute, die durch neu hinzukommende Explosionen eine Zunahme erfahren würde"(87;33f.). Der Text wurde am 23.4.1957 von Radio Oslo erstmals gesendet. Der französische Premierminister Jacques Chirac dagegen hat noch bis vor kurzem behauptet, daß die Tests auf Mururoa unbedenklich seinen, mit Verweis auf die unterirdische Versiegelung der radioaktiven Ausfallprodukte.

"Auf Grund des in dieser Sache zusammengetragenen, wenn auch bei weitem nicht vollständigen Materials muß geurteilt werden, daß die radioaktive Strahlung, wie sie sich aus den bisherigen Explosionen von Atombomben ergeben hat, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Menschheit bedeutet und daß sie bei weiteren Explosionen von Atombomben in beängstigender Weise zunehmen würde"(87;34).

Weiter führt Schweitzer aus, daß radioaktive Strahlen "nicht nur durch Glas hindurchgehen, sondern auch durch dünne Scheiben von Metall wie auch durch Schichten des Zellgewebes des menschlichen und tierischen Körpers. Strahlen dieser Art wurden erstmalig 1895 durch den Münchener Physiker Wilhelm Röntgen entdeckt und nach ihm benannt.

Im Jahre 1896 stellte der französische Physiker Henry Becquerel fest, daß Strahlen dieser Art in der Natur vorkommen. Sie gehen von dem seit 1789 bekannten Element Uran aus. 1898 entdeckten Pierre Curie und seine Frau in der Uranpechblende, einem Uranerz, das stark radioaktive Element Radium"(87;35). "Als Frau Curie nach vierjährigem Hantieren mit Uranerz das erste Gramm Radium in ihren Händen hielt, zeigte deren Haut Risse, die sich durch keine Behandlung heilen ließen. Mit den Jahren verfiel sie einem Siechtum, das seinen Grund darin hatte, daß die radioaktiven Strahlen ihr Knochenmark und damit ihr Blut geschädigt hatten. 1934 setzte der Tod ihrem Leiden ein Ende.

Weil man auf Jahre hindurch die Gefahr nicht in Betracht zog, welche Röntgenstrahlen für die bedeuten können, die ihnen häufig ausgesetzt sind, haben hunderte von Ärzten und Schwestern von der Bedienung von Röntgenapparaten eine unheilbare, langsam zum Tode führende Erkrankung davongetragen"(87;36).

Das Gerät, mit dem die unsichtbaren radioaktiven Strahlen, ihr Vorhandensein und die Intensität gemessen werden können, "verdanken wir dem deutschen Physiker Hans Geiger, der als eines der Opfer der Röntgenstrahlen 1945 starb. Dieser sogenannte Geigerzähler besteht aus einer Metallhülse, die verdünnte Luft enthält. In ihr befinden sich zwei Metallenden, zwischen denen eine starke Spannung besteht. Wirken radioaktive Strahlen von außen auf diese Röhre ein, so finden zwischen den beiden Metallenden Entladungen statt. Je stärker die Strahlung ist, um so rascher folgen sie aufeinander. Ein in den Apparat eingebautes kleines Gerät macht sie hörbar. Handelt es sich um starke Strahlungen, so führt der Geigerzähler wahre Trommelwirbel aus"(87;37).

"Bei der Explosion einer Atombombe entstehen in unvorstellbar großer Anzahl kleinste Teilchen radioaktiver Elemente"(87;38)

"Neben Jod131, das nur 16 Tage am Leben ist, gibt es Jod129, das es auf 200 Millionen Jahre bringt. Gefährliche Elemente dieser Art sind Phosphor32, Calzium45, Jod131, Eisen55, Wismut210, Plutonium239, Cerium144, Strontium89, Cäsium137. War die Wasserstoffbombe mit einem aus Kobalt bestehenden Mantel umgeben, so kommt noch Kobalt60 hinzu.

Besonders gefährlich sind die Elemente, die bei einem relativ langen Bestehen eine relativ starke Strahlung aussenden. Unter diesen nimmt Strontium90 die erste Stelle ein. In der Menge des radioaktiven Staubes ist es besonders reichlich vorhanden. Auch Kobalt60 ist als besonders gefährlich anzuführen"(87;40).

"Wird irgendwo radioaktives Regenwasser festgestellt, so will dies heißen, daß die Erde in der betreffenden Gegend auch radioaktiv ist, und zwar in höherem Maße. Sie wird es ja nicht nur durch auf sie gelangenden Regen, sondern auch durch frei fallenden radioaktiven Staub"(87;41).

Die Unkontrollierbarkeit der Verbreitung radioaktiver Ausfallprodukte hat sich einmal mehr 1986 bei der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl gezeigt. Der Ort ist wegen seines üppigen Bewuchses mit Wermutkraut so benannt worden. "Tschernobyl" heißt auf russisch "Wermut". Man kommt nicht umhin, sich angesichts einer Reaktorkernschmelze in dem Ort "Wermut" an die Offenbarung des Johannes zu erinnern:

"Und der dritte Engel ließ die Posaune erklingen. Und es fiel herab vom Himmel ein großer glühender Stern wie eine Fackel und fiel herab auf den dritten Teil der Flüsse und auf die Wasserquellen.

Und der Name des Sternes wurde Wermut (Absinthius) genannt. Und der dritte Teil der Wasser wurde zu Wermut gemacht, und viele der Menschen sind gestorben von den Wassern, weil sie bitter (scharf) gemacht wurden" (Offb. 8, 10 - 11).

"Um welche Zahlen es sich bei der Aufspeicherung radioaktiven Materials handeln kann, läßt sich aus Feststellungen ermessen, die man bei der Untersuchung des Columbiaflusses in Nordamerika machte. Verursacht war sie durch Abwässer der Atomenergie der für die Industrie produzierenden Hanford - Atomwerke, die in den Columbiafluß münden. Die Radioaktivität des Wassers war nicht bedeutend, aber die des in ihm befindlichen Planktons war es 2000mal mehr, die von Enten, die sich von diesem Plankton nährten, 40 000mal mehr, die der Flußfische 150 000mal mehr, die von jungen Schwalben, die von den Eltern mit Wasserinsekten gefüttert wurden, 500 000mal mehr, die des Eigelbs von Wasservögeln über 1000 000mal mehr"(87;42).

Durch in den Körper aufgenommene radioaktive Elemente werden besonders Blut, Knochengewebe, Milz und Leber geschädigt, von wo aus eine von innen kommende Bestrahlung stattfindet (vgl.87;43).

"Was ihr an Kraft abgeht, ersetzt diese Strahlung durch Dauer. Durch Jahre hindurch ist sie Tag und Nacht in Gang"(87;43).

Um Kenntnisse über die Auswirkungen von Radioaktivität auf die Nachkommen zu erlangen, ist eine Untersuchung durchgeführt worden mit je 3000 Ärzten, die über Jahre Röntgengeräte bedienten und solchen, die dies nicht getan hatten. Bei den Radiologen gab es 14,03 Promill Totgeburten, bei den anderen Ärzten 12,22 pro Tausend. Bei angeborenen Fehlern waren es 6,01 gegenüber 4,82 Prozent. Die Zahl der gesunden Kinder betrug bei den Radiologen 80,42 Prozent, bei den anderen 83,23 Prozent (vgl.87;45).

Die Schädigung der Nachkommenschaft "besteht in Totgeburten und Mißgeburten, sei es mit körperlichen, sei es mit geistigen Defekten"(87;45).

"Wir sind also genötigt, jede Steigerung der bereits bestehenden Gefahr durch weiterhin stattfindende Erzeugung von radioaktiven Elementen durch Explosionen von Atombomben als ein Unglück für die Menschheit anzusehen, das unter allen Umständen verhindert werden muß"(87;47).

Interessant ist auch Hoimar v. Ditfurts fiktive Schilderung der Explosion einer SS - 20 Rakete mit 150 kt in 1600 m Höhe über dem Frankfurter Hauptbahnhof:

"Etwa ein Drittel der gesamten Explosionsenergie wird innerhalb weniger Sekunden als Wärmestrahlung freigesetzt. Dieser Hitzeblitz würde die Frankfurter Innenstadt mit allem toten und lebenden Inventar in Sekundenschnelle verdampfen lassen. Der blitzartige Hitzetod würde den sich in diesem Bereich aufhaltenden Menschen ein langsames, qualvolles Sterben ersparen, zu dem sie sonst infolge der im Augenblick der Explosion auftretenden Gamma - Strahlung verdammt wären. Diese Wirkungen gelten in einem Umkreis von etwa einem Kilometer vom 'Null Punkt', dem senkrecht unter dem Explosionszentrum liegenden Punkt am Erdboden. Selbst in vier Kilometern Entfernung, also z.B. im Günthersburg - Park, würde der Hitzeblitz unbedeckte Haut kurz aufkochen lassen und dadurch Verbrennungen dritten Grades erzeugen (Verkohlung). Bäume, Gras und Holzbauten gingen noch hier in Flammen auf, auch Kleidung aus Baumwolle oder Kunststoffen würde zu brennen anfangen. Danach erst würde, neun Sekunden nach dem Licht - und Hitzeblitz, der Donner der Explosion zusammen mit der Druckwelle eintreffen. Diese würde Bäume entwurzeln, alle Gebäude mit Mauerdicken bis zu dreißig Zentimeter Beton zerstören, Menschen wie Spielbälle durch die Luft wirbeln und einen dichten Hagel von Glasscherben und Steinsplittern mit der Geschwindigkeit von Flintenkugeln durch die Luft fliegen lassen, der nicht nur im Freien, sondern auch bei den sich hinter den Fenstern ihrer Wohnungen aufhaltenden Menschen fürchterliche Fleischverletzungen verursachte. In einem Kreis von zehn Kilometern Durchmesser könnte diese akuten Explosionsfolgen nur überleben, wer sich zufällig gerade in einem Keller oder einem U - Bahn - Schacht aufhielte.

Mit diesen akuten Folgen aber wäre der Schrecken nicht etwa schon ausgestanden. Strahlungsblitz und Druckwelle würden radioaktiv gewordenes Erdreich zerstäuben. Der thermische Auftrieb der typischen pilzförmigen Explosionswolke ließe diesen Staub mehrere Kilometer hoch in die Atmosphäre steigen. Von dort würden die tödlichen Schwaden in den folgenden Stunden, Tagen und Wochen als 'Fallout' langsam wieder nach unten sinken. Bei einer Explosionshöhe von 1600 Metern über dem Erdboden wären diese Nachwirkungen noch vergleichsweise gering. Eine Explosion von 150 kt dicht über dem Erdboden aber würde einen Fallout erzeugen, der, je nach der gerade herrschenden Windstärke, in einem Gebiet von 2000 bis 3000 Quadratkilometern alle Menschen strahlenkrank machen und innerhalb von Wochen qualvoll sterben lassen würde. Mindestens ein Jahr würde es dauern, bis die Strahlung auf die 5 rem pro Jahr gefallen wäre, die nach den heutigen Strahlenschutzbestimmungen (1985) für mit radioaktivem Meaterial umgehendes Personal eben noch zulässig sind, und nicht weniger als zehn Jahre, bis die 0,03 rem pro Jahr erreicht wären, die offiziell als Obergrenze für die Strahlentoleranz der Bevölkerung insgesamt angesehen werden"(26;43f.).

IV.2.2 Protest der Wissenschaftler

Wissenschaftler in der ganzen Welt bekundeten offen ihre Bestürzung über die atomare Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki. Bertrand Russel begann in den 50er Jahren seine gegen Atombombenversuche gerichteten Ostermärsche, die heute Tradition sind. Albert Schweitzer wandte sich mit Petitionen an alle Staatschefs, deren Länder über Atomwaffen verfügten.

Auch Oppenheimer zeigte erhebliche Skrupel im Gegensatz zu Edward Teller, dem Vater der amerikanischen Wasserstoffbombe (Beleg, Schweitzer). Andrej Sacharow, der Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe, wurde zum Regimekritiker und deshalb nach Sibirien verbannt. Hier prallten Interessen der Staatsräson auf die Ängste einzelner Menschen.

Auch von anderer Seite mehren sich Proteste gegen die Nukleartechnologie und deren Gefahren. So setzte sich 1995 Greenpeace gegen die französischen Atombombenversuche auf Mururoa ein, zunächst scheinbar ohne praktischen Erfolg, aber doch mit großem Einfluß auf die Öffentlichkeit, einschließlich Frankreich. Auch der Transport eines Castor - Behälters von La Hague nach Gorleben macht wieder Schlagzeilen. Es gibt erhebliche Proteste der Bevölkerung, welche sich keinesfalls nur auf Deutschland beschränken, auch gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie.

So wird auch der Transport verbrauchter Brennstäbe zur Wiederaufbereitung in das ungarische Paks von Greenpeace als Sicherheitsrisiko eingestuft, während Techniker das Kernkraftwerk in Paks als vorbildlich gewartet loben. Auch die Wiederaufbereitung verbrauchter Brennstäbe als "Mox" - Brennstäbe, d.h. eine Kombination aus dem Abfallprodukt Plutonium mit unverbrauchtem Uran, wird in ihrer Wirtschaftlichkeit bezweifelt.

IV.3 Der Fall Tschernobyl - Ausblick auf den Untergang des Untiers

Um generelle Risiken von Nukleartechnologie aufzuzeigen, kann ein unfreiwilliges Experiment, "die größte Katastrophe des Industriezeitalters", die Kernschmelze im Reaktor von Tschernobyl am 26.4.1986 exemplarisch herangezogen werden.

Samstag Nacht am 26. April 1986 wurde zwischen 1 Uhr 28 und 1 Uhr 33 Alarm im Kontrollraum gegeben, nachdem es um 1 Uhr 24 eine heftige Erschütterung gegeben hatte: Feuer in Block 3 und 4, Explosion im Hauptgebäude. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eine Kernschmelze in Block 4, die durch einen Konstruktionsfehler, der allen vier Reaktoren vom Typ NBMK (= Druckröhrenreaktor mit hoher Leistung) in Tschernobyl gemeinsam ist, stark begünstigt wurde: drückt man den Notstop - Schalter, so überhitzt der Reaktor. Zwischen Block 3 und 4 war alles zusammengestürzt. Überall auf dem Kraftwerksgelände war Graphit verteilt. Auf Befehl der KPdSU war ein Experiment mit den vier graphitmoderierten Reaktoren durchgeführt worden. Alle vier sollten abgeschaltet werden. Wenig später stellte sich jedoch heraus, daß das Stromnetz der Ukraine, insbesondere in Kiew in diesem Fall zusammenbrechen würde.

So wurden die Reaktoren mit halber Kraft betrieben und gerieten in einen instabilen Zustand, der sich durch einen spontanen Anstieg der Leistung bemerkbar machte. Um 1 Uhr 23, kurz vor dem "Menschenversuch" war noch alles normal. Als es zur Kernschmelze kam, wußte eine Stunde lang niemand im Kontrollraum, was wirklich geschehen war. Hundert Warnlampen blinkten, sodaß niemand die Übersicht behielt, dann fiel die Elektrizität bis auf ein Notstromaggregat, mit dessen Hilfe nicht einmal mehr der Kontrollraum vollständig beleuchtet werden konnte, aus. Die 3000 Tonnen schwere Reaktorplatte war durch die Explosion auf den Rand des Gebäudes geschleudert worden. Dies ist bis heute ein destabilisierender Faktor auf die bauliche Statik des Reaktors von Tschernobyl.

Am 27.4., 14 Uhr begann die Evakuierung der umliegenden Dörfer. Insgesamt arbeiteten etwa 600 000 Liquidatoren an der Beseitigung der unmittelbaren Schäden, von denen bisher schätzungsweise 20 000 tot sind. Die Zahl der Zwangsverpflichteten läßt sich nicht mehr genau ermitteln. Die meisten derjenigen Arbeiter starben, die in nach Sekunden abgezählten Schichten das hochradioaktive Graphit beseitigen mußten. Die Bekämpfung der Ausbreitung von Radioaktivität mit Sandsäcken erwies sich als nicht effektiv. Den Arbeitern gegenüber unterblieben vielfach Hinweise auf die Gefahren. Das Tragen von Atemfiltern gegen radioaktive a - und b - Partikel wurde oft als Vorsichtsmaßnahme außer acht gelassen. Ärzte entschieden vor Ort, wer weiter der Radioaktivität ausgesetzt werden dürfe. Die Idee, den aufgesprengten Reaktorkern mit Wasser abzukühlen, das sofort verdampfte, führte zur Ausbreitung von Radionukliden in die Atmosphäre, die 2 Tage später über Schweden abregneten. Hierbei handelte es sich besonders um Cäsium 137 und Cäsium 134. Bundesinnenminister Zimmermann sagte am 28.4. im Fernsehen, daß keinerlei Gefahr für Deutschland bestehe, wobei es sich insofern um die Vorspiegelung von Kompetenz handelte, als weder er noch sonst jemand irgend etwas wußte.

Am 30.4. kletterte die radioaktive Belastung der Luft in Regensburg auf 100 Becquerel, worauf der bayrische Umweltminister, Alfred Dick, am 2. Mai sagte, es gebe in Bayern "keinen meßbaren Wert". Am 5. Mai war die bayrische Kuhmilch mit 500 Becquerel je Liter belastet, die daraufhin zu Molkepulver verarbeitet wurde, das in Müllzügen ein Jahr lang, bis zu seiner Vernichtung, kreuz und quer durch Europa gefahren wurde. Eigentlich sollte das Molkepulver in eine ahnungslose Dritte Welt verkauft werden, was offenbar durch die Breitenwirkung der Berichterstattung in den Medien vereitelt wurde. Hier denkt man an Machiavelli (vgl.40;29).

Boris Jelzin, als Moskauer KP - Chef, erzählte selbst Anfang Mai auf Besuch in Berlin, der Brand sei gelöscht, man habe alles im Griff, während Michail Gorbatschow die Zahl der Betroffenen und Toten herunterspielte. Die Propagandamedien des Ostblocks zeigten zufriedene Evakuierte. In Ostberlin verfütterte man frischen verstrahlten Salat und Obst, die der Westen nicht zu kaufen bereit gewesen war, in den Kinderkrippen.

Zum ersten mal sah man Produkte wie z.B. frische Pilze in Regalen oder auf den Märkten, sagte die damalige DDR - Physikerin Angela Merkel. Man hätte allerdings gewußt, daß die Produkte ungenießbar seien, wenn sie der Westen nicht gekauft hat. Radioaktives Jod greift bei Säugetieren die Schilddrüse an. Jodtabletten, die zum Schutz gegen Strahlenschäden, sowie zur Unterstützung der Schilddrüsenfunktion genommen werden, waren nach wenigen Tagen in allen deutschen Apotheken ausverkauft.

Brennendes Graphit im Reaktorkern, das auf das Grundwasser durchzuschmelzen drohte, war bis Mitte Mai noch nicht gelöscht. Der geborstene Reaktorkern wurde schließlich mit Hubschraubern aus der Luft zubetoniert. Hier ist heute eine "erkaltete Lavaschicht" aus 5000 Tonnen Beton, Sand, Blei und Borkarbid.

Am Tag des Fallout in Deutschland gezeugte Kinder kamen mit genetischen Defekten zur Welt. Die Häufigkeit von Leukämie hat sich bis nach Deutschland hin fast verzehnfacht, andere Beschwerden, die durch Strahlenverseuchung ausgelöst werden, sind Kopfschmerzen, Schilddrüsenerkrankungen, sowie Aussetzen des Wachstums bei Jugendlichen. Bis heute leiden auch deutsche Kinder unter den Folgen der Reaktorkatastrophe.

Noch mindestens hundert Jahre lang wird die Gegend um Tschernobyl zu hohe Strahlenwerte aufweisen, um unter sicheren Bedingungen neu besiedelt werden zu können. Die Stadt Slabutitsch wurde anstelle des verseuchten Prpjad als Siedlung für die heute noch in Tschernobyl beschäftigten Arbeiter 1986 errichtet. Ein kurz vor dem GAU fertiggestellter Vergnügungspark in Prpjad, der noch nicht eingeweiht wurde, verstärkt die gespenstische Atmosphäre im verseuchten Gebiet.

Wünschenswert wäre, daß man im Falle einer zweiten Reaktorkatastrophe aus den Fehlern der ersten gelernt hätte. Auch hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, realistisch informiert zu werden. In besonders stark verstrahlten Ländern wie der Türkei und Bulgarien wurde die Tatsache, daß ein russischer Atomreaktor eine Kernschmelze gehabt hatte, erst sehr spät bekannt, im Falle Bulgariens dauerte es mehrere Jahre.

Innerhalb von 5 Monaten hatte man um die Ruine des Blocks 4 den sogenannten "Sarkophag" gebaut. Geplant war er für 30 Jahre. Trotzdem ist sein Zustand inzwischen marode. Heute machen sich mehrere europäische Hilfsorganisationen zusammen mit Baufirmen Gedanken darüber, welche dauerhaft stabile Hülle man der Ruine von Block 4, in die es zur Zeit hineinregnet, erneut mit der Gefahr einer Verstrahlung des Grundwassers verbunden, anpassen könne, wobei die Faktoren Haltbarkeit - bis zu 100 Jahren - und Finanzierbarkeit miteinander in Einklang zu bringen wären.

IV.4 Krasnojarsk 26

Tief in Sibirien, unweit des Polarkreises, liegt eine unterirdische Stadt, Stalins Plutoniumfabrik Krasnojarsk 26, deren Eingang von den hier beschäftigten Arbeitern "das Tor zur Hölle" genannt wird. Interessanterweise kursierte in christlichen Erweckungskreisen seit etwa drei Jahren das Gerücht, es gebe in Sibirien ein Loch im Boden, durch das man die Stimmen der Verdammten in der Hölle hören könne, wobei es sich wohl um einen Entlüftungsschacht von Krasnojarsk gehandelt haben muß, der die Fantasie unserer "gläubigen" Mitbürger so beflügelt hat.

Nur allen Geheimdiensten der Welt war diese, auf keiner bisherigen Landkarte verzeichnete, Stadt bekannt, die etwa 150 Meter unter der Erdoberfläche, noch in Stalins Auftrag, zu Anfang der 50er Jahre, in den Fels getrieben wurde, eine Arbeit, die heute allein aus Kostengründen nicht mehr durchgeführt werden könnte. Allein der Müll von Krasnojarsk strahlt 2˝mal so stark wie der GAU in Tschernobyl, wobei quantitative Angaben über Radioaktivität grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen sind. Seit 40 Jahren wird hier Pu239 hergestellt. Die Stadt war verbotene Zone, über die es kaum mehr als Gerüchte gab. Alle Arbeiter wahrten strenges Stillschweigen.

Jelzin will den Industriekomplex als Atommülldeponie weiterbetreiben. Bisher diente er nur der Herstellung von waffenfähigem Plutonium, bei dem es sich vom Standpunkt der friedlichen Nutzung auch um Müll handelt. Die Möglichkeit, hier Plutonium zu stehlen, ist, weil die Herstellungsmengen zu ungenau bekannt sind, jederzeit gegeben. Ins Innerste der Anlage dürfen Arbeiter nur nach Vollendung des 50. Lebensjahrs. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt hier 60 Jahre. Untertags entsteht hier der Eindruck: "Der Mensch ist das Medium, über das die Maschinen miteinander verkehren".

IV.5 Murphy's Gesetz in der Praxis, oder eine Atombombe als Diplomarbeit in Physik

John Aristotle Phillips schrieb 1978 das Buch "Mushroom. The Story of the A - Bomb - Kid", aus dem der deutsche Reader's Digest im Juni 1979 den Artikel: "Wie ich im sechsten Semester die Atombombe baute" als Auszug abdruckte.

Phillips studierte im sechsten Semester Physik in Princeton, wobei er nicht sehr erfolgreich war. Es bestand für ihn sogar das Risiko durchzufallen. Themen wie Gegenschlagspotentiale, Weltuntergangsszenarien, oder die direkten Wirkungen einer Atomexplosion standen u.a. auf dem Programm. Die Bemerkung, die Phillips auf die Idee brachte, es für die Diplomarbeit einmal mit dem Bau einer Atombombe zu versuchen, stammte von einem der wissenschaftlichen Assistenten:

"Man braucht nur 7 kg Plutonium, um eine einfache Atombombe zu basteln, und jedes Jahr wird in unserem Land so viel von diesem Zeug hin und her transportiert, daß man damit Tausende solcher Bomben bauen könnte. Nehmen wir an, eine Ladung wird gestohlen und zwei Wochen später detoniert in New York eine einfache Spaltbombe, die 100 000 Menschen tötet. Eine Terroristengruppe droht dem Präsidenten: Wenn man ihre politischen Forderungen nicht erfülle, gebe es eine zweite Explosion. Was soll der Präsident tun?"

"Nur ein brillianter Kopf kann eine Atombombe entwerfen" war damals noch die vorherrschende Meinung. Phillips standen nur 3 Monate für seine Arbeit zur Verfügung. Als Berater vom Fachbereich Physik betreute die Arbeit Dr. Freeman Dyson. Mit Hinweis auf seine Geheimhaltungspflicht macht er den Studenten darauf aufmerksam, daß er nur Literatur aus öffentlich zugänglichen Physikbibliotheken bekommt.

"Versuchen Sie mal, sich eine Atombombe vorzustellen. In der Mitte ist ein murmelgroßes Stück einer bestimmten Substanz, umhüllt von einer grapefruitgroßen Masse einer anderen Substanz. Die ‘Grapefruit’ umgibt ein kleiner Reflektorschirm, und um diesen Schirm sind Initialsprengstoffe angeordnet, die elektrisch gezündet werden. Die Anordnung der Sprengstoffe gehört zu den geheimsten aller geheimen Details der Bombe. Ohne die richtige Anordnung - und die richtigen Sprengstoffe - ist mein Entwurf wertlos ... Ich gehe jedes Problem aus dem Blickwinkel eines Terroristen an.

Die Bombe muß billig zu bauen und einfach konstruiert und außerdem so klein sein, daß sie im Kofferraum eines Autos Platz hat. Manchmal versetzte ich mich in die Situation der Los - Alamos - Experten". Wie die Los - Alamos - Experten, entwickelte auch Phillips jedes Teil der Bombe für sich. Das Schwierigste war natürlich der Zündmechanismus mit der kritischen Masse, die durch eine "vollkommen symmetrische Implosionsstoßwelle" zusammengebracht werden muß. Die entscheidende Idee kommt Phillips während einer Travestietanzdarbietung, bei der er mit seinen Komilitonen auf einer Bühne tanzt.

Die Beine schwingen im Takt nach oben und erreichen im gleichen Augenblick den Scheitelpunkt, was eine Analogie zu der gewünschten Implosionsdruckwelle darstellt. Kurz vor Abgabeschluß erhält Phillips durch einen Anruf in einem Chemiewerk den Namen eines Sprengstoffes, dessen "Zerfallscharakteristik" eine "sphärisch implodierende Stoßwelle" erzeugt.

Er reicht eine 34 - seitige Arbeit ein, mit dem Titel: "Bewertung der Probleme und Möglichkeiten einer Terroristengruppe oder eines nichtnuklearen Staates bei dem Versuch, eine einfache PU - 239 - Spaltbombe zu konstruieren". Phillips erhält die bestmögliche Note, wird gefeiert, seine Arbeit wird als geheim eingestuft. So unheimlich dieser Vorgang anmuten mag, so ist doch einzuwenden, daß Philipps die Bombe nicht wirklich gebaut hat, vielmehr hat er die technischen Probleme gelöst, die zur praktischen Ausführung der Arbeit eines Expertenteams,sowie Uran oder Plutonium bedurft hätten, sodaß die Möglichkeit einer "Low budget - Bombe" zumindest weiterhin bezweifelt werden kann.

Trotzdem empfiehlt es sich, im Zusammenhang mit Murphy's Gesetz, das in Kapitel V.1.1 erläutert werden wird, darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn sich der private Besitz von Atombomben verbreitete.

V. Dritter Exkurs: Positives Denken oder Murphy's Gesetz

Aufgrund des Verdachts, daß die Chancen der Menschheit als das zu überleben, was sie ist, in einem Zusammenhang mit vorherrschenden Denkgewohnheiten stehen, werden in diesem dritten Exkurs einige dieser Denkgewohnheiten näher untersucht, wobei zunächst eine Unterscheidung zwischen Optimismus, vertreten durch seine Extremform "Positives Denken" und Pessimismus, wie er sich in dem kurzweiligen Scherzbuch "Murphy's Gesetz" zeigt, vorgenommen wird.

Es folgen verschiedene Denkarten, die auch ansatzweise schon in Leibniz' unterschiedlichen Arten, mit dem Schicksal umzugehen aufleuchten. Hier soll der Versuch gemacht werden, diese Denkgewohnheiten, in ihrer Tauglichkeit für die Förderung des Fortbestehens der Spezies Mensch, einzuschätzen.

V.1 Positives Denken

Trotz einer durch allgemeine Vernetzung immer komplexer werdenden Weltsituation und einer Informationsflut der Medien, die mit unserer Fähigkeit, unliebsames Wissen zu verdrängen, zu rechnen scheint, trotz einer Weltsituation, in der z.B. Kriegsanlässe, wegen der üppigen Tätigkeit von Geheimdiensten, selbst von Politologen nicht mehr einwandfrei bezüglich ihrer Kausalstruktur analysiert werden können, oder vielleicht auch gerade deswegen verspricht uns der Amerikaner Dr. Joseph Murphy, der Vater des positiven Denkens, nun Balsam für die Seele in seinem Buch "Die unendliche Quelle Ihrer Kraft"(64).

Die Ursache allen Unglücks ist nicht bei den Dingen selbst zu suchen, die im Argen liegen, sondern in unserer Unfähigkeit angesichts schlechter Fakten positive Gedanken und damit auch wohlige Gefühle zu entwickeln. Dr. Pangloss ist ein Waisenknabe gegen Murphy! Da heißt es : "Viele Menschen aus allen Gesellschaftsschichten kommen ständig weiter voran, erreichen und leisten Großes. Sie sind voll Energie, stark und gesund und tragen Wesentliches zum Wohl der Menschheit bei. Man hat den Eindruck, daß irgendeine Urkraft sie erfüllt, die unablässig für sie wirkt (64;11)".

Nun wissen wir, daß es darum geht, "voran"zukommen! Da wären z.B. Demonstrationen gegen Atomversuche der Karriere durchaus abträglich. Man muß es im calvinistischen Sinn erst zu etwas bringen, damit man als Arrivierter in jovialer Manier "zum Wohl der Menschheit" beitragen kann.

"Alle diese Menschen haben die geheimnisvolle, dennoch sehr wirkliche Kraft des Unendlichen entdeckt und mit deren Hilfe Fehlschläge, Elend, Not und Verzweiflung überwunden, oft in kürzester Zeit .....; sie gelangten auf den erhebenden Weg des Freiseins von frustrierenden Lasten und erschlossen sich Glück, Ruhm, Reichtum ....."(64;13).

Die Betonung liegt hier eindeutig auf den materiellen Werten. Dabei erzeugt Positives Denken einen Menschentyp, der vor der Postmoderne als "Blender" bekannt war, und die Industrie hat offenbar Verwendung für die Denkmodi der Menschen, die mehr scheinen als sein wollen (vgl.33;49). "Nach und nach gelang es ihm, sein Unterbewußtsein von den früher angestauten psychischen Belastungen zu 'reinigen'",

"Er ging so vor, wie ich es ihm empfohlen hatte...."(64;116). Die Methode ist einfach: vor dem Einschlafen sagt man mehrmals: "Beruflicher Aufstieg wird mir jetzt beschieden sein. Erfolg wird mir jetzt beschieden sein. Reichtum wird mir jetzt beschieden sein"(64;18). Bedenklich wird das alles erst, wenn man sich bewußt wird, daß diese Form der Selbstgehirnwäsche sich auch bei Intellektuellen großer Beliebtheit erfreut, wie auch in allen anderen Schichten:

"Studenten, Stenotypistinnen, Taxifahrer, Professoren..."(64;13).In einem namhaften deutschen Elektronikkonzern werden Schulabgänger vor ihrer Einstellung von einem Mann getestet, der zwar keine Fremdsprache spricht, aber trotzdem "weiß", daß er ein Genie ist. Man legt Wert auf "jugendlich - dynamisches" Auftreten, fast überall. Versicherungen arbeiten mit Kundenprofilen wie "junge aufstrebende -", "konsumbewußte-" und "gutsituierte Familien", was in Wirklichkeit "arm", "Mittelstand" und "reich" bedeutet. Die Formulierungen tragen die Stigmata positiven Denkens, ebenso wie die Bezeichnungen "finaler Rettungsschuß" und "Kohlepfennig", der eigentlich "Atomgroschen" heißen müßte. Besonders im Marketing - Bereich verbreitet sich das Positive Denken karzinös, in lockerer Verbindung mit der Scientology Kirche.

V.1.1 Murphy's Gesetz

Ein Mensch ist exakt das, was er zu sein scheint - jedenfalls bei Joseph Murphy, weshalb denn auch als Antithese das Buch "Murphy's Gesetz. Oder der Grund warum alles schiefgeht, was schiefgehen kann", erschien (Arthur Bloch), und diese Antithese scheint von nicht unerheblicher Relevanz für unser Thema, nämlich die Bedrohung der Welt mit ihrem Untergang zu sein. "Murphy's Gesetz" sagt nämlich, daß die bloße Möglichkeit, einen Fehler zu machen, diesen Fehler schon bewirkt (vgl. 15;7), was sich bei steigender Bevölkerungszahl und Verantwortungsdiffusion auf unangenehme Weise als wahr herausstellen könnte.

"Ein guter Slogan kann jegliches Denken fünfzig Jahre lang aufhalten"(15;93).

Andererseits stellt sich die Frage, ob es von Vorteil ist , sich die Widrigkeiten der Welt ständig und stets vor Augen zu führen, obwohl deren Analyse ja notwendig ist, weil auf anderem Wege nichts zu ändern ist. Das Bedürfnis nach Wohlgefühl, das allem organischen Leben mehr oder weniger gemeinsam ist, hat natürlich die verschiedensten Rezepturen zu allen Zeiten hervorgebracht, wie dies z.B. auch die Philosophie des Epikur zeigt, andererseits geht es der Philosophie generell um das Aufsuchen von Wahrheit.

Sinnsuche und Streben nach Wohlgefühl liegen dicht beeinander, wie der rege Zulauf, dessen sich Psycho - Sekten erfreuen, deutlich zeigt.

V.2 Alternativen zum positiven Denken

"Wenn jemand, den man tief bewundert und respektiert, in tiefe Gedanken versunken scheint, dann denkt er wahrscheinlich gerade ans Mittagessen"(15;105).

"Was wirklich zählt, ist der Name, mit dem man beim Imponieren durch die Tatsachen Erfolg hat - nicht die Tatsachen selber"(ebd.).

"In jeder Organisation gibt es eine bestimmte Anzahl von Positionen, die mit Versagern besetzt werden müssen"(15;69).

So wahr einige der Behauptungen sind, sowenig ernstgemeint gibt sich Murphy's Gesetz. So muß die Frage nach seriöseren kontradiktorischen Denkmodellen zum positiven Denken aufgeworfen werden, wenngleich die hier aufgezeigten Alternativen dem positiven Denken, in der durch Murphy repräsentierten Form, über viele Jahrhunderte vorausgingen.

Die im Folgenden vorgestellten fernöstlichen Denkmodelle werden auch von dem Physiker und Philosophen Fritjof Capra empfohlen: "Wir werden sehen, wie die beiden Fundamente der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts - Quantentheorie und Relativitätstheorie - uns zwingen, die Welt auf sehr ähnliche Weise zu sehen, wie ein Hindu, Buddhist oder Taoist sie sieht"(21;15).

V.2.1 Tao

Ein altes Rezept zur Erlangung von Wahrheit und Wohlgefühl bietet der Taoismus, der sich durch harmonisierende Sorglosigkeit auszeichnet. Eine gewisse kindliche Sorglosigkeit ist dem Menschen gewiß zuträglich:

"O will nicht verstehn!

Geh, geh vorüber, lass gehn, lass geschehen

und TAO wird Dich erheben, wie es mich erhebt,

das heimlich heilig in uns allen lebt"(35;1).

An verantwortlicher Stelle legte diese kindliche Sorglosigkeit z.B. Harry Truman an den Tag: Oppenheimer ist "eine Heulsuse geworden. Ich will mit solchen Leuten nichts zu tun haben". Er erkannte als Präsident der USA den Staat Israel 15 Minuten nach dessen Proklamation an.

Er ließ, beseelt von fahrlässigem Leichtsinn die Bomben auf Japan werfen. Aber kann man andererseits nicht als geradezu sicher annehmen, daß ohne einen "Menschenversuch", der ein so namenloses Elend nach sich zog, die USA und die UdSSR aneinander, vielleicht schon Anfang der 50er Jahre, dieses Experiment nachgeholt hätten und Horstmanns Vision so noch vor ihrer Niederschrift Realität geworden wäre?

Es gibt also eine innere Einstellung, die einem das Dasein, auch ohne zu glauben, daß wir als gesamte Spezies die Pflicht dazusein hätten, obwohl dieser Gedanke von Jonas etwas beruhigendes hat, erleichtert. Man hat nicht das Recht, einem anderen das Dasein zu rauben, aber auch nicht die Pflicht, als Menschheit zu sein. Trotzdem hat man die Pflicht, die Überlebensbedingungen der Menschheit unangetastet zu lassen. Gegen diese Pflicht wurde bereits verstoßen.

Tao macht hier einen Einschnitt und weigert sich, das arme Gehirn eines Menschen überhaupt mit einer so komplexen Frage zu belasten.

Der Gedanke ist, Ehrgeiz und innere Zwänge (in dem Ausmaß, von dem man weiß, daß es noch zuträglich ist) einfach zu ignorieren und in das Leben hineinzuhorchen, bis der biosphärische Tanz, immer von unten, vom Banalen her kommend, an das eigene Bewußtsein heranreicht und einen erfaßt, mehr und mehr unwiderstehlich, bis man selbst gezwungen ist, sich darin zu bewegen. Soviel ich weiß, ist das TAO.

Versetzt man sich in die Lage eines diensttuenden Soldaten oder Technikers in einer der zirkumpolaren Raketenstationen, (wofür der Spielfilm "Wargames" gute Imaginationshilfen bietet) so ist es für ihn unmöglich, seinen eigenen Einsatz, nämlich die Entsicherung der Langstreckenraketen, als undenkbar abzutun.

Er ist sogar gezwungen, den Gedanken daran zu bejahen - seine Aufgabe besteht nicht darin, den Atomkrieg zu verhindern - so braucht er die Leichtigkeit, unbeschwert, ja verantwortungslos zu handeln, pflichtgemäß also. Wenn er vor der Entscheidung erstarrt, unfähig, sie zu treffen, versagt er. Besonders makaber wirkt hier der Spruch "Erfolg wird mir jetzt beschieden sein"(64;18). Es ist absurd, sich bei Militärs ausgerechnet zivilen Ungehorsam vorzustellen.

So nötig diese Einstellung bei einem Befehlsempfänger ist, so unnötig die Präsenz der zirkumpolaren Raketenstationen überhaupt andererseits ist, drängt sich der Gedanke auf, in der von Oppenheimer zitierten Bhagavadgita eine negative Gesamttendenz zu sehen, zumindest in unserem thematischen Zusammenhang, wo nämlich Krishna die Bedenken des Arjuna, seinen Lehrer und seinen eigenen Großvater in der bevorstehenden Schlacht zu töten, mit dem Hinweis auf seine Reputation als Kriegsheld und die Reinkarnation in unendlich vielen Welten des Alls (34;26f.), zerstreut.

V.2.2 Kynismus

Eine interessante Rolle, angesichts der ethischen Grundfrage "Was soll ich tun?" spielt Diogenes von Sinope. Er war im Mittelalter sicherlich ein Stiefkind scholastischer Tradition von Texten antiker Schriftsteller. So ist auch sein Werk verloren. Jedoch erfahren wir Anekdoten aus seiner Vita bei Diogenes Laertius, welcher im dritten Jahrhundert unserer Zeit lebte: "De vitis, dogmatibus et apophtegmatibus clarorum philosophorum"(25).

V.2.2.1 Was ist "Kynismus" im Unterschied zu "Zynismus" ?

Der zeitgenössische deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat in seiner "Kritik der zynischen Vernunft" zwei einander entgegengesetzte Standpunkte herausgearbeitet, die auf den gleichen Ursprung zurückgehen, erstens den modernen Zynismus, der, so Sloterdijk, bereits überall verbreitet ist, dem aber, wie ich weiter oben behaupte, durch positives Denken nicht abgeholfen werden kann und zweitens den antiken Kynismus, dem Sloterdijk eine neue Bedeutsamkeit in unserer Zeit wünscht und zu dem er Nietzsche als Gewährsmann aufruft (vgl.92;11).

"Von ganz unten, aus der deklassierten städtischen Intelligenz, und ganz oben, aus den Spitzen des staatsmännischen Bewußtseins, dringen Signale in das seriöse Denken, die von einer radikalen Ironisierung der Ethik und der gesellschaftlichen Konvention Zeugnis ablegen, gewissermaßen als seien die allgemeinen Gesetze nur für die Dummen da, während um die Lippen der Wissenden jenes fatal kluge Lächeln spielt"(92;35).

Im Vergleich mit Diogenes beschreibt Sloterdijk nun das aktuelle Phänomen: "Der moderne Massenzyniker verliert den individuellen Biß und schenkt sich das Risiko der Zurschaustellung"(92;36). Er ist "ein integrierter Asozialer, der es an unterschwelliger Illusionslosigkeit mit jedem Hippie aufnimmt"(ebd.). Sloterdijk interessiert sich auch für die Psychologie des Zynikers: "Es handelt sich um die Haltung von Leuten, die sich klarmachen, daß die Zeiten der Naivität vorbei sind. Psychologisch läßt sich der Zyniker der Gegenwart als Grenzfall - Melancholiker verstehen, der seine depressiven Symptome unter Kontrolle halten und einigermaßen arbeitstüchtig bleiben kann"(92;36f.). Bei dem modernen Zynismus kommt es überhaupt wesentlich auf die Arbeitsfähigkeit seiner Träger an (vgl.92;37), "trotz allem, nach allem, erst recht" (92;37). "Denn Zyniker sind nicht dumm, und sie sehen durchaus hin und wieder das Nichts, zu dem alles führt" (ebd.).

"Das ergibt unsere erste Definition: Zynismus ist das aufgeklärte falsche Bewußtsein. Es ist das modernisierte unglückliche Bewußtsein, an dem Aufklärung zugleich erfolgreich und vergeblich gearbeitet hat"(ebd.).

In dem Kapitel "Auf der Suche nach der verlorenen Frechheit" beschreibt Sloterdijk den Kynismus. "Der antike Kynismus ist, am griechischen Ursprung zumindest, prinzipiell frech. In seiner Frechheit liegt eine entdeckungswürdige Methode. Zu Unrecht wird dieser erste wirkliche "dialektische Materialismus", der auch ein Existenzialismus war, neben den großen Systemen der griechischen Philosophie - Plato, Aristoteles und der Stoa - als bloßes Satyrspiel, als halb lustige, halb schmutzige Episode betrachtet und übergangen" (92;203).

Sloterdijk schreibt dem Kynismus eine enttarnende, nackte Wahrheit zu (vgl.92;208), wie sie sich in den pantomimischen Auftritten des Diogenes zeigte (vgl.25;310). "Hier zeigt Apollon, der Gott der Erleuchtungen (vgl.70;393), sein anderes Gesicht, das Nietzsche entging: als denkender Satyr, als Schinder, als Komödiant. Die tödlichen Pfeile der Wahrheit schlagen ein, wo sich die Lügen hinter Autoritäten in Sicherheit wiegen.

Die ‘niedere Theorie’ schließt hier erstmals ihr Bündnis mit der Armut und der Satire. Von hier aus ist der Sinn von Frechheit leicht gezeigt. Seit die Philosophie nur noch heuchlerisch imstande ist, zu leben, was sie sagt, gehört Frechheit dazu, zu sagen, was man lebt. In einer Kultur, in der verhärtete Idealismen die Lüge zur Lebensform machen, hängt der Wahrheitsprozeß davon ab, ob sich Leute finden, die aggressiv und frei ("schamlos") genug sind,die Wahrheit zu sagen" (92;205f.).

Das Wort "frech" selbst hat eine Wandlung durchgemacht, erst seit wenigen Jahrhunderten klingt es negativ (vgl.92;206). "Anfänglich meint es, wie im Althochdeutschen, eine produktive Aggressivität, Rangehen an den Feind: ‘tapfer, kühn, lebhaft, keck, ungezähmt, begierig’. In der Geschichte dieses Wortes spiegelt sich die Devitalisierung einer Kultur. Wer heute noch frech ist, bei dem war die Abkühlung der materialistischen Hitze nicht so wirksam, wie diejenigen möchten, denen unverfrorene Menschen nicht in den Kram passen" (92;206).

Auch David gegenüber Goliath ist ein Beispiel dieser Frechheit (vgl. ebd.). "Mit Diogenes werden weder Sokrates noch Plato fertig - denn er redet mit ihnen ‘auch anders’, in einem Dialog mit Haut und Haaren. So blieb Plato nur die Diffamierung seines unheimlichen und sperrigen Gegners. Er nannte ihn einen ‘rasendgewordenen Sokrates’ (Sokrates mainomenos). Der Satz will eine Vernichtung sein und ist eine höchste Anerkennung. Widerwillig stellt Plato den Rivalen mit Sokrates, dem größten Dialektiker, auf eine Stufe. Dieser Fingerzeig Platos ist wertvoll"(92;209).

Diogenes’ Polemik hat eine andere Qualität, als wir sie gewöhnt sind:"Bei all seinen Kraßheiten ist er nicht oppositionell verkrampft und im Widerspruch fixiert; sein Leben ist gezeichnet von einer humoristischen Selbstgewißheit, die nur souveränen Geistern gehört"(92;209f.). Während der Idealismus hehren Glanz für sich beansprucht, ist die Materie nur Abglanz, nur Beschmutzung. Also wehrt sich die lebende Materie, als das "ausgeschlossene Niedere" betritt sie in Gestalt des Diogenes den Marktplatz und "fordert das Höhere demonstrativ heraus". Dahinter steht nicht Verwirrung, sondern "helle Reflexion". Der Kynismus ist "den heutigen Potentialen sozialen Widerstands auf den Leib geschrieben"(vgl.92;210).

"Animalitäten sind beim Kyniker ein Teil seiner Selbststilisierung, jedoch auch eine Form des Argumentierens. Ihr Kern ist Existenzialismus. Der Kyniker als dialektischer Materialist, muß die Öffentlichkeit herausfordern, weil sie der einzige Raum ist, in dem die Überwindung der idealistischen Arroganz sinnvoll vorgeführt werden kann. Der geistvolle Materialismus begnügt sich nicht mit Worten, sondern geht zur materiellen Argumentation über, die den Körper rehabilitiert"(92;210f.).

So sind denn Zynismus und Kynismus so wie Dekadenz und Armut, Apollinisches und Dionysisches, positives Denken und Murphy’s Gesetz, schwarzer Humor und heiliger Ernst, Idealismus und Realismus , freilich bei fließendem Übergang, trotzdem klar voneinander zu trennen, wobei positives Denken mit seinem falschen Idealismus, sogar noch eindeutiger als Murphy’s Gesetz bei den Zynismen eingereiht werden kann.

M.E. sollte man dabei aber nicht vergessen, daß die kynische Überwindung eines naiven Idealismus - für den, der ihn verbreitet, ist er zynischer Idealismus - nicht zwangsläufig von jedem Idealismus entbindet, bzw. sich diesen verbietet. Sloterdijk meint hier immer falschen Idealismus, wenn er von Idealismus spricht (vgl.92;210). Aber Standpunkte müssen verkürzt dargestellt werden, um plausibel zu sein. "Im Idealismus ... stehen die Ideen oben und glänzen im Licht der Aufmerksamkeit; die Materie ist unten, bloßer Abglanz der Idee"(92;210).

Letztenendes schreibt also Sloterdijk die Provenienz des modernen Zynismus Platos Idealismus zu und nicht dem Kynismus des Diogenes, von dem fast nur das Wort stammt (außer der Bedeutung der Frechheit usw.). Zynismus ist bankrotter Idealismus, während Kynismus den gleichaltrigen ungleichen Bruder des Idealismus darstellt. Jonas’ Stil ist apollinisch - idealistisch, während der von Horstmann dionysisch - neokynisch ist (vgl.70;395).

So ist also gegenüber einem morbiden und moribunden, weil von einem verlorenen Ideal herstammenden, Zynismus der Kynismus, in Sloterdijks Verständnis pure Vitalität. Das Sich Erheben des Geistes über die Niederungen der Materie erzeugt Illusionen und ist somit nicht vital. Der kynische Realismus macht den Blick frei für eine unmittelbare Erfahrung der Realität. Impulse dieser Art würden unserer Gesellschaft gewiß alles andere als Schaden zufügen. Allerdings befrachtet Sloterdijk Diogenes fast unbemerkt mit marxistischen Idealen. Er, der es stets ablehnte, zu arbeiten und seine Verhältnisse zu verbessern, wird zum Helden der Arbeit. Wenn Sloterdijks marxistischer Blickwinkel auch den Spaß an der Lektüre seines Buches nicht gerade erhöht, so gibt es doch genügend Beispiele, die den ungetrübten Genuß seiner kynischen Hauptthese zulassen. Man assoziiert mit Marxismus Omnipräsenz der Arbeit, in der Theorie wie in der Praxis, eine ebenso abstoßende wie unakzeptable Vorstellung. Der "Lob des Müßiggangs" brachte Bertrand Russel 1955 den Nobelpreis. Die Definition des Menschen durch seine Arbeit ist veraltet. Früher hatte sie den Müßiggang der Wenigen auf Kosten der Vielen ermöglicht (vgl.79;14).

Es ist bemerkenswert, daß Jonas mit der Attitüde "dies ist eine ernste Sache" tatsächlich versäumt, auf die Möglichkeiten der Satire aufmerksam zu machen, die mitunter mehr ausrichten, will sagen mehr Volkswillen mobilisieren kann, als der abgehalfterte Sowjet - Kommunismus Anfang der 80er Jahre (vgl.44;306f.,317f.).

Weiter unten konstatiert Jonas auch die Untauglichkeit der Utopie und beschwört dagegen den Realismus (vgl.44;389), wie auch Sloterdijk ihn beschreibt, nur alles ohne zu lachen. Jonas sei damit keineswegs ein sauertöpfischer Charakter unterstellt, was aber tatsächlich zu beklagen ist, ist die konventionelle Gebundenheit an das ernste Thema. Jonas emigrierte 1933 nach Palästina, und das Lachen wird ihm gegenüber den Greueln der Nazis vergangen sein. Auch wenn denkbar ist, daß wir, angesichts einer zerstörten planetaren Umwelt, ebenfalls Unsäglichem entgegengehen, so bleibt doch einzuwenden, daß Jonas nicht die propagandistische Wirkung der Satire berücksichtigt, die andererseits von Horstmann klar erkannt wurde.

V.2.2.2 Kathartische Bedeutung des Kynismus für unsere Zeit

In der von Keith Dowman aus dem Tibetischen übersetzten Hagiographie "Der heilige Narr"(27) wird von einem Mann berichtet, der sich zeit seines erwachsenen Lebens im Zustand der Trunkenheit befand, was für ihn dauernde Katharsis bedeutete. Er wurde, so sagt die Hagiographie über hundert Jahre alt, in denen er "zum Wohle aller Lebewesen wirkte". Man könnte diesen Mann, den berühmten Tantriker, Drugpa Künleg, als den tibetischen Diogenes bezeichnen. Für einen Menschen, der nicht an die Lehren des Buddhismus glaubt und für den infolgedessen "die Erleuchtung" durch Ablösung von den Dingen, die Drugpa Künleg durch den tantrischen Weg der Befriedigung aller Bedürfnisse, anstelle ihrer Unterdrückung, erlangt hatte, kein erstrebenswertes Ziel ist, besteht trotzdem die Möglichkeit, aus dessen ungezügeltem Lebenswandel ebenso wie aus dem des Diogenes Anregungen zu beziehen.

Das Leben, sowohl des tibetischen Heiligen, als auch des ersten Kynikers zeichnet sich aus durch unbekümmerte Kritik an Autoritäten und das Fehlen jeder Dogmatik. So ist das herausragendste Merkmal dieser beiden Weisen ihre Frechheit. Die Frechheit, mit der Drugpa Künleg die Öde des traditionalistischen Klosterlebens bloßstellt (vgl.27;74), wie die Frechheit, mit der Diogenes Platon attackiert und ihn dadurch mitunter auch vor Irrtümern bewahrt. "Als Platon die Definition aufstellte, der Mensch ist ein federloses zweifüßiges Tier, und damit Beifall fand, rupfte er einem Hahn die Federn aus und brachte ihn in dessen Schule mit den Worten: ‘Das ist Platons Mensch; infolgedessen ward der Zusatz gemacht: ‘Mit platten Nägeln’" (92;207,25;314).

In manchen überfüllten Städten der dritten Welt ist sogar Frechheit nötig, um überhaupt dazusein und sich nicht von Baggern und Planierraupen ohne Gegenwehr beseitigen zu lassen. Trotzdem haben diese Menschen, die mit dem Rücken zur Wand leben, mehr spontane Lebensfreude, als die Reicheren der ersten Welt. Die Menschen in den Slums von Großstädten wie Mexico City haben mit Diogenes und Drugpa Künleg gemeinsam, daß sie nichts besitzen. Die Kreativität, die diese beiden Weisen zeigen, um geistig zu überleben, brauchen jene zum körperlichen Überleben. Auch Menschen in geordneten Verhältnissen könnten mehr von der Geistesgegenwart, die Diogenes eignete, gebrauchen.

"Man könnte ihn als früheste Ausprägung deklassierter oder plebejischer Intelligenz bezeichnen"(92;34). Besitz und Sicherheiten sollten nicht zwischen dem Einzelnen und seinem unmittelbaren Erleben der Realität stehen. Interessant wäre es auch, sich die Gefahren, in denen wir uns befinden, bewußt zu machen, die zu abstrakt sind, um gefühlt zu werden. Atomraketen zählen nicht zur Lebenswirklichkeit.

Eine Verbreitung des Bewußtseins, das vor keiner Autorität haltmacht, über das Alles - in - Frage - Stellen, das jeder in der Pubertät erlebt, hinaus, hätte sicher für eine Gesellschaft wie unsere kathartische Wirkung. So müßte jeder, dem man große Autorität zugesteht, diese immer wieder durch sein Verhalten rechtfertigen. Diogenes wie Drugpa Künleg geben das Beispiel einer Streitkultur, in der das Sein nicht mehr scheint, als es ist.

So kommt auch bei dem betrunkenen tibetischen Heiligen die Ekstase zu einer hohen Bedeutung für das Lebenskonzept des Menschen. Trance und Ekstase spielten auch eine große Rolle in den präkolumbianischen Indianerkulturen der Azteken, Majas und Inkas. Wie das, bis in die Moderne hinein praktizierte, tibetische Staatsorakel diente die Trance der Indianer Südamerikas der Ausrichtung des Bewußtseins auf die Zukunft und der Antizipation künftiger Handlungen.

In einer modernen zivilisierten Gesellschaft werden Trance und Ekstase leichtfertig als Zustände des Nicht - bei - sich - Seins oder der Bewußtlosigkeit abgetan, ebenso wie dem Begriff der "inneren Schau", der den Mystikern des Mittelalters noch geläufig war, kein Anspruch auf Wahrheit mehr zugestanden wird. Jonas mahnt mehr Ehrfurcht vor der Natur an (vgl.44;393), diese wäre gegeben, wenn man, wie in der Antike, wieder seine Zuflucht zu Orakeln nehmen und nach pantheistischer Art an Naturgeister glauben würde (vgl.6;98f.). Die Wesenheiten, denen man ihre Existenz zugesteht, entfalten dann ein Eigenleben, werden aggressiv und treiben Schabernack, wie Milarepas Kampf mit den Berggeistern des Himalaja zeigt (vgl.61;16f.).

Die moderne Fantasy - Literatur und deren Verfilmungen zeigen interessante Kombinationen hoher technischer Standards mit archaischen Lebensformen. Auch ist bislang nicht bewiesen, daß uns das zufällige Niederfallen von Kieselsteinen keine Auskunft über die Zukunft gibt.

Entgegen allem "Aberglauben" will der moderne Mensch das Seiende empirisch geklärt wissen, z.B. durch die Statistik, die ohne die (meist vernachlässigten) Angaben der Grundgesamtheit und der ausgewählten Stichproben ebenfalls "mysteriös" bleibt. Überhaupt okkupiert die Statistik, wenn man sie als die Kunde davon, wie die Gemüter der Menschen zu bewegen seien, versteht, in der heutigen Zeit den Platz, den in vergangenen Jahrhunderten die Magie innehatte (vgl.16;102f.). Eine Katharsis durch den Kynismus bedeutet in jedem Fall das radikale Infragestellen vertrauter Gewißheiten, bis hin zur Vernunft selbst als höchste Instanz der Erkenntnis.

Seit Jahrhunderten gibt es keine "große" Literatur mehr,ohne diesen neokynischen Impuls, den man auch als "neokynisches Augenzwinkern" bezeichnen könnte, ein scherzhaftes zunächst nur belletristisches Element, das sich seit Nietzsche auch in der Philosophie findet, das inhaltlich dafür steht, nicht ganz beim Wort genommen werden zu wollen.

Stirner z.B. handelt über sein Thema noch ebenso in vollem Ernst, wie es bei Francis Bacon in "Das neue Atlantis" zu sehen ist.

Bei Nietzsche tun sich die Abgründe der Ironie plötzlich auf.

Im frühen zwanzigsten Jahrhundert argumentierte Sartre als Philosoph noch in vollem Ernst, z.B. über "Das Sein und das Nichts oder Was ist Exstentialismus?" von 1943 (vgl.81;41f.), dafür schrieb er aber seine sarkastischen Theaterstücke, wie "Geschlossene Gesellschaft oder Was ist der Andere" von 1944(vgl.81;27f.). Den Existenzialismus des Cioran könnte man auch "seduktive Philosophie" nennen. Er hört gar nicht mehr auf zu zwinkern. So ist es nicht die feine Art von Cioran, einer gläubigen Anhängerschar ernsthaft zum Selbstmord zu raten, einige folgten dieser Empfehlung, um nun selbst als über 90 jähriger in Paris das Leben zu genießen. Auch bei Nietzsche werden, je näher seine Krankheit kommt, in seinem Werk die Perioden zwischen zweimal Zwinkern kürzer und kürzer.

Darf man in einer Diplomarbeit mit den Augen zwinkern?

V.2.2.2.1 Kynismus in der Kultur des 20. Jahrhunderts

Die moderne Literatur ist im obengenannten Sinne sooft kynisch, daß man dies als Beleg für die Omnipräsenz dieser Denkart ansehen könnte. Ausgehend von der Bekenntnis - und Selbstbezichtigungsliteratur zu Anfang des 19. Jahrhunderts, die vermutlich mit Thomas De Quinceys "Bekenntnissen eines englischen Opiumessers" begann, um dann über Lord Byrons "Child Harold" und Fitz Hugh Ludlows "Der Haschischesser", zu Baudelaires "künstlichen Paradiesen" zu führen, läßt sich der Beweis für Kynismus in der modernen Literatur leicht antreten. Auch Grimmelshausen wäre als früher Vertreter eines unbekümmerten Erlebnisromans hier zu erwähnen.

Sein Roman gilt als bedeutendste deutsche Barockdichtung. Mit seinen frechen episodenhaften Erzählungen kann der Simplicissimus trotz seines hohen Alters als Vorreiter der Moderne gesehen werden, ähnlich wie in der Malerei Hieronymus Bosch. Selbstverständlich ist es für den Kynismus in der Literatur nicht konstitutiv, daß seine Protagonisten in den Romanen ständig Drogen nehmen, wichtig ist vielmehr, daß man es nicht so genau nahm mit der Moral, wie deren Prediger.

So wie in den Pariser Salons des 18. Jahrhunderts, in denen Jean - Jacques Rousseau des öfteren den Wilden gab, war es auch in England und fast überall im Europa des 19. Jahrhunderts schick, eine Moral zur Schau zu tragen, die sich im Dandyismus und in Oscar Wilde’s "Dorian Gray" kristallisierte. Eine Moral, die zuvor den Strauchdieben, dem Adel und dem Klerus vorbehalten war, machte sich erstmals auch im Bürgertum breit. Freilich lavieren diese Haltungen zwischen ursprünglichem Kynismus und Herrenzynismus.

In James Joyce’s "Finnegan’s Wake" ist dann nicht mehr das Wort die kleinste Sinneinheit. Man wittert Blasphemien, wenn man einen Satz liest wie "noch neStimmede aus de - Feuerne michsiemaschsie blaßgebalgt um Dubistpaetrick taufzutaufen: noch nicht, obwohl hirschnell danach, hatte ein Knirpskniff einen dünkelnobelalten Isaak butterseicht bedickerendet", ohne jedoch Deutliches zu verstehen.

Die Fortsetzer dieser Linie finden sich in Lawrence Durrel, Malcolm Lowry, sowie in der amerikanischen Beatnik - Literatur, vertreten durch Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Richard Alpert, Thomas Pynchon und Charles Bukowski, die sich allesamt in der einen oder anderen Art des Alkohol - oder Drogenmißbrauchs beschuldigten. Bei jedem dieser Autoren wird sich eine ihm eigentümliche Weltdeutung finden, meist irgendwie kynischer Provenienz.

So gibt es bei Bukowski in "Der Mann mit der Ledertasche" seinen autobiographischen Alkoholiker als Postboten, in Alperts "Baba Ram Das" den Indien - Freak, während Pynchon, in seinen Romanen "V" und "Die Enden der Parabel", die Rakete mit nuklearem Sprengsatz in paranoischem "Stream of Consciousness" als technokratischen Phallus erklärt. Die zuletzt erwähnten Beispiele sind neuere Ansätze der Romanliteratur, die zwar einerseits ihre Anregungen aus der Romantik des vergangenen Jahrhunderts beziehen, andererseits jedoch auf Diogenes von Sinope verweisen, indem hier tendenziell gesetzlose Individualität gezeigt wird. Hier ist der Mensch als Protagonist eines Romans noch das "freie Raubtier" (Nietzsche).

Auch William Kotzwinckles "Der Fan Man" und Graham Greenes "The Power and the Glory" enthalten den kynischen Impuls, wenn auch jeder auf andere Art. Während bei Kotzwinckle die christliche Kirche schon Kulisse für den "Liebeschor" des Protagonisten ist, ist bei Greene das Christentum, besonders in "Die Kraft und die Herrlichkeit" noch Schutz und Schild des Helden, seine Haltung ist die "wahre" Imitation Christi, bis heute ein Mysterium. Zum Glück ist dies bereits umstritten.

Von je her glaubte man an eine Geschichte von zweifelhafter Authentizität. Neue Erkenntnisse oder Behauptungen über das Christentum, die die Echtheit neutestamentlicher Texte infragestellen, wären in jedem anderen Jahrhundert des christlichen Abendlandes undenkbar gewesen. Inhaltliche Details zu diesem Komplex finden sich in der "Verschlußsache Jesus", wo nicht die Philosophie, sondern die Theologie "mit dem Hammer" bearbeitet wird. Inzwischen wird dieses Buch allerdings als romanhafte Bearbeitung des Themas betrachtet, die einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhält.

Die Bedrohung mit der Hölle verhinderte bis heute die Genese einer Ethik, die sich als rationale Abwägung der Gründe des Handelns versteht. Dieser Aberglaube, den man ohne den geringsten Zweifel ohne Anführungsstriche schreiben kann, verhindert bis heute eine Übereinkunft über ethische Ziele, sowohl bei den Gläubigen verschiedener Religionen, als auch im Dialog der Religionen mit dem Atheismus.

Auch die bildende Kunst bewegt sich bereits in anderen Gefilden. Während bei den Meistern des niederländischen Barock sich noch unverhohlene neokynische Lebensfreude erkennen läßt, etwa auf den Genrebildern, die Menschen im lustvollen Lebensvollzug zeigen, hat die postexpressionistische Moderne einen Weg eingeschlagen, der zwar den Eingeweihten lachen, den Unbedarften jedoch verwirrt stehen läßt. Diese Kunst, angefangen mit der "Quelle" des Marcel Duchamp, die nur aus einem handsignierten Männerpissoir bestand, über die Fotographie einer Frau des Man Ray, auf deren Rückseite die F - Löcher einer Geige, bzw. eines Cellos zu sehen waren, die sich bis zu den Extravaganzen des Joseph Beuys erstreckte, ist ein fortwährender Aufschrei gegen gewohnte Denkmuster. Salvadore Dali, vertraut mit Halluzinogenen, befand sich in dauernder Selbst - Psychoanalyse. So entstand seine "paranoisch - kritische Methode". Außer seinen Bildern, einigen Filmen und einem Roman hinterließ er der Nachwelt auch die angeklebten Fingernägel.

Dem der diese Kunst versteht, bleibt zumeist die subtile Symbolik der Kunst des Mittelalters und der Neuzeit verschlossen, die dadurch, daß sie sich das Christentum zum Fundament nahm, ohnehin bald nicht mehr außerhalb von Expertenkreisen rezipierbar sein wird.

Hier sei nicht einer Kultur der Oberfläche das Wort geredet. Gewiß enthalten Verbildlichungen christlicher Inhalte Stoff zu langem Nachdenken, wenngleich sie dem alttestamentlichen Gebot der Nichtabbildung zuwiderhandeln. Die Botschaft der dadaistischen Kunst, diese ist eine besonders reine Form des Neokynismus, ist jedoch die unbekümmerte Perzeption der Vergangenheit, bis hin zu der unbekümmerten Überschreibung der Vergangenheit, denn das ist das Readymade des Marcel Duchamp, das er auf einer Reproduktion der Mona Lisa verfertigt hat, gewiß, während die kynischen Anwandlungen des Leonardo sich, aufgrund der staatlich - kirchlichen Strenge, die seine Zeit kennzeichnete, ganz auf das Privatleben beschränkten.

In dem philosophischen Roman "Rotwang oder die irre Präzision der Träume" wurde die Verzweiflung über die Dominanz der Vergangenheit in der Kunst für einen jungen Künstler gar so bedrückend, daß er seine Lage wie folgt beschrieb: Er "fühlte sich im Würgegriff der Vergangenheit. Er hielt sich für einen Künstler ohne Kunst. Die Künstler der Vergangenheit hatten jede erdenkliche künstlerische Ausdrucksweise aufgebraucht und hatten ihm nichts übriggelassen"(39;43). Schließlich wagte er die Flucht nach vorne: "Er arbeitete Tag und Nacht und füllte über 3000 Sprühdosen mit dieser Chemikalie, die er KS - Gas nannte. Kultur - Sabotage - Gas. Er unternahm eine Reihe kühner Streifzüge durch Kunstmuseen, am hellichten Tage. Verschiedene dieser Sprühdosen wurden an Freunde in Europa, Afrika, Südamerika und in der ganzen Welt verschickt, damit auch dort das Geschäft lief. Bald begannen sich Meisterwerke aller Art aufzulösen"(39;42).

Aus bis heute überlieferten Gründen der Pietät gegenüber dem Genie ist ungenannt geblieben, daß Leonardo da Vinci schwul war und seine komplexen Folter - und Tötungsmaschinen - allesamt später realisiert - aus Gründen der Kurzweil des hochbegabten, aber leider sexuell unbefriedigten Mannes zu Papier gebracht worden waren. Manchmal hat der Mensch, genial oder nicht, keine Zeit mehr, seinen Nachlaß zu verbrennen, um Schlimmstes zu verhindern.

Das Leben des Timothy Leary, als Gelehrter (Ph.D in Psychologie, Berkeley) der regelmäßig L.S.D. nahm, durfte dem Kolorit des 20. Jahrhunderts nicht fehlen. Seine Extravaganz kann man schon fast als überholt betrachten, durch japanische Media - Surfer, die nach eigener Aussage ausschließlich in elektronischen Medien leben.

Die moderne Musik ist in zynischem Zustand. Zunächst einmal diskreditiert sie sich selbst durch die Bezeichnung "E - Musik", d.h.: Ernste Musik.

Mozart, Vivaldi und Händel wären zu ihrer Zeit wohl kaum der "E - Musik" zuzurechnen gewesen.

Moderne Musik, will sagen "neue Klassik" ist etwas für Besessene. Karl - Heinz Stockhausen, John Cage und György Ligeti haben noch mäßige Unterhaltungsqualität, vor allem, wenn man letzteren in einem so grandiosen Film wie "2001 - Odyssee im Weltraum" hört, der von dem Profanbuddhisten Arthur C. Clarke geschrieben wurde. Generell eignet der neuen Klassik, und das ist alle ernste Musik, ein Zwang zum "Cluster", zur Disharmonie.

Musik wie der im letzten Jahrhundert in den Südstaaten der USA entstandene Blues gilt dem Verfechter der neuen Klassik als rückständig, weil in der Harmonik der musikalischen Romantik verwurzelt, oder noch schlimmer: im Volkslied.

Beispiele für die Romantik sind Franz Liszt, Richard Wagner, Friedrich Smetana und Antonin Dvorak, gegen die ihre Zeitgenossen Johannes Brahms, als Komponist und Vertreter der klassischen Kompositionsmethode und Eduard Hanslick als Musikkritiker ebenso kämpften, wie heute tendenziell jeder für irgendetwas kämpft, das sich der rationalen Analyse durch alle seine Zeitgenossen entzieht.

Der Vorwurf, die U (Unterhaltungs) - Musik bewege sich harmonisch im vorherigen Jahrhundert ist insofern gerechtfertigt, als die Beatles, besonders in ihrer Spätphase, gerne übermäßige und verminderte Akkorde verwendeten, die auch Wagners bevorzugte "moderne" Klänge gewesen waren, wie auch der "Tristan - Akkord", in dem eine sinnierende Fachliteratur gewiß die gestaltgewordene Verzweiflung der unglücklich Verliebten erblickt.

Die Musik scheint durch die Abwesenheit eines Publikums so extravagant geworden zu sein. In der Kunst herrscht angeblich der Geschmack. Erst die Nachwelt wird zeigen, wer ein Künstler war.

Der Kynismus in der Literatur jedoch ist ein Faktum. Man begegnet ihm in aller guten Lektüre.

V.2.2.3 Diogenes und die Bombe (Dr. Seltsam, Wargames u.a.)

Es hat das Gedankenspiel mit dem Weltuntergang schon seit den 50er Jahren dieses Jahrhunderts etwas gleichsam frivol Dionysisches. Da war z.B. der Film "Das letzte Ufer" mit Gregory Peck und Fred Astaire. Die letzten Überlebenden eines Atomkrieges befinden sich in Australien, bedroht vom langsamen Strahlentod. Ein Funksignal aus Nordamerika läßt letzte Hoffnungen aufkeimen, aber die nach New York entsandte U - Boot - Expedition muß feststellen, daß nur ein Windspiel sich in der Tastatur eines Morseapparates verfangen hat. Solche Vorstellungen, wie auch Horstmanns Untier sind ohne Zweifel mehr dionysisch als apollinisch (vgl.70;485), trotzdem ist Horstmanns Untergangsempfehlung, nimmt man sie ernst, nicht kynisch, sondern zynisch (vgl.92;35).

Diogenes ist der Mensch ohne Mikroskop, Teleskop, Geigerzähler usw., selbst für damalige Maßstäbe ein in Armut Lebender, entkleidet aller Hilfsmittel. Demgegenüber steht die Bombe, der "wahre Buddha des Westens"(92;258), ein Produkt der Hochtechnologie. Sie bedarf des Wartungspersonals, der Konstrukteure, der Versuchsapparaturen, der Zyklotrone, der Oszilloskope. Bedingung für die Existenz der Bombe ist eine gewaltige finanzielle Investition. Trotzdem ist Horstmann, wie er uns so erschreckt, auch ohne selbst zu darben, so wie Diogenes, dessen hintergründigen Humor er nur aktualisiert hat. Voraussetzung der Willensfreiheit ist die Möglichkeit, "NEIN" zu sagen. Das tut Horstmann ebenso wie Diogenes sehr gründlich.

V.3 Leben in "virtueller Zeit"

"Als die Bombe auf Amerika fiel, fiel sie auf Menschen. Sie zerstückelte sie nicht wie die Menschen in Hiroshima ... Sie löste ihre Körper nicht auf. Aber sie löste etwas auf, das den Größten und Kleinsten lebenswichtig war: ihre Verbindung mit Vergangenheit und Zukunft. Es gab etwas Neues in der Welt, das sie für immer von allem schied, was gewesen war. Es verwandelte die Erde, die so fest... zu sein schien".

Wenn man bedenkt, daß der Möglichkeiten zur Vernichtung unserer zivilisierten Welt bisher schon viele gewesen sind, wie oft wir schon ohne davon zu wissen der Katastrophe entgangen sind, dann scheint es nicht übertrieben, wenn man sich die eigene Lebenszeit als "geliehen" vorstellt. Zeit, die geliehen ist und damit gar nicht meine eigene, hat etwas Irreales. Ich möchte diese geliehene Zeit hier mit den Bildern, die nicht von einer Mattscheibe aufgefangen werden können, man kennt sie aus der Optik, den virtuellen Bildern, vergleichen.

Das "Virtuelle" an der Zeit beginnt da, wo man im Hinblick auf eine Zukunft eine Handlung vornimmt, von der man nicht mehr weiß, ob es die Zukunft noch geben wird, weil dann vielleicht keine Zeit mehr existieren wird, mangels eines Subjektes, das sie wahrnehmen könnte. Blickte man von einer in der Zukunft liegenden Katastrophe größten Ausmaßes zurück auf unsere Gegenwart, dann müßte uns auffallen, daß Ehen geschlossen waren, die nicht geführt wurden, Kinder geplant, die nicht geboren wurden, Ausbildungen begonnen, die nicht beendet wurden, eine Vielzahl von Handlungen wäre im Hinblick auf eine Zukunft unternommen worden, die es nun, in dem oben angenommenen fiktiven Moment gar nicht gibt.

So kann einen in jedem Augenblick das kafkaeske Gefühl anwandeln, z.B. ein überlebender des nicht - stattgefundenen Atomkriegs von 1962 zu sein, oder auch der glücklicherweise nicht vertieften Taiwan - Krise von 1996.

In Computersimulationen ist jeder einzelne von uns Zeitgenossen auf diesem Planeten bereits unzählige male ausgelöscht worden. So hat die verrinnende Zeit eine andere Qualität, als sie sie hatte, als sie uns als Gattung Mensch in unbegrenzter Dauer zur Verfügung stand, wenngleich das Leben des Einzelnen auch ungleich bedrohter gewesen sein mag.

"Wir müssen den armen, verirrten Papalagi (damit ist der europäische Mensch gemeint) vom Wahn befreien, müssen ihm seine Zeit wiedergeben. Wir müssen ihm seine kleine, runde Zeitmaschine (Armbanduhr) zerschlagen und ihm verkünden , dass von Sonnenaufgang bis - untergang viel mehr Zeit da ist, als ein Mensch gebrauchen kann"(82;65). Um sich dem Begriff der Zeit zu nähern, empfehlen sich moderne physikalische Theorien.

Stephen W. Hawking erklärt die Heisenbergsche Unschärferelation der Quantenmechanik wie folgt: von einem Teilchen, z.B. einem subatomaren Teilchen, wie einem Neutron oder Quark, läßt sich nur entweder die Position oder die Geschwindigkeit genau angeben, nicht jedoch beides (vgl. 38;214f.). "Die Quantenmechanik löst dieses Problem durch eine Klasse von Quantentheorien, in denen Teilchen keine festgelegten Positionen oder Geschwindigkeiten haben, sondern durch eine Welle repräsentiert werden. Die Quantentheorien sind insofern deterministisch, als sie Gesetze für die Entwicklung der Welle mit der Zeit angeben: Wenn man die Welle zu einem bestimmten Zeitpunkt kennt, dann kann man sie für einen anderen Zeitpunkt berechnen. Das unvorhersagbare Zufallselement kommt nur dann ins Spiel,wenn wir versuchen, die Welle in Hinblick auf die Positionen und Geschwindigkeiten der Teilchen zu interpretieren. Aber vielleicht ist das unser Fehler: Vielleicht gibt es keine Teilchenpositionen und - geschwindigkeiten, sondern nur Wellen"(38;215).

"Der offensichtliche Widerspruch zwischen dem Bild der Teilchen und Wellen wurde auf völlig unerwartete Weise gelöst, die die Grundlage des mechanistischen Weltbildes in Frage stellte, nämlich den Begriff der Realität der Materie. Auf der subatomaren Ebene existiert Materie nicht mit Sicherheit an bestimmten Orten, sondern zeigt eher eine ‘Tendenz zu existieren’, und atomare Vorgänge laufen nicht mit Sicherheit zu definierten Zeiten und auf bestimmte Weise ab, sondern zeigen eher ‘Tendenzen zu erscheinen’"(21;67).

Der Augenblick der erstmaligen Zurkenntnisnahme dieser Tatsachen kann als ein "Wegsacken des sicheren Bodens unter den Füßen" empfunden werden. Dieser Widerspruch zwischen Teilchen und Wellen wurde als Paradoxon aufgefaßt, ehe er zur Grundlage der Quantentheorie wurde (vgl.21;66). Einstein hegte zeitlebens eine Aversion gegen die Quantentheorie, die er mit dem Satz "Gott würfelt nicht" zu erklären suchte (vgl.31;114).

Die Welt, wie sie ist, hat mit zunehmender Erkenntnis, als Objekt des Betrachters, die ebenfalls zunehmende Tendenz, hergebrachte Gewißheiten abzustreifen und so Rückbezüge zu nicht mehr tradierten, weil urzeitlichen, Werten wiederherzustellen: Die Umwertung aller Werte (vgl.68;464,466). "Urzeitlich" muten diese Zusammenhänge an, weil hier die Inhalte moderner Physik direkt an die Mythen der Völker, teilweise auch an die Werte von Stämmen anknüpfen, die heute noch auf Steinzeitniveau leben.

Es entsteht eine Flut von Rückbesinnungen auf Archaismen.

Statt sich in Nichts aufzulösen, wie Kulturpessimisten schon seit SesostrisIII. behaupten, kehrt die Intelligibilität der Welt zu ihren Ursprüngen zurück. Die Zeit ist nicht relativ geworden, sie war es schon immer. Die Veränderung ist in den Köpfen, seit wir konkrete Anhaltspunkte dafür haben, wie wenig wir eigentlich wissen. Dahin war es ein weiter Weg seit Sokrates.

Der heutige durchschnittliche Mensch unterscheidet sich von einem Gelehrten des Mittelalters oder der frühen Neuzeit nicht nur durch sein umfangreicheres oberflächliches Wissen, sondern auch durch die fast unendlich geringere Überzeugtheit von seiner eigenen Kompetenz.

Die Einsicht in die eigene Hinfälligkeit mag zwar Weisheit bedeuten, sie macht aber auch unzufrieden, und das ist der Grund, warum wir uns mit einer gewissen Berechtigung ständig über sie hinwegtäuschen.

VI. Zweites Hauptstück: Hans Jonas und "das Prinzip Verantwortung"

VI.1 Biographisches zu Jonas

Hans Jonas, Prof. emeritus, Dr. phil. wurde am 10.Mai 1903 in Mönchengladbach geboren. Er starb 1993. Er war Philosoph und Theologe.

1924 Jonas folgt seinem Lehrer Heidegger nach Marburg

1928 Promotion in Philosophie.

1933 Emigration nach Palästina

1938/39 und 1946 - 48 lehrte er an der Hebraic University Jerusalem.

Seit 1955 lebte er in den USA (letzte Adresse im Staat New York).

1973 wurde er zum Ehrenpräsidenten des International Colloquium of Gnosticism in Stockholm ernannt.

1982/83 Gastprofessur an der Universität München

Auszeichnungen:

1984 Dr. Leopold Lucas Preis

1987 Friedenspreis des deutschen Buchhandels

u.v.a.

Publikationen:

1934 der erste Band über die Gnosis und den Geist der späten klassischen Antike, der seine Reputation als Religionsphilosoph etablierte

1979 Das Prinzip Verantwortung

1981 Macht oder Ohnmacht der Subjektivität

1985 Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung

VI.2 Strukturaler Aufbau des Prinzips Verantwortung

In seinem Vorwort, beginnend mit dem "endgültig entfesselte(n) Prometheus" umreißt Jonas die Problematik seines Buches, um dann in dem Kapitel "Das veränderte Wesen menschlichen Handelns" auf die Technologie überhaupt innewohnende Problematik aufmerksam zu machen. Die Lösung eines Problems erzeugt ein neues, so daß dem modernen technisierten Wirtschaftsapparat Untätigkeit überhaupt unmöglich wird. Alsdann kommt Jonas zu "Grundlagen - und Methodenfragen", in denen noch immer ökologische und ethische Fragen im Sinne der Notwendigkeit der Erstellung einer "Zukunftsethik" behandelt werden. Im dritten und vierten Kapitel "Über Zwecke und ihre Stellung im Sein" und "Das Gute, das Sollen und das Sein: Theorie der Verantwortung" löst er sich von der ökologischen Fragestellung, um ethische Probleme "an sich" zu lösen, die im fünften Kapitel "Verantwortung heute: Gefährdete Zukunft und Fortschrittsgedanke" wieder auf den Zustand der organischen Welt appliziert werden. Im sechsten Teil des fünften Kapitels "Utopie und Fortschrittsgedanke" kommt es zu der Idee, daß jedweder Ideologie zu folgen sei, sofern sie nur das Überleben der Menschheit als das, was sie ist, gewährleisten könnte. Am Beispiel der Sowjetideologie führt Jonas diesen Gedanken näher aus. Schließlich im sechsten und letzten Kapitel "Kritik der Utopie und die Ethik der Verantwortung" kommt er zu dem Schluß, daß keine Utopie oder Ideologisierung zum Ziel führen kann, das ausschließlich durch illusionslosen Realismus überhaupt erkennbar werden kann.

Erwähnt werden muß noch das ebenfalls von Hans Jonas geschriebene Buch "Technik, Medizin und Ethik", das im Untertitel "Zur Praxis des Prinzips Verantwortung" heißt und gleichsam einen Supplementband zum "Prinzip Verantwortung" darstellt. In den folgenden Ausführungen wird es ebenfalls öfters zitiert werden. Man verzeihe mir den gegen Ende des Kapitels zunehmend essayistischen Stil.

VI.2.1 Ethische Grundsätze, Zweck und Mittel

Um seine Forderungen nicht im luftleeren Raum stehen zu lassen, entfaltet Jonas, bevor er sie anwendet, zunächst die Gedanken, was Ethik war und was Ethik heute ist, was eine ethische Haltung für ihn ist und was wir vernünftigerweise als ethischen Minimalkonsensus akzeptieren müssen. "Alle traditionelle Ethik ist anthropozentrisch"(44;22). Damals wurde der Mensch in seinem Wesen als konstant betrachtet. Er war nicht Gegenstand möglicher Veränderung durch eine Kunstfertigkeit (vgl.44;22). "Wohl oder Übel ... war keine Sache entfernter Planung"(ebd.). Die Nähe der Ziele galt "für Zeit sowohl als Raum"(ebd.). Rechtes Verhalten hatte so unmittelbare Kriterien, fast unmittelbare Vollendung und bezog sich auf Objekte der unmittelbaren Nähe (vgl.44;23). Die Ethik der jenseitigen Vollendung fällt jedoch als mögliche Begründung einer Ethik für die Zukunft weg (vgl.44;39f.).

"Warum die moderne Technik ein Gegenstand für die Ethik ist ... folgt aus der einfachen Tatsache, daß die Technik eine Ausübung menschlicher Macht ist, d.h. eine Form des Handelns, und alles menschliche Handeln moralischer Prüfung ausgesetzt ist"(45;42). Trotzdem hat die Ethik in der heutigen Zeit, bedingt durch verschiedene neuere geistige Strömungen, einen schweren Stand, denn in der Moderne wurde die "Idee von Norm als solcher zerstört"(44;57). "Nun zittern wir in der Nacktheit eines Nihilismus, in der größte Macht sich mit größter Leere paart, größtes Können mit geringstem Wissen davon, wozu"(ebd.). Auch diese These wird in "Technik, Medizin und Ethik" näher ausgeführt: "Es ist ... eine Binsenwahrheit, daß ein und dieselbe Macht sich zum Guten wie zum Bösen benutzen läßt und man bei ihrer Ausübung ethische Normen beachten oder verletzen kann. Die Technik, als enorm gesteigerte menschliche Macht, fällt eindeutig unter diese generelle Wahrheit"(45;42). Von "den neuen technologischen Handlungsvermögen des Menschen"(44;58) geht, da überall schon gehandelt wird, ein Druck aus, nach Neuem in der Ethik zu suchen (vgl.44;58). Nie zuvor konnte der Mensch so folgenreich handeln und war dabei doch gleichzeitig so unwissend über das "Wozu".

In dem Kapitel "Über Zwecke und ihre Stellung im Sein" schreibt Jonas: "Ein Zweck ist das, um dessentwillen eine Sache existiert und zu dessen Herbeiführung oder Erhaltung ein Vorgang stattfindet oder eine Handlung unternommen wird. Er antwortet auf die Frage ‘Wozu?’(44;105)". Der Zweck liegt nicht im Ding selbst, sondern in der von demjenigen Menschen verfolgten Absicht, der sich dazu des Werkzeugs bedient (vgl.44;114): "Dies ist so bei allen leblosen Geräten: der ihnen als Kunstprodukten wesentliche Zweck ist doch nicht der ihre; ihrer totalen Zweckhaftigkeit ungeachtet - oder gerade wegen ihrer - sind sie eigener Zwecke bar"(44;108). Der Begriff geht also der Sache voraus. "In konventioneller Technik ist der Zweck - auch der sonstwie fragwürdigste - stets durch irgendeinen Nutzen definiert. Keine technische Konstruktion ist ihr eigener Zweck"(45;169).

Menschen sind "zweckwollende Wesen"(44;109), die z.B. in einem Gerichtshof einem gemeinsam verfolgten Zweck dienen. Anders als bei Dingen liefert der Zweck aber bei einem Werkzeug, das sich aus selbsthandelnden Menschen zusammensetzt nicht nur den Begriff, nach dem das Werkzeug angefertigt wird, sondern begleitet das Werkzeug bei seinen Anwendungen, ständig sein Im - Dasein - Verbleiben bedingend. "Im Unterschied zum ‘Hammer’ gilt denn also beim ‘Gerichtshof’ (beides in gewissem Sinne ‘Werkzeuge’), daß der Zweck nicht nur objektiv seine raison d’être, sondern auch subjektiv die fortgesetzte Bedingung seines Funktionierens ist, insofern als die Mitglieder des Gerichtshofs selber ihn sich zueigen gemacht haben müssen, damit er als solcher funktionieren kann"(44;110).

Ein Zweck bleibt nicht notwendig eindeutig: "Hinzugefügt sei nur, daß ‘eindeutig ein Zweckgebilde sein’ nicht notwendig Eindeutigkeit des Zweckes selbst besagt: mehrere Zwecke können sich in seiner ursprünglichen Konzeption vereinigen oder in seiner späteren Funktion hinzugesellen, einschleichen, usw., bis zur Entfremdung vom anfänglichen Zweck; und bei dem gesellschaftlich - personalen ‘Mittel’, dem Amt, ist es nicht ausgeschlossen, daß es sich, aller ursprünglichen Absicht zuwider, zum Selbstzweck macht"(44;114).

Zu einem Zweck werden bestimmte Mittel eingesetzt. So nutzt man die Beine um zu gehen. "Um zu" bezeichnet den Zweck, die Beine sind die Mittel (vgl.44;116). Beine, Hände und Sinnesorgane verlängern sich beim heutigen Menschen in Apparaturen. Im menschlichen Handeln gibt es subjektive Zweck - Mittel - Ketten, d.h. subjektive Zweckstrukturen mit "vorgestellten Zielen"(44;119). Nach den Ursachen einer Handlung gefragt, geben Menschen ganze Reihen von Auskünften (vgl.44;118). Bei Tieren werden Zwecke "instinktiv" verfolgt, wobei der Einsatz von Mitteln für einen Zweck in der Regel nicht bewußt ist (vgl.44;119).

VI.2.1.1 Über bewußte und unbewußte Zwecke

Auch bei den "zerebral höheren Arten" herrscht eine Beschränkung des "Gewußten" und "Gewollten", d.h. der "Aufteilung der ganzen Zweckserie in jeweils zum folgenden überleitende Einzelzwecke (44;121)". Wenn der Gesamtzweck der Hunger ist, "durchherrscht" dieser die ganze Reihe und ist der Auslöser aller Einzelhandlungen. "Also ist allgemein das dem Bedürfen zugeordnete Gefühl der seelische Sachwalter des Zweckes im willkürlichen Verhalten vor - rationalen Lebens"(ebd.). Die "kleineren Handlungskomplexe", aus denen die Kette besteht, entsprechen bestimmten Schemata, die im Organismus bereits angelegt sind. Diese kanalisieren den "Antrieb des Gefühls"(ebd.). "Der Zweck wohnt ... in dem Antrieb" und den "vorgeprägten Verhaltensformen"(ebd.). "Also folgendes Hin und Her in unserem Beispielsfall: Maus gesichtet - Belauern, Maus in geeigneter Stellung - Sprung, Maus in Klauen - Zerreißen, Maus zerrissen - Verspeisen; metabolischer Mangelzustand (Dishomeostasie) mit seinem inneren Melde - und Reizungssystem (‘Hunger’) als unterliegende Allgemeinbedingung vorausgesetzt".

So gesehen hätte alles tierische Leben nur den Zweck der Beseitigung von Spannung (vgl.44;124), was dann in etwa auch auf den Menschen zutreffen müßte (vgl.44;126), da höheren Wirbeltieren, wie z.B. Hunden der Status der Subjektivität nicht abgesprochen werden kann, welcher ebenso eine Rolle spielt in menschlichen Zwecken und damit in der Ethik. Die "kausale Stellung der Bewußtseinssphäre" umgeht Jonas aus Platzgründen (vgl.44;127). Er sagt aber, daß die Annahme der Ohnmacht des Subjektiven sich als absurd herausstellt und ebenso "als unnötig für den mit ihr beabsichtigten Zweck, nämlich die Wahrung der Integrität der Naturgesetze". Da "Handeln" als solches auch in der Natur vorkommt, ist es nicht an den Menschen gebunden. Somit ist die "Wirksamkeit von Zwecken" nicht auf "Rationalität, Überlegung und freie Wahl"(44;128), was soviel heißt, wie auf den Menschen, angewiesen. Die Frage nun, ob Zweckhaftigkeit auch unterhalb der Ebene von Bewußtsein, wenn nicht gar unterhalb von animalischem Sein, also in der Natur an sich, wirksam ist, ist für die ontologische Herleitung des Begriffs "Wert" grundlegend, wenn sie auch nicht mit großer Gewißheit beantwortet werden kann (vgl.44;129).

Indem wir unterstellen, daß der Zweck einer Handlung vom handelnden Subjekt bestimmt wird, haben wir den Zweck bisher "im Lebendigen erst so weit vindiziert, wie ‘Bewußtsein’ reicht"(44;131). Damit scheint er für die vegetativen Organfunktionen gar keine Gültigkeit zu haben, ebensowenig wie für das Leben bewußtloser, z.B. nicht - zerebraler Organismen.

Mit dieser merkwürdigen Teilung wäre durch das Auftreten des Bewußtseins kein gradueller, sondern ein radikaler Unterschied aufgetreten, zwischen Wesen mit Bewußtsein und solchen ohne Bewußtsein, es wäre "ein ganz neues, heterogenes Prinzip der Aktion in die Natur"(ebd.) eingetreten. Nur bei den Wesen mit Bewußtsein wäre dann ein gradueller Unterschied der Teilhabe daran. Ebenso wären die nicht bewußten Bereiche des Nervensystems eines bewußtseintragenden Wesens radikal von den anderen Bereichen zu trennen. Dies ist nicht undenkbar. Bewußtsein oder Fähigkeit zu fühlen wird hier mit Transzendenz und Seele gleichgesetzt. Es handelt sich um eine dualistische Ingressionstheorie, die aber mit allerlei Einwänden behaftet ist, wie sie sich z.B. anhand der Frage, ob eine Amöbe, als kleinste "fühlende" Einheit, mit einer Seele ausgestattet sei, ergeben (vgl.44;132). Die Alternative der monistischen Emergenz - Theorie lautet, "daß Seele und Geist ... aus der Natur selbst hervorgehen"(44;133), was aber ebenso auf den "qualitativen Sprung" vom unbewußten Leben zum Bewußtsein hinausläuft. Dagegen will Jonas aber "letztlich um der Ethik willen - den ontologischen Sitz von Zweck überhaupt von dem in der Subjektspitze Offenbaren zu dem in der Seinsbreite Verborgenen erweitern, ohne das Verborgene dann in der Erklärung seines Bergenden - und mit ganz anderem Gesicht Offenbaren - zu verwenden"(44;138f.).

Die Subjektivität ist nur eine Spitze des Eisbergs, die ohne ihre Wurzeln in der unbewußten Natur überhaupt nicht gedacht werden kann (vgl.44;139). Kann man aber sinnvoll von "nichtmentalem Zweck"(44;141) sprechen? Es wäre lächerlich, Verdauungsorganen oder primitiven Organismen "gewollten" Zweck zuzusprechen. "Aber selbst in der Helle unserer hochgesteigerten Mentalität wissen wir um mehr oder weniger Bewußtes, um Grade der Vorstelligkeit; und von dunklem Drang, ja von unbewußtem Wollen und Trachten zu sprechen gilt selbst für uns keineswegs als sinnlos ... Ein ‘psychischer’ Aspekt verbleibt dem ‘Streben’ als solchem freilich immer"(ebd.).

VI.2.1.2 Herleitung des Begriffs "Wert" aus dem Begriff "Zweck"

Werte sollen Zwecke werden, damit ihnen objektive Geltung zukomme. "Alle Menschen ... streben nach Glück"(44;146). Die Intensität, mit der uns dieses Streben nach Glück eingepflanzt ist, suggeriert, daß es sich um ein berechtigtes Streben handelt. Wo es nicht unsere Pflicht ist, ist es zumindest unser Recht. Daraus ergibt sich auch die Pflicht, dies Recht bei anderen zu respektieren. Auch ich selbst muß mein Glück fördern, da mein Unglück wieder andere in ihrer Glücksfähigkeit behindern würde. Dies alles soll nur zur Frage der "Subjektivität der Natur"(44;147) überleiten, die man zwar verneinen kann, nach Jonas jedoch nur, wenn man dafür einen gnostischen Dualismus annimmt, mit einem transzendenten, der Natur überlegenen Gott, der alles "verkehrt" erschaffen hat, um die Möglichkeit zur Entwicklung offenzulassen. Die Möglichkeit der "Verneinung des Spruches der Natur" wirkt damit skurril und ist nicht legitim, wenn sie auch der menschlichen Freiheit anheimgestellt bleibt. Zur Bejahung des Spruches der Natur, daß Leben sein soll, ist der Begriff des Guten erforderlich, der noch nicht mit "Wert" identisch ist. Er bezeichnet vielmehr den Unterschied "zwischen Wert an sich und Wertung durch jemand"(44;149).

Die Verbindlichkeit von Werten ist Gründung des Guten im Sein.

VI.2.1.2.1 Kommentar zur "Subjektivität" in der Natur

Gewiß gibt es aus der Sicht der Naturwissenschaften soetwas wie Subjektivität der Natur nicht, wenngleich doch alle Bedingungen für Leben vorhanden sind, Photosynthese zur Regeneration der Luftqualität usw. Mit Leibniz könnte man die Begünstigung des Lebens auf diesem Planeten ohne weiteres "den Willen Gottes" nennen. Trotzdem ist zu bedenken, daß das Leben nur unter diesen Umständen entstehen konnte und daß wir somit unter den gewachsenen Bedingungen leben, die uns erst möglich gemacht haben. Man weiß nicht, auf wievielen Planeten die Natur der für uns jeweils ungünstigen Alternative den Vorzug gegeben hat. So ist die Möglichkeit eines perfekten Zufallsproduktes nicht auszuschließen, und der "Wille Gottes" oder der "Wille der Natur", unser Leben zu begünstigen, wäre dann nur, da er ja unser jetziges Dasein begünstigt, ebenso, wie er unsere Entstehung erst ermöglicht hat, die Konsequenz dieses seltenen und perfekten Zufalls.

Selbst wenn man annimmt, daß Gott uns geschaffen hat, wird er sich dieses perfekten Zufalls ohnehin bedient haben. Der Vorstellung der Gesolltheit von Leben kann ich mich zwar anschließen, aber die Begründung, daß wir nur seien, weil die Natur es tatsächlich will, würde ich als naiv empfinden. Trotzdem ist es ein Vorurteil der Naturwissenschaft, die Natur selbst für indifferent zu halten. Die Behauptung, daß die Natur "Werten anhängt"(44;150) erscheint zunächst rätselhaft. Nicht einmal im Pantheismus ist die Natur in dieser Weise notwendig als Person zu denken. Natürlich läßt sich eine Ethik der Verantwortung am leichtesten begründen, wenn man glaubt, daß schon die Natur für uns Verantwortung trage. Trotzdem gibt es bei allen tatsächlich vorhandenen natürlichen Sicherungen, die uns vor dem kollektiven Selbstmord bewahren, keine Anzeichen für eine denkende "Mutter Natur". Dieser naive Gedanke versteckt sich anscheinend schamhaft hinter der Wortgewaltigkeit von Jonas’ Diktion. In dem noch folgenden Kapitel über Jansohn wird noch aufzuklären sein, daß Hans Jonas mit Subjektivität nicht "Mentalität" meint. Es ist hier leicht, ihn mißzuverstehen und dann mit E.M. Cioran zu sagen: "Denker sind nicht zu retten"(22;179).

VI.2.2 Die Pflicht zu leben

In seinem Kapitel "Fortfall der Reziprozität in der Zukunftsethik" stellt Jonas zunächst fest, daß die Reziprozität im Sinne eines Austausches von Rechten und Pflichten in einer Ethik für die Zukunft schon insofern wegfällt, als eine Pflicht für gewöhnlich nur dem gegenüber als solche gilt, den es schon gibt. Wie aber ist es mit einer Verpflichtung gegenüber noch Ungeborenen? Das Nichtexistierende hat Rechte erst dann, wenn es ist und noch nicht auf die bloße Möglichkeit seiner Existenz hin. "Der Anspruch auf Sein beginnt erst mit dem Sein. Aber gerade mit dem noch - nicht - Seienden hat es die gesuchte Ethik zu tun und ihr Prinzip der Verantwortung muß unabhängig sein, wie von aller Idee eines Rechtes, so auch von der einer Reziprozität - so daß in ihrem Rahmen die scherzhaft für sie erfundene Frage ‘Was hat die Zukunft je für mich getan? respektiert sie denn meine Rechte?’ schlechterdings nicht gefragt werden kann"(44;84).

Schon in der herkömmlichen Moral gibt es eine nicht reziproke Pflicht, die man ohne weiteres anerkennt, die gegenüber den eigenen Kindern, die einem zwar vielleicht im Alter den Aufwand eigener Mühen vergelten, wobei dies allerdings nicht Bedingung ist für die Pflege, die man ihnen angedeihen läßt. Die Verantwortung für sie ist vielmehr bedingungslos. "Es ist dies die einzige von der Natur gelieferte Klasse völlig selbstlosen Verhaltens, und in der Tat ist dieses mit der biologischen Tatsache der Fortpflanzung gegebene Verhältnis zum unselbständigen Nachwuchs, und nicht das Verhältnis zwischen selbständigen Erwachsenen ..., der Ursprung der Idee von Verantwortung überhaupt, und seine ständig fordernde Handlungssphäre ist der ursprünglichste Ort ihrer Betätigung"(44;85). Jegliche Vor - oder Fürsorge von Vernunftswesen untereinander bliebe ohne dieses Beispiel, das, so Jonas, von der Moralphilosophie bisher stiefmütterlich behandelt wurde, völlig unverständlich.

"Hier ist der Archetyp alles verantwortlichen Handelns, der zum Glück keiner Deduktion aus einem Prinzip bedarf, sondern uns ... von der Natur mächtig eingepflanzt ist"(ebd.). Dennoch ist die Verantwortung für unsere eigenen Kinder und die für künftige Generationen nicht dieselbe, sofern man nun doch das hier geltende moralische Prinzip beachtet, weil uns mit den eigenen Kindern unsere Urheberschaft verbindet, die ja am Entstehen künftiger Generationen nicht notwendig beteiligt ist.

Etwas ganz anderes wäre die, wenn es sie gibt, viel schwerer zu begründende Pflicht, sich überhaupt fortzupflanzen. Ein Recht Ungezeugter auf Zeugung ist gar nicht zu begründen. So wäre dies eine Pflicht, der andererseits nicht das Recht eines anderen, außer man betrachtete es als das Recht des Schöpfergottes gegenüber seinen Geschöpfen, gegenüberstände, die mit der Vollendung seines Werkes betraut sind. "Um eine Pflicht solcher Art handelt es sich nun auch bei der Verantwortung für die künftige Menschheit"(44;86), die hier, auch wenn sie bisher noch nicht begründet wurde, unterstellt werden soll. In zwei Teilen besteht diese Pflicht nicht nur für ein Dasein der künftigen Menschheit, sondern auch für ihr Sosein. Dieses Sosein wird aber z.B. durch die Option moderner Biotechnologie, auch auf den Menschen angewandt zu werden, in Frage gestellt: "Die humanitäre Begründung (der negativen oder vorbeugenden Eugenik) hat die individuelle Wohlfahrt des möglichen Nachkommen im Auge und gebietet, ‘seinetwegen’ künftigem Leiden vorzubeugen, indem man es erst gar nicht zu dem davon belasteten Dasein kommen läßt. Es ist ein Sonderfall der Mitleidsethik: Antizipierendes Mitleid mit einem abstrakt vorgestellten Subjekt entscheidet, ihm die Existenz zu ersparen, um ihm das damit konkret vorgestellte Leiden zu ersparen"(45;172). Ebenso gibt es die positive Eugenik, bei der es um pränatale Eingriffe in vorhandenes Erbmaterial geht. Ziel der positiven Eugenik ist eine Vorherbestimmung körperlicher Eigenschaften und der Persönlichkeit (vgl.45;176f.).

Man könnte denken, daß der Bestand der Menschheit überhaupt, durch die gegenseitige Anziehung der Geschlechter, ohne weiteres gewährleistet sei, da es "kollossalster Dummheiten" bedürfte, um diesen zu gefährden. So könnte man den Fortbestand einfach unterstellen, um sich dann ausschließlich dem Sosein einer künftigen Menschheit zuzuwenden.

Wie die Dinge stehen, sind es aber zumeist die gleichen Faktoren, welche das Sosein ebenso wie das Dasein bedrohen, "die Vermeidung der einen ist daher a fortiori die Vermeidung der anderen"(44;87).

So könnte die ethische Ableitung aus Rechten und Pflichten folgendermaßen lauten: "Da spätere Menschen auf jeden Fall da sein werden, gibt ihnen, wenn es soweit ist, ihr unerbetenes Dasein das Recht, uns Frühere als Urheber ihres Unglücks zu verklagen, wenn wir durch sorgloses und vermeidbares Tun die Welt oder die menschliche Konstitution für sie verdorben haben"(ebd.). Für ihr Dasein sind zwar nur ihre direkten Erzeuger verantwortlich, für dessen Bedingungen jedoch könnten alle, die diese Bedingungen herbeigeführt haben, verantwortlich gemacht werden. Folglich "besteht für uns Heutige aus dem Recht des zwar noch nicht vorhandenen, aber zu antizipierenden Daseins Späterer eine antwortende Pflicht der Urheber, kraft deren wir ihnen mit solchen unserer Taten, die in die Dimension solcher Wirkungen hineinreichen, verantwortlich sind"(44;88). Bei den schwankenden Auffassungen von "Glück" ist es unwahrscheinlich, daß wir spätere Generationen ihrer Fähigkeit, Glück zu empfinden berauben. Worauf wir jedoch achten sollten, ist, daß wir künftigen Generationen nicht die Möglichkeit nehmen, ihr eigenes Sollen zu erkennen, das eine Bedingung des Menschseins überhaupt ist. So ist weniger zu fürchten, daß die Späteren in ihren Rechten beschnitten werden, als vielmehr in ihren Pflichten (vgl.44;88f.).

Der erste Imperativ ist, daß eine Menschheit sei. Dieser läßt auch kein Sosein künftiger Abkömmlinge des Menschengeschlechtes zu, "das dem Grunde zuwiderläuft, warum das Dasein einer Menschheit überhaupt gefordert ist"(44;91). Dies ist Jonas’ Absage an Monstrositäten menschlichen Ursprungs, die vielleicht bereits den Nazis vorschwebten. Sollte bisher der Eindruck entstanden sein, der Bestand der Menschheit gelte Jonas bereits als gesichert, muß dies leider verneint werden: die Pflicht zum Dasein, "von der wir hier sprechen, ist erst mit der Gefährdung dessen, worum es in ihr geht, hervorgetreten. Vorher hätte es keinen Sinn gehabt, von dergleichen zu reden. Was auf dem Spiele steht, meldet sich zu Wort. Plötzlich steht das schlechthin Gegebene, als selbstverständlich Hingenommene, niemals fürs Handeln Bedachte: daß es Menschen gibt, daß es Leben gibt, daß es eine Welt hierfür gibt, im Wetterlichte der Bedrohung durch menschliches Tun"(44;249). Der Mensch ist nicht mehr einfach "Vollstrecker sondern auch potentieller Zerstörer der Zweckarbeit der Natur", der das der Natur eignende Ja zum Sein in sein Wollen übernehmen und das "Nein zum Nichtsein seinem Können auferlegen muß"(ebd.). Dürfen und Nichtdürfen kommen nun vor positivem Sollen, bedingt durch den Machtzuwachs des Menschen gegenüber der Natur.

Ziel unserer Bemühungen ist nicht mehr "der gute Mensch", oder "der eigentliche Mensch", vielmehr geht es vorrangig um die Erhaltung der Biosphäre mit einem Menschen darin, der dieses Wort noch verdient, also nicht "die ontisch gerettete Existenz eine nicht mehr menschliche sein wird"(44;250). Wozu wir kommen müssen, ist ein klares Ja zum Sein, ebenso wie ein klares Nein zum Nichtsein. Dabei müssen wir nicht darauf achten, "ein bestimmtes Menschenbild zu perpetuieren oder herbeizuführen, sondern zuallererst den Horizont der Möglichkeit offenzuhalten, der im Fall des Menschen mit der Existenz der Art als solcher gegeben ist und - wie wir dem Versprechen der ‘imago Dei’ glauben müssen - der menschlichen Essenz immer neu ihre Chance bieten wird"(ebd.). Wir befinden uns auf einem "Grat zwischen zwei Abgründen, wo die Mittel den Zweck zerstören können". Mit dem ersten Imperativ, daß eine Menschheit sei, sind wir "gar nicht den künftigen Menschen, sondern der Idee des Menschen"(44;91) verantwortlich. Dadurch, daß die Idee des Menschen uns sagt, "warum Menschen sein sollen", sagt sie uns auch, "wie sie sein sollen"(ebd.). Der Imperativ, daß es Menschen gebe, ist also ein kategorischer und kein hypothetischer, da es wenig Sinn macht, nach dem Muster "wenn es in Zukunft Menschen gäbe ..." oder umgekehrt weiterzufragen.

VI.2.3 Meliorismus - Anmerkungen zum Jonas wie Horstmann eignenden "Totum et Nihil"

Im Beruf des Arztes ist der Meliorismus das Fundament des Handelns. Es geht um die Besserung des Patienten. Die Frage bleibt trotzdem, ob der Meliorismus in Bezug auf Moral und Sittengesetz ebenso jeglichen Erfolg bedingt (vgl.45;128). "Als gesellschaftliches Ziel ... ist das stete Verbessern wahlfrei"(45;128). "Freiheit ist sicher die erste Bedingung, die hier beobachtet werden muß"(ebd.). In der Exposition seines Werkes "Das Prinzip Verantwortung" spricht Jonas den Sinn der Leibnizschen Frage "warum ist etwas und nicht nichts?" an (44;97) und zwar in der Weise, daß es stets um die Begründbarkeit der Behauptung, daß der Mensch sein solle, geht.

Dabei dreht sich die Argumentationskette derart um alles oder nichts, daß der Eindruck entsteht, Jonas lehne den Meliorismus generell ab und strebe stattdessen auf einen Optimismus zu. Das ist insofern für eine Zukunftsethik mit stark ökologischem Akzent fragwürdig, als Fragen des Umweltschutzes ohnehin auf den Meliorismus verwiesen sind. Die Wiederherstellung natürlicher Kreisläufe so, wie sie mal waren, bleibt bis heute unmöglich, schon allein wegen der Unzahl unbekannter Komponenten. So ist z.B. die Bindung von Kohlendioxyd in Form von Soda durch die Regen - Erosion in Gebirgen, das von Flüssen ins Meer geschwemmt und dort zusammen mit Kalk in die Panzer winziger Schnecken eingelagert wird und eine Verbindung des gesamten Komplexes mit dem Vulkanismus, der die Atmosphäre wieder mit Kohlendioxyd anreichert, eine Frage weitab vom Treibhauseffekt und heute noch Gegenstand heftiger Wissenschaftlerkontroversen unter den Geologen. Da es also keine monokausale Klimaveränderung durch den Treibhauseffekt gibt, kann man in dieser Hinsicht auch kein Optimum verwirklichen.

So ist die Lage des Umweltschützers analog zu derjenigen des Arztes. Daß Pessimismus nämlich nur diejenigen aufrütteln kann, die noch nicht resigniert haben und daß ebenso Optimismus nicht realistisch ist, ist gerade in Bezug auf den Umweltschutz evident. Auch von der Umwelt kann man nur Besserung, nicht aber gänzliche Gesundung erwarten. So kann in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Hauptfrage nur der Meliorist ein Realist sein.

Genauso ist schon Salomos scheinbar resignative Feststellung, alles menschliche Tun sei Stückwerk und ein "Haschen nach Wind"(Koh.1,14) zu verstehen. Hätte ihm diese sehr nahe an dem sokratischen "ich weiß, daß ich nichts weiß" gelegene Selbsterkenntnis gefehlt, so wäre er dem hohen Anspruch der Weisheit, wie man sie ihm unterstellt hat, gar nicht gerecht geworden. Er, von dem man annahm, daß ihm der Himmel offenstand und daß die Hölle seinem Befehl gehorchte, sah recht deutlich, daß ihm die Macht über die verzwickten Zufälligkeiten dieser Welt, an die sich Quantentheorie, sowie Chaos - und Katastrophenforschung gerade herantasten, nicht zu Gebote stand. "... genannt seien nur die jeder (auch elektronischen) Rechenkunst spottende Komplexität gesellschaftlicher und biosphärischer Wirkungsganzheit; die wesenhafte, stets mit Überraschungen aufwartende Unergründlichkeit des Menschen; und die Unvorhersagbarkeit, das heißt Nicht - Vorerfindbarkeit, künftiger Erfindungen"(44;66).

Das Problem, daß wir nicht übersehen können, was selbst aus unseren besten Absichten wird, stellt sich uns heute noch genauso, wie damals Salomo, von dem wir nicht wissen, ob er als Folge dieser Einsicht Meliorist geworden ist. Die Frage, ob Jonas auch dort, wo er sich gegen die Utopie wendet und eine realistische Ethik der Verantwortung fordert, sich immer noch auf das Optimum als einzige Lösung festlegt, wird in Kapitel VI.2.7 der vorliegenden Arbeit, "Utopie und Realismus" noch zu klären sein.

VI.2.4 Wille, Notwendigkeit und Zweck

Das "blind sich auswirkende Ja" der Natur zum Leben gewinnt "obligatorische Kraft ... in der sehenden Freiheit des Menschen"(44;157), der nun durch die Macht seines Wissens nicht nur Sachwalter, sondern auch Zerstörer der Natur werden kann. Er muß das Nichtsein verneinen und das Sein bejahen mit seinem Willen (vgl.44;157). Der "Übergang vom Wollen zum Sollen ist ... der kritische Punkt der Moraltheorie"(44;158). Die Bewahrung des Lebens, "seit je schon fürs Ganze betreut", wird zur Pflicht "durch alles Einzelwollen hindurch"(ebd.), weil die Möglichkeit der kollektiven Selbstauslöschung am Horizont aufgetaucht ist. So entsteht dem an die Notwendigkeit gebundenen freien Willen die Pflicht, das Gut des Lebens und der Natur als seinen Zweck zu bewahren. Ein Gut ist "dasjenige, dessen Möglichkeit die Forderung nach seiner Wirklichkeit enthält und damit zu einem Sollen wird"(44;153). Jonas fordert die unbedingte Anbindung des freien Willens an den Überlebenswillen des Kollektivs der Menschheit (vgl.44;245). "Die Frage ist also im Letzten gar nicht, wieviel der Mensch noch zu tun imstande sein wird - hier darf man prometheisch - sanguinisch sein, sondern wieviel davon die Natur ertragen kann"(44;329). Dies bedeutet auch einen Paradigmenwechsel, einen "Sprung des Glaubens"(44;209), der durch das Bewußtsein der Heiligkeit der Natur und der eigenen Gottesebenbildlichkeit bestimmt sein sollte (vgl.44;393). Jonas spricht von "Dankbarkeit, Pietät und Ehrfurcht"(44;74).

VI.2.5 Utilitarismus und Gefährdung der Zukunft durch den Glauben an den Fortschritt

Im engsten Sinne bedeutet "Utilitarismus", daß es "nur ein einziges moralisches Prinzip gibt, nämlich das größte Glück der größten Zahl, demzufolge ‘Glück’ das Vorhandensein von Lust und die Abwesenheit von Unlust bedeutet"(104;93). Der Standpunkt bezieht sich auf keine Transzendenz. Das Maximum an Glück begehrt jeder. Moralische Fragen sind "durch die Berechnung ihrer empirischen Konsequenzen entscheidbar"(104;96). Alle unterschiedlichen Ziele können in "Glückseinheiten" gegeneinander verrechnet werden, wodurch unmöglich wird, daß zwei legitime Ansprüche einander entgegenstehen. Der oberste Gesichtspunkt ist die Effizienz. Das allgemeine Ziel moralischen Denkens ist die "restlose Eliminierung von Wertkonflikten"(104;97).

Einwände gegen den Utilitarismus sind die Fragen, ob jedes Glück miteinander vergleichbar und vor allem additiv sei, auch, ob ein wie oben definiertes Glück überhaupt für jeden begehrenswert sei. Je mehr die Lust "quasi - arithmetisch"(104;98) berechenbar aussah, desto weniger rationale Menschen strebten nach ihr. "Das ‘Glück’ muß gewisse Bedingungen erfüllen, wenn der Utilitarismus nicht einfach witzlos werden soll"(104;99). Diese Bedingungen geraten ihrerseits mit der Funktion des Glücks in Widerspruch. "Utilitaristen neigen angesichts dieser Schwierigkeit dazu, Werte, die in den für sie problematischen Auffassungen von Glück eine Rolle spielen, als irrational oder als gleichsam fossile Überreste aus vergangenen Epochen zu disqualifizieren"(ebd.). So läßt sich dann "wahres Glück" nur an der Rationalität des Utilitarismus messen. Die Arten von Glück, die der letzteren widersprechen, werden aus dem Weg geräumt. Sobald wir eine Handlungsweise kennen, die das größte Glück der größten Zahl verspricht, stehen wir vor zwei neuen Problemen: erstens, daß die Berechnung von Konsequenzen selbst unter verschiedenen Umständen unterschiedlich ausfällt und zweitens, "daß ... das Ergebnis des utilitaristischen Kalküls als ... moralisch verfehlte Antwort erscheinen kann, wenn z.B. ein Verbrecher zum Wohle der Allgemeinheit hingerichtet werden muß. Weiterhin ist ein beunruhigender Effekt eines aktiv vertretenen Utilitarismus eine "moralische Münzverschlechterung". Schlechte Handlungen schlechter Menschen treiben gute Menschen zu ebensolchen Handlungen, die sie dann im Hinblick auf einen Zweck begehen (vgl.104;107). Positiv zu bewerten bleibt die von Utilitaristen wie Jeremy Bentham und John Stuart Mill geführte Attacke auf viktorianische Moralgrundsätze (vgl.104;106).

Was hat dieser Exkurs über den Utilitarismus nun mit unserer Problematik zu tun? Wie bei so vielen zunächst in reformerischer Absicht formulierten Standpunkten, so gibt es auch beim Utilitarismus, sofern man ihn heute noch so nennt, spätestens seit der Enkelgeneration eine traditionalistische Verhärtung die sich dann "konservativ" gebärdet und so oft das Gegenteil des ursprünglichen Standpunkts bezweckt. Ganz in diesem Sinne ist der, mit dem Mißverständnis der Auszählbarkeit von Lebendigem zutiefst behaftete, Utilitarismus der Großvater des heutigen Fortschrittsglaubens.

Jonas sagt, daß nicht nur die Pflicht zur Erhaltung des Menschen und der Idee des Menschen besteht, sondern damit auch die Pflicht zur Erhaltung der Biosphäre als sine qua non der erstgenannten Pflicht. Das Ganze nennt er die Pflicht zum Menschen, um so einen Leitbegriff zu haben (vgl.44;245). "Kein größeres Wagnis konnte die Natur eingehen, als den Menschen entstehen zu lassen, und jede aristotelische Vorstellung von der sich selbst dienenden und zum Ganzen integrierenden Teleologie der Gesamtnatur ist durch dies, das auch ein Aristoteles noch nicht ahnen konnte, widerlegt"(44;247). Das "Baconische Programm"(44;251), das Wissen zu nutzen, um die Natur dem Menschen zu unterwerfen, hat in seiner "kapitalistischen Durchführung"(ebd.) weder die Rationalität, noch die Gerechtigkeit besessen, womit das Programm nur vereinbar gewesen wäre. Die "Erfolgsdynamik" führte bei der "Kurzfristigkeit menschlicher Zielsetzung"(ebd.) zu dem bis heute erst ahnbaren Fiasko. Die Katastrophengefahr liegt in der Größe des Erfolgs. Die Macht über die Natur zwingt durch die bereits erwähnten Kettenreaktionen zu ihrer Ausübung. Die Macht "dritten Grades"(44;254) über die Macht muß von der Gesellschaft ausgehen. Dazu bedarf es eines Systems, das nicht nur Zukunftsglauben, Fortschrittsoptimismus und "positives Denken" an seine Bürger verfüttert. "Da aber auch der Marxismus eine Form des Progressivismus ist"(44;255), darf auch ihm getrost mißtraut werden.

VI.2.6 Formen der Herrschaft

Jonas liebäugelt mit dem Sowjetkommunismus, der als das Prinzip Verantwortung geschrieben wurde noch existierte. Wie sich weiter hinten in diesem Werk zeigt, ist es ihm jedoch nicht wirklich ernst damit. Die Anrufung des Sowjetkommunismus kann hier nur heißen: Jonas macht darauf aufmerksam, daß jede Herrschaftsform akzeptabel wäre, wenn sie das Überleben der Menschheit, zusammen wenigstens mit einem Minimum ihrer Kultur, gewährleisten könnte. Man darf vermuten, daß er selbst den Faschismus der Vernichtung vorziehen würde.

Wenn die Menschheit aber soweit ist, daß die Monster der Vergangenheit, und dazu gehört der Sowjetkommunismus inzwischen auch, sie weniger schrecken, als eine unberechenbare Zukunft, dann wird es ohne weiteres erlaubt sein, den Blick zurück in den März 1848 zurückwandern zu lassen zu den Stiefkindern der Moderne, den zusammen mit Sozialismus und Demokratie entstandenen Anarchisten. "Wenn du nicht im Dienste von Königen und Herrschern stehst, besitzt du außerordentliche Willensstärke". I Ging. Das Buch der Wandlungen. Hexagramm 18, der Zerfall (23;53). Wenn Konfuzius hier auch gewiß nicht ganz in seinem eigenen Sinne zitiert wird, so wird doch klar, daß das Bedürfnis nach Herrschaftslosigkeit bis in die Frühzeit menschlicher Kulturgeschichte zurückreicht. 1848 jedenfalls waren Anarchisten, genauso wie Sozialisten und Demokraten für die Herrschenden das, was man heute Terroristen nennt.

So ist der "Motor" der Moderne also gar nicht nur in Erfindungen zu sehen, die wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen, sondern auch in der Wandelbarkeit und damit Dynamik politischer Verhältnisse. In Deutschland ist es nun schon die dritte Regierungsform, die nicht "von Gottes Gnaden" ist. "Modern" wird so zum Synonym für Bewegung, nicht nur in technologischer, sondern auch in politischer Hinsicht.

Man sollte, ehe man sich allzuleicht von Jonas in Nietzsches, leider veralteten, denn die Zeit ist schnellebig, Realismus (vgl.72;§34) zurückführen läßt, dem auch Sloterdijk nocheinmal aufgesessen ist, indem er nämlich immer nur die materielle Seite von Diogenes’ Handlungen betont (Kann ein Idealist keine Tabus verletzen?) (vgl.92;210), nicht vergessen, alle möglichen Utopien zu prüfen, denn auch wenn Utopos eigentlich "Nowhere land" heißt, könnte in der bisher nichtgetesteten Anarchie ein Überlebensimpuls stecken.

Bei Thomas von Aquin spiegelten sich die klassischen Herrschaftsformen des Aristoteles: Oligarchie, Politie, Demokratie, Monarchie und Tyrannis noch ohne die Ahnung vom Erfindungsreichtum der Moderne (vgl.98;13). So konnte Thomas auch nicht an die Möglichkeit von Anarchie denken, die nichtsdestotrotz heute auf privater Ebene gut gedeiht, wenngleich sie auch vor der Öffentlichkeit noch nicht die Vermessenheit besäße, als Alternative zur Demokratie aufzutreten, die wie vorhin erwähnt, keinen Tag älter ist als die Anarchie, wenn man von ihren chauvinistisch geprägten Testläufen in griechischen Stadtstaaten einmal absieht, wo Bürger nur der sein konnte, der kein Sklave war (vgl.32;33f.).

Anarchismus ist eigentlich nichts weiter, als bis ins kleinste getriebener Föderalismus, bei dem dann die Zentralregierung ganz wegfallen soll, nachdem Verantwortung und Macht kleinsten Funktionären wie Dorfvorstehern oder Mietshaussprechern übertragen worden sind. Der Mensch erlangt die "Regierung seiner selbst und durch sich selbst"(54;111). Der Begriff "Anarchie" wurde im 17. oder 18. Jahrhundert aus dem Griechischen entlehnt. Als "antiker Anarchist", der er sicher war, vertrat Diogenes eher die Richtung von Stirner, als die von Kropotkin (vgl. 54;68). Eine eigene Form, denn das ist im Anarchismus ja Programm, der Anarchie vertrat Michail Bakunin, der auf die Frage, wer recht habe, die Idealisten oder die Materialisten antwortete: "Ohne jeden Zweifel haben die Idealisten unrecht und nur die Materialisten haben recht"(8;97).

VI.2.7 Utopie und Realismus

Der Marxismus versprach die "klassenlose Gesellschaft", in der die wahre Natur des Menschen, der selbst als Ensemble verinnerlichter gesellschaftlicher Verhältnisse bisher nur eine gehemmte und verzerrte Natur aufwies, zur Verwirklichung käme (vgl.44;313). In diesem "Reich der Freiheit" würde auch erst die "wahre menschliche Geschichte" beginnen.

Ich gestatte mir die kurze Zwischenbemerkung, daß die besagten Aspiranten eines Reiches der Freiheit, gemeinsam mit ihren "imperialistischen" Gegnern, die natürlich das demokratische Reich einer noch freieren Freiheit vertraten, uns durch ihr jahrzehntelanges Wettrüsten beinahe die Freiheit vom Dasein verschafft hätten.

Alle marxistische Philosophie konzentriert sich auf "die Revolution und ihre Stufen"(ebd.). So steht das Kommen in der Utopie vor dem Sein. Es geht um eine "Umwandlung des Menschen durch nie gekannte Zustände"(44;315). Sowohl der Progressivismus, als auch die erst nach Beendigung des kalten Krieges bekanntgewordenen Zustände, wie die Austrocknung des Aralsees und die Löcher in sibirischen Pipelines, sprechen gegen die Tauglichkeit des Sowjetkommunismus für eine ökologische Revolution. Marx räumt zwar ein, daß es eine Grenze der Ausbeutung von Ressourcen gebe, verliert jedoch sonst kein Wort über die Natur als Selbstzweck, was Mitte des 19. Jahrhunderts auch eine läßliche Sünde war. Trotzdem zeigt sich, daß auch die "An - sich - Richtigkeit des utopischen Ideals"(44;339) nicht haltbar ist.

"Der Umbau der Natur oder des Sterns Erde"(44;327), wie er sich bei Ernst Bloch findet, ist nichts weiter, als eine Schreckensvision von der "Mechanisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse"(ebd.), die ohnehin auch im kapitalistischen Umfeld stattfindet. Zum Problem werden Nahrung, Rohstoffe und Energie, sowie der Treibhauseffekt.

Als "einer Vision großer und barmherziger Geister, die sich der in ihr verborgenen Unbarmherzigkeit nicht bewußt waren" wendet Jonas sein "philosophisch - moralisch - metaphysisches Interesse"(44;341) dem Ideal der Utopie zu und untersucht, ob es überhaupt wünschbar sei, im Falle von Marx, was bei Bakunin erst noch zu prüfen wäre, daß der Traum Wirklichkeit wird. Dabei erscheint als ein zentrales Problem die Beschäftigung der Vielzuvielen. "Die gewaltige Mehrheit" ist "von ‘nützlicher’ Arbeit - im weitesten Sinne ... nicht so sehr befreit wie ausgeschlossen"(44;347). Ernst Bloch sprach von einem "Paradies der Muße"(vgl.44;347). Auch Marx’ Prophezeihung, "daß mit der knechtenden Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit auch der Gegensatz von körperlicher und geistiger Arbeit verschwunden sein wird" ist kaum einzulösen, da mit der Arbeitsteilung auch jeglicher Wohlstand verschwinden würde, außer, wenn eben niemand mehr arbeitet, dann gibt es auch keine Teilung (vgl.44;349f.). Das "Steckenpferd" soll zum Lebensinhalt werden.

An die Stelle der Utopie muß also Realismus treten. "Was vermeidlich und was unvermeidlich ist, stellt sich immer erst heraus durch das, was vermieden und was nicht vermieden wurde nach ernsthaftem Versuch. Der Geist der Verantwortung verwirft den Spruch der Unvermeidlichkeit"(44;389). Auch wenn wir nie ganz Herr unseres Schicksals sind, weist doch die Kritik der Utopie (die Utopie war von einer Notwendigkeit ihrer Verwirklichung ausgegangen) "der Verantwortung das zu, was sie der Notwendigkeit entzieht"(44;389f.). Von uns wird also erwartet, alles zum Guten zu tun, was in unserer Macht steht, anstatt "Irrlichtern zu folgen"(44;390). Außer der Rationalität der Verantwortung, so sagt Jonas, sollten uns der Mythos und der Begriff der Heiligkeit zur Seite stehen. Dasselbe habe ich versucht, in meinem Kapitel über Kynismus auszusagen.

VI.2.8 Ethik der Verantwortung

Die unter dem schönen Namen "Aum" auftretende Sekte hatte die merkwürdige Auffassung von Verantwortung, angesichts der zwar vielleicht bevorstehenden, jedoch für uns noch nicht so ganz zum Bereich der Tatsachen gehörenden, Immanentisierung des Eschatons, zur Entvölkerung der Welt beitragen zu müssen, zu welchem Zweck belebte U - Bahn Stationen zur Hauptverkehrszeit mit Giftgas bestückt wurden.

"Bei ehrlicher Überzeugung, daß alles Bestehende sowieso verpfuscht ist und überhaupt nur als Wiege für das Kommende, Bessere, Wahre in Betracht kommt, könnte für die Gläubigen auch das Äußerste erwägbar werden - umsomehr, als die für die Herbeiführung der Utopie ohnehin vorgesehene und bejahte Diktatur von sich her zu extremen Mitteln verleitet"(44;340). Verantwortung besteht weder im Schönreden der Verhältnisse, noch im Verfolgen von "Irrlichtern", die eine ganz unerwartete Lösung vorgaukeln, sondern in der Verinnerlichung von Verantwortung, sowie in der Aktion, die der eigene Rahmen gestattet.

VI.2.9 Jansohns Artikel über Jonas

In der "Trierer Theologischen Zeitung" schreibt Heinz Jansohn den Artikel "Ethik von heute - Metaphysik von gestern?", speziell Bezug nehmend auf Hans Jonas’ philosophische Begründung des Prinzips Verantwortung. Jansohn zitiert zunächst den Buchtitel von Günther Patzig: "Ethik ohne Metaphysik" als Programm einer heute vorherrschenden Denkrichtung. Schon Schopenhauer schrieb:"Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer"(41;161). Auch Jonas distanziert sich gleich im Vorwort von dem Gedanken, er wolle Moral predigen: "Von der Watte guter Gesinnung und untadeliger Absicht ... gibt es in der ethischen Reflexion unserer Tage genug. Etwas härteres (sic!) ist vonnöten und hier versucht. Die Absicht ist überall systematisch und nirgends homiletisch ..."(ebd.). So geht es Jonas um die "Moralbegründung"(41;162), die so schwierig ist, daß man "früher wohl den Beistand des Himmels angerufen hätte"(ebd.), wobei allerdings "keine noch so löbliche Gesinnung als Entschuldigung für eventuelle philosophische Unzulänglichkeiten des Gedankenganges" (41;161f.) herhalten dürfe.

Jonas betont die gegenseitige Abhängigkeit von Ethik und Metaphysik, wobei Jansohn moniert, dies wiederspräche dem Zeitgeist. Man gewinnt den Eindruck, eine solche Begründung sei traditionalistisch. Jonas sagt selbst, das erste Prinzip seiner Moralphilosophie liege nicht in der Ethik selbst, "als einer Lehre vom Tun (...), sondern in der Metaphysik als einer Lehre vom Sein"(ebd.). Dabei kommt Jonas’ Moralphilosophie anscheinend mehr aus der Theologie, als aus der Metaphysik, wie seine Forderung (44;57) nach "Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen" nahelegt, um die "extremen Kräfte (zu) zügeln ..., die wir heute besitzen"(41;163). Daraus folgt dann, daß "‘die Abschaffung der Transzendenz ... vielleicht der kolossalste Irrtum der Geschichte’ gewesen sein könnte"(ebd.). Jansohn findet den Hinweis "orakelhaft", die Metaphysik sei nur "Lückenbüßer" für die Kompensation des religiösen Defizits unserer Zeit (vgl.41;163), räumt dabei aber ein, der Glaube möge die Metaphysik anthropologisch zwar ersetzen, "logisch ist der metaphysische Erkenntnisakt für Jonas eindeutig dem Glaubensakt vorgeordnet", womit der Vorwurf der Einschleusung von Religion durch die Hintertür, der hier der Vater des Jansohnschen Gedankens gewesen zu sein scheint, entkräftet ist.

Die alles entscheidende Frage ist nun: ist die Metaphysik des Prinzips Verantwortung in sich stimmig, oder nur ein persönliches Glaubensbekenntnis? Und, "falls das Projekt Moralbegründung als gescheitert angesehen werden müßte", bleibt dann mehr, als eine "erbauliche Moralpredigt"(41;164)? Seit Kant ist klar, "daß es Vernunft ‘ohne eine vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens’"(ebd.) nur zur dogmatischen Metaphysik, nicht aber zur Metaphysik als Wissenschaft bringen kann. Kant bezeichnete die Metaphysik aber auch als natürliches Bedürfnis des Menschen, seine Lage zu klären (vgl.41;164). "Metaphysischer Behauptungen ist die Welt satt"(41;164). Metaphysik als Wissenschaft wird nur als Kritik der reinen Vernunft auftreten können, in der es um die Klärung a priorischer Bedingungen für Erfahrung, Wahrnehmung und die "Grenzen der menschlichen Vernunfterkenntnis"(ebd.) geht.

Jansohn will nun weder Jonas an Kant messen, noch ihn in Bezug zur modernen Metaphysikkritik setzen, sondern nur einige von Jonas’ metaphysischen Grundpositionen in ihrer Bedeutung für seine Ethik erläutern und kritisieren.

Jonas setzt keine neuen ethischen Normen an die Stelle von althergebrachten, wie Wahrhaftigkeit oder Hilfsbereitschaft, sondern sucht dort nach Normen, wo es noch keine gibt: im Bereich der Technik. Daß Technik ethischen Erwägungen überhaupt unterworfen sein sollte, ergibt sich aus der Tatsache, daß es sich bei ihr um eine Machtausübung handelt. Von jeder anderen Macht läßt sich aber behaupten, daß sie selbst weder gut noch böse ist und daß nur ihr Gebrauch zum Guten oder Bösen möglich ist.

Die Technik macht hier insofern eine Ausnahme, als ihr Gebrauch eine Reihe weitestreichender Konsequenzen nach sich zieht, mit denen sich wieder zukünftige Technik zu beschäftigen hat. Auch der Gebrauch von Technik ohne böse Absicht und nur zum guten Zweck zieht diese Konsequenzen nach sich, wie sich sehr deutlich an den Kalamitäten zeigt, die der zivile Bruder der Atombombe, die friedliche Nutzung der Kernenergie, den Menschen bereitet. "Ihre Pflugscharen können auf lange Sicht ebenso schädlich sein, wie ihre Schwerter"(41;166). Jonas’ Lehrer Heidegger nannte die Technik "eine Weise des Entbergens", womit, so Jansohn, gemeint ist, die Natur zeige, "entberge", sich dem Menschen durch die Technik in fortschreitender Weise.

Durch seine Beschäftigung mit der Gnosis erhält dieser Gedanke bei Jonas eine spezifische Wendung. Durch einen bösen und stümperhaften Demiurgen als Schöpfer entstand eine unvollkommene Welt, dessen Gegengeist der Erlösergott ist, der aber in Nietzsches Sinn "tot" ist, da er aus seiner Transzendenz keinen Einfluß auf die Immanenz nimmt. Daraus folgt ein gnostischer Nihilismus: "Nichts ist wahr, alles ist erlaubt". Bei Sartre heißt das in "Ist der Existentialismus ein Humanismus": "Es gibt keine Zeichen auf dieser Welt" und "alles ist erlaubt"(41;167).

Ein moderner Gnostizismus würde sich dann an reiner Machbarkeit orientieren, um z.B. den "unvollkommenen genetischen Bauplan"(ebd.) zu verbessern. Die geistige Prädisponiertheit der Moderne erscheint fatal. Jansohn erscheint es bemerkenswert, daß Jonas überhaupt durch die Begründung einer Zukunftsethik der Situation begegnet, würde doch ein "Appell an die Klugheit" mit dem Verweis auf die zu wahrenden "Eigeninteressen der Menschheit"(41;168) naheliegen. Auch ohne eine wissenschaftlich begründete Moral würde die Menschheit umdenken, "wenn sie merkt, daß die Absolutsetzung technologischen Denkens die eigenen Lebensgrundlagen zerstört"(ebd.). Auch Heidegger bezweifelte die Kurierbarkeit von Technologiefolgen durch die Ethik, die doch dem selben "Meisternwollen" von Lebensumständen entspringt, wie die Technik.

An dieser Stelle werden Horstmann und sein "zynisch zu nennender Fatalismus"(ebd.) von Jansohn erwähnt: "Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk ... gibt es eine heimliche Übereinkunft ...: daß wir ein Ende machen müssen mit uns und unseresgleichen, ... ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende"(ebd.). Es ist klar, daß Jonas hier gegen Horstmann steht, der stattdessen zu einem "neuen moralischen Imperativ" kommt: der Verträglichkeit des eigenen Handelns mit der Permanenz des Lebens (vgl.41;169). Alles hängt für Jonas von dessen Begründung ab. "Versuchen wir sie nachzuvollziehen!"(41;169).

"Ich kann , ohne in Widerspruch mit mir selbst zu geraten, wie für mich so auch für die Menschheit ein kurzes Feuerwerk äußerster Selbsterfüllung der Langeweile endloser Fortsetzung im Mittelmaß vorziehen"(ebd.), trotzdem darf nicht um den Einsatz des Bestandes der Menschheit gewettet werden, was auch einzusehen ist, weil das obige Zitat einen Grundsatz von Vitalität ausdrückt. Interessen anderer stehen bei jeder Handlung mit auf dem Spiel. Jonas bezieht sich auf Goethes Ausspruch: "Der Handelnde ist immer gewissenlos". Aber "das Ganze der Interessen Anderer" darf nicht "um irgendwelcher partieller Interessen willen verwettet(ebd.)" werden. "Über das individuelle Recht zum Selbstmord läßt sich reden, über das Recht der Menschheit zum Selbstmord nicht (ebd.)".

Auch die Idee des Menschen in seiner Freiheit darf nicht preisgegeben werden: "Würden z.B. Automaten des Wohlverhaltens mit Menschenantlitz mittels Gentechnologie oder operanter Konditionierung hergestellt, wäre diese Idee preisgegeben"(41;170). Damit "Freiheit und Verantwortlichkeit ... in der Welt Wirklichkeit bleiben", reicht es nicht aus, nach dem "Sein des Menschen" zu forschen. Mit der Frage nach dem "Grund des Seins überhaupt" steht "die metaphysische Problematik in ihrer ganzen Tiefe zur Debatte"(41;171). Jansohn führt eine weitere These von Hans Jonas an, "man müsse sich angesichts der großen Pause der Metaphysik, in der wir uns befinden, dem Mythos anvertrauen"(ebd.). Trotzdem wird eine rationale Metaphysik anvisiert, wobei das Rationale "nicht ausschließlich nach den Maßstäben der positiven Wissenschaft" (41;172) bestimmt werden sollte.

Das Verhängnis sieht Jonas in der "quasi - genostischen Entmachtung der Transzendenz"(ebd.), die der neuzeitlich - technischen Grundeinstellung immanent ist. Als "Antignostiker" entwirft er eine Kosmogonie, in der sich die Transzendenz sehr wohl um die Vorgänge in der materiellen Welt kümmert. Den Ursprung der Welt erklärt er weder mit dem Urknall, noch mit einem platonischen oder gnostischen Demiurgen, sondern "der göttliche Grund des Seins" hat sich "‘aus unerkennbarer Wahl ... dem Zufall, dem Wagnis und der endlosen Mannigfaltigkeit des Werdens’ anheimgegeben. Hiermit will er sagen: ‘damit Welt sei ..., entsagte Gott seinem eigenen Sein; er entkleidete sich seiner Gottheit, um sie zurückzuempfangen aus der Odyssee der Zeit, beladen mit der Zufallsernte unvorhersehbarer zeitlicher Erfahrung, verklärt oder vielleicht auch entstellt durch sie’"(ebd.). Gott kommt durch die Welt, die er in Selbstentäußerung geschaffen hat, wieder zu sich selbst, so liegt die "Entfaltung des Göttlichen" in der "Heraufkunft von Wissen und Freiheit" und damit in der "Verantwortung des Menschen"(ebd.).

Durch die Entscheidung zwischen Gut und Böse, der "transzendente Wichtigkeit" zukommt, liegt es an uns, "Göttliches zu vollenden" oder zu "verspielen". "Der Mensch ist verpflichtet, die Inkarnation, das Wagnis Gottes, sich selber zu entäußern, durch seine Entscheidungen zu rechtfertigen"(41;173). Jansohn zweifelt, ob solches Denken eher zu Engagement "fürs Ganze" motiviert, als z.B. das marxistische Denkmodell. In dem Satz: "Das Individuum ist von Natur zeitlich, nicht ewig; und die Person im besonderen, sterblicher Treuhänder einer unsterblichen Sache..."(ebd.), erblickt Jansohn eine Absage an die "persönliche Unsterblichkeit". Der so enttäuschte Mensch könnte vielleicht "mit Schadenfreude" die Verantwortung zurück in Gottes Hand legen. Ernst Blochs Forderung nach "Abschaffung des Todes und Teilhard de Chardins "Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit" seien vielleicht realistischer.

Die Begründung für die Auffassung, daß die Metaphysik herausgefordert werde, bleibt Jonas nicht schuldig: wenn wir unsere Nachkommen überarbeiten, heute verbietet dies nur ein unverletzliches Tabu, und das hält nach Murphy’s Gesetz nicht lange und an "den elementaren Tasten zu basteln beginnen, auf denen das Leben für Generationen seine Melodie wird spielen müssen"(45;40), dann wird eine Besinnung auf das "menschlich Wünschenswerte"(ebd.) sehr dringlich. So wird evident, daß auch wenn ein Wirken der Transzendenz im Menschen nicht allgemein geglaubt oder sonstwie verifiziert wird, "Natur und Mensch nicht wertfreie Objekte menschlicher Herrschaft sind"(41;174).

Aus der These, daß es "Zwecke an sich in der Natur gebe" ergibt sich bei Jonas ein "sittliches Eigenrecht der Natur"(ebd.), was aus der Sicht des Naturschutzes völlig klar ist. "Das Sein ... ist eines"(ebd.). Es ist nicht, wie bei Nicolai Hartmann, aufgebaut aus dem Anorganischen, dem Organischen, Seelischen und Geistigen. Diese Auffassung bedeutet, daß das planetarische, vielleicht sogar das kosmische Ganze als ein Organismus gesehen werden muß. Ob dieser ein Subjekt sei, bleibt individueller Anschauung überlassen. Menschliche Subjektivität und das Anorganische bilden nur zwei extreme desselben: das offenbarste und das verborgenste Sein. Naturwissenschaftlicher Dogmatismus verurteilt die Seele zum Sein als "Puppe der Weltkausalität"(41;175), "zur Ohnmacht in der objektiven Welt"(ebd.). Stattdessen besitzt der Mensch in Wirklichkeit eine Spontaneität, die ihn dazu befähigt, stets Wirkungen hervorzubringen, auch jenseits jeglicher wissenschaftlichen Reflexion, "wir sind zwecksetzende Wesen, der Mensch ist frei"(ebd.).

Um die Freiheit der Subjektivität zu begründen, wendet sich Jonas in seinem Werk "Macht oder Ohnmacht der Subjektivität" gegen das sogenannte "Unvereinbarkeits - Argument", das besagt, daß Wirkungen des "Psychischen auf das Physische" auszuschließen seien, da sie mit der "immanenten Vollständigkeit physischer Determination"(ebd.) unvereinbar seien. Da haben wir den Übeltäter! In diesem Satz manifestiert sich der Absolutheitsanspruch eines mechanistischen Weltbildes. Wenn die Physis durch nichts anderes als die Physis durchdrungen werden kann, dann gibt es zwar keine Magie, aber auch keine Relativität der Zeit. Dieser Satz ist vor Einstein, vor Heisenberg, vor Schrödinger und damit auch vor dem 20. Jahrhundert. "Dagegen vertritt Jonas die Auffassung, daß der uneingeschränkte Determinismus die Vollständigkeit physischer Determination nur supponiert, aber nicht beweist, kurz, ‘ein größeres Wissen von der Natur prätendiert, als wir ... je besitzen können’"(ebd.). So ist es. Nach dem "Epiphänomen - Argument" ist das Psychische eine bloße "Begleiterscheinung physischer Vorgänge". So müßte die Behauptung des Sokrates, nicht wegen seiner Knochen und Muskeln im Gefängnis zu sitzen und auf den Schierlingsbecher zu warten, sondern wegen seiner Ansichten, als Illusion enttarnt werden (vgl.41;176).

Der Epiphänomenalismus, indem er die "Ohnmacht des Denkens" behauptet, muß infolgedessen auch die "Unfähigkeit seiner selbst, unabhängige Theorie zu sein" eingestehen. Jonas nennt das gesamte "psychophysische Problem" ein "Geschöpf der Theorie und nicht der Erfahrung"(41;176). Damit ist zwar nicht das Wie psychophysischer Wechselwirkungen geklärt, ihre Realität muß aber angenommen werden. Jonas hat gezeigt, daß die psychophysische Wechselwirkung "faktisch ist, also auch möglich..."(ebd.).So ist auch das Vorhandensein von Zweck und dessen Wirksamkeit in der Realität geklärt.

Descartes behauptete, daß "Tiere nur komplizierte Automaten seien"(41;177). Dagegen stellt Jonas das "Subjektive in der Natur", die ganze Welt sei "zweckdurchwaltet"(ebd.), ein "aristotelisches Seinsverständnis", in dem das Neue "als Erfüllung gerichteter Hinbewegung"(ebd.), als Telos verstanden werden muß. Dem Mißverständnis, daß deshalb hier "Mentalität" anzunehmen sei, begegnet Jonas (44;135,141f.) wie folgt: "Ich glaube eher an Subjektivität ohne Subjekt, das heißt an eine Steuerung keimhafter appetitiver Innerlichkeit durch zahllose Einzelelemente, als an ihre anfängliche Einheit in einem metaphysischen Totalsubjekt. (Das heißt Pantheismus ist kein notwendiges Komplement des Panpsychismus.)"(41;178).

Vor allem hinsichtlich der Vereinbarkeit seines Denkmodells mit der Naturwissenschaft will Jonas nicht mißverstanden sein. Er behauptet keine "denkende Mutter Natur", sondern ein jenseits der Meßbarkeit liegendes teleologisches Prinzip, wogegen in der Tat weniger naturwissenschaftliche Einwände bestehen, als logische Einwände gegen das Epiphänomenargument. Jonas will "nicht etwa die Natur mit mutmaßlichen Zwecken erklären ..., sondern das erwiesene Vorkommen von Zwecken in ihr (...) für den Naturbegriff deuten"(ebd.). Die Deutung ergibt eine von Psyche, Zweck und Subjektivem durchwirkte Welt, in der menschliche Subjektivität nur die Spitze eines Eisberges darstellt. Probleme ergeben sich nun, nach Jansohn, mit der Unterscheidung von Zweck - und Finalkausalität. Bezieht sich Zweckkausalität noch auf Einzelabsichten, die sicher nicht zu leugnen sind, so verhält es sich mit der Finalkausalität, daß nämlich das Weltganze auf etwas zustrebe, oder gar zu etwas nütze sei, schon anders. Nicolai Hartmann sagt, daß in einer Welt, die einem Gesamtziel entgegenstrebe, keinerlei Freiheit mehr existiere. Dem Einzelnen bliebe nichts anderes, als ihr ihren Lauf zu lassen (vgl.41;179).

Hier scheint mir vergessen worden zu sein, daß es sich nur um ein Denkmodell handelt, ein "Geschöpf der Theorie", das sosehr es dazu taugt, die Welt erklären helfen kann. Jonas wünscht die Welt mit der Explikation der Verantwortung des Menschen für das Ganze zu verändern, nicht aber unbedingt mit der Annahme der Finalkausalität unserer Welt, die ihm nur zur Unterstützung seiner Thesen, eben der Herleitung einer "Ethik für die Zukunft" aus der Metaphysik dient. Jemand der im praktischen Leben Konsequenzen, wohlgemerkt nicht im Diskurs oder im Denken, aus den Fragen danach, was wir wissen können, zieht, wird zwangsläufig zum "Hans guck in die Luft".

Man könnte hier auch Derridas Kritik am "Logozentrismus" ins Feld führen, deren Grundgedanke in der Feststellung der Willkürlichkeit von Benennungen besteht, die auf Komposita, wie "Flugzeug" zunächst nicht zuzutreffen scheint, aber wer setzt die Begriffe "fliegen" und "Zeug"? Die Konsequenz daraus ist, daß eine Übereinstimmung zwischen Begriff und Sache, "Gesagtem" und "Gemeintem" nicht notwendig, sondern nur willkürlich vorliegt (vgl.10;75). Dazu, daß Jansohn ohnehin schon "Fragen über Fragen"(41;179) sieht, kommt noch, Jonas Absicht der Herleitung einer "Werthaftigkeit der Welt" aus den "Zwecken in der Natur".

Jonas erklärt (vgl.44;148,150), daß mit der Zweckhaftigkeit der Welt schon ihre Werthaftigkeit mitgegeben sei. Bei einem gesetzten Zweck ist seine Erreichung ein Gut, seine Vereitelung ein Übel (vgl.44;123). Aus der Sicht desjenigen, der den Zweck verfolgt, ist das sicherlich richtig. Die Verteidigung des Seins gegen das eigene Nichtsein, also die Selbstbejahung des Seins, stellt den Grundwert aller Werte dar. Jansohn findet dies nicht genug begründet. Daraufhin kommt er zu der Frage, ob die Jonassche Metaphysik geeignet sei, "eine Ethik für heute zu begründen"(41;180). Aus drei Gründen findet er den Anspruch nicht erfüllt:

1) Die dargelegte Metaphysik ist als Ethikbegründung unzureichend.

2) Der Absolutheitsanspruch ist ungerechtfertigt.

3) Der Absolutheitsanspruch ist außerdem unnötig.

Jansohn kommt zu dem Fazit, Jonas’ Begründung einer Ethik aus der Metaphysik sei zwar gescheitert: "Der Kern seiner Metaphysik schrumpft somit auf den im Mythos angedeuteten persönlichen Glauben"(41;185f.), doch damit fiele nicht die Bedeutung von Jonas’ Ethik für uns heute.

Ferner behauptet Jansohn, daß man mit einer nicht metaphysisch orientierten Heuristik der Furcht, wie sie schon bei Jonas (vgl.44;64) anklingt, eventuell weiter käme. Gerade diesen Punkt finde ich allerdings kritikwürdig, ist es doch gerade die Furcht der Verantwortlichen, die die Welt durch das Wettrüsten öfter als wir es wissen, an den Rand eines Atomkrieges getrieben hat.

Sartre schreibt darüber in dem Aufsatz "Der Krieg und die Angst oder Mit der Gefahr eines Atomkriegs leben": "Dieser Krieg wird der Krieg der Angst sein. In der Angst kündigt er sich an"(81;77). Auch im individuellen privaten Bereich ist Furcht oder Angst nicht ein so lobenswertes Gefühl, wie Jonas meint (vgl.44;390), sofern es sich um soetwas wie Existenzangst oder das schmerzliche gewahr werden des Geworfenseins ins Dasein handelt. Was soll ein Mensch mit solchen Gefühlen im konstruktiven Sinn anfangen? Die Angst hat ihre Funktion da, wo ich Angst habe, daß ein Hund mich beißt und mich daher vorsichtig verhalte. In jedem anderen Sinn ist die Angst so inflationär wie die Technik. Es gibt sogar Angstgefühle, deren Ursprung sich nicht mehr lokalisieren läßt. Ich spreche mich daher gegen eine Befürwortung der Angst aus, sofern sie nicht in irgendeiner Weise, so wie es Jonas unterstellt, erkenntnisleitend sein kann.

Jansohn räumt außerdem ein, in ihrer kritischen Funktion, z.B. im Kampf gegen den Positivismus, sei die Jonassche Metaphysik "fundiert und fruchtbar" (41;186), jedoch zur Moralbegründung tauge sie nicht und sei aufzuheben, "um für die Ethik Platz zu bekommen".

Für mich bleibt die selbstentlarvende Frage: wie muß man denn eine Ethik aus der Metaphysik begründen? Schwer zu begreifen bleiben für mich bei Jansohn einmal die mehrfache Anmahnung, Jonas solle den "Zeitgeist" beachten (Wer ist denn das?), die auch an der Stelle, es gäbe keine metaphysische Wahrheit und keinen Weg vom Ist zum Soll impliziert wird, dann zweitens auch die Planspiele von aus metaphysischen Annahmen angeblich zu ziehenden Konsequenzen, denn wer außer Moses und Jesus hat wohl je Konsequenzen aus der Annahme gezogen, daß es Gott gebe? Problematisch bleibt mir auch bei einem zu recht mit Gefühlen beladenen Thema das unbedingte Anlegen logischer Maßstäbe. Natürlich hat Jonas damit angefangen, unbedingte Begründungen zu versprechen. Wie kommt man vom Sein zum Sollen? draußen spielen Kinder.

Man könnte "Das Prinzip Verantwortung" von Jonas ebensogut als Fragment betrachten, das den Ansatz zur Begründung einer Ethik aus der Metaphysik enthält. Die geforderten logischen Schritte könnten im Nachhinein vollzogen werden, so daß es möglich würde, eine aus der Angst begründete, nicht - metaphysische Ethik mit Rücksicht auf die obengenannten Einwände gegen eine Heuristik der Furcht zu vermeiden.

Eine Begründung ethischen Handelns aus metaphysischem Dafürhalten erscheint ungleich edler, als mit "Sein oder Nichtsein" zu drohen, gerade wegen der nie auszuschließenden Gefahr, sich aus Trotz für das Nichtsein zu entscheiden, was mir auch selbst naheliegt.

VI.2.10 Generalprobe für den Untergang

Wer den Staat wirklich noch als "seines Vaters Haus" betrachtet, der müßte die Optimisten aus dem Tempel prügeln. Als Jonas sein Buch schrieb, 1979, das waren noch Zeiten, als unsere Zivilisation, die ökologisch gesehen noch zu retten gewesen wäre, sich stattdessen in rasender Wildwasserfahrt auf dem Fluß ohne Wiederkehr befand, wo das Umweltbundesamt noch ernsthaft die "Verwertung von Altreifen durch Verkoken" empfehlen konnte, das heute natürlich auch andere Töne anschlägt. In der Broschüre "Im Zeichen der Zeit" wird der konsumbewußte Verbraucher angehalten, Produkte zu kaufen, die mit dem "blauen Umweltengel" ausgezeichnet sind, seine Ölheizung rechtzeitig zu lüften und die Reifen seines Autos stark genug aufzupumpen, um so mehr Benzin zu sparen. In dem Untertitel "umweltbewußter Konsum für eine nachhaltige Entwicklung" schwingt genau jener mit positivem Denken infizierte Optimismus mit, der wohl einige von uns das Leben kosten wird, vielleicht auch nur das menschenwürdige Leben, denn eine "nachhaltige Entwicklung" wird es geben! Anfang der 80er Jahre erregte man die Gemüter mit der Jagd nach Terroristen und Drogengangster, während solche Kleinigkeiten wie das "Waldsterben", das besonders von französischer Seite radikal ironisiert wurde, kaum wahrgenommen wurden. Der Optimismus des Umweltbundesamtes ist zynisch.

Man ist dort aufgeklärt und glaubt längst - außer in finanzieller Hinsicht - nicht mehr an den "blauen Umweltengel". In Berichten wie "Global 2000" ist längst überdeutlich geworden, daß der Patient Erde sich auf seine letzte Talfahrt gefaßt macht und daß "umweltbewußter Konsum" nur eine Behandlung einiger besonders häßlicher Symptome gewährleisten kann. Man sollte sich m.E. in Lehrplänen um das Lernziel Apokalypsentauglichkeit bemühen.

Es ist besser, ein Säufer oder Spieler zu sein, als ein Technokrat, der seinen ganzen Fleiß letztlich nur dafür einsetzt, daß wir mit Routine und mit "würdiger Haltung"(was auch immer das sei) untergehen. Tatsache ist, daß wir uns bereits weit jenseits des vielbeschworenen point of no return befinden. Das bedeutet, daß alles was lebt bis auf weiteres nur durch den geschickten Einsatz unseres technologischen Könnens weiterlebt, wobei der Mensch noch nicht geneigt ist, irgendwelche vielleicht intakten Kreisläufe sich selbst zu überlassen, nein, auch diese Verantwortung laden wir uns noch auf. Und tatsächlich, wäre der Untergang so sicher, wie man zwar glaubt, aber nicht glauben macht, dann wären die Auswilderung genmanipulierter Pflanzen und die friedliche Nutzung der Kernenergie die billigste Art unterzugehen, könnten sie doch während des Untergangs einen vollklimatisierten Logenplatz mit allem Luxus für die meisten Bürger der Industrienationen gewährleisten. "Also begann Zarathustras Untergang" (67;12).

Während also die einen schon angesichts des Endes erstarren, wissen die anderen noch gar nichts davon und gehen ihren Tagesgeschäften nach. Andererseits ist ein Wunder nicht nur zu erhoffen, sondern zu erwarten.

VI.3 Jonas und Horstmann

Horstmann empfiehlt uns das Nicht - Sein gegenüber dem Sein zusammen mit der ganzen Hypothek eines ungeklärten Jenseits und ist so nur für den materialistischen Standpunkt überzeugend, bzw. für den, der nicht an ein ewiges Leben glaubt.

Mit dem Schopenhauerschen Satz "Dem Willen zum Leben ist das Leben gewiß" ist das unvereinbar. Jonas läßt diese Frage offen und bedauert vielmehr, daß die heutige Gesellschaft nicht mehr wie zuzeiten des unumstrittenen Glaubens an denselben Gott in ethischer Hinsicht aus einem Guß besteht. So sehr dies stimmen mag, im Hinblick auf die verschiedenen Anschauungen über die Ausbeutung der Umwelt, sowenig darf man sich zu einem nostalgischen Rückblick auf eine vermeintlich "gute alte Zeit" verführen lassen. Der zeitgenössische französische Historiker Robert Muchembled beschreibt die Lebensumstände in Frankreich im 15. Jahrhundert auf ernüchternde Weise:

"Eifersüchte zwischen Frauen, Kämpfe zwischen jungen Leuten, Kriege zwischen Nachbarn sind dort an der Tagesordnung. Die äußerste Enge der Sozialbeziehungen birgt unvermeidlich eine ebenso große Zahl an Gefahren, zu deren Beseitigung oder Aufschiebung man zwar Befriedungsstrategien aufbietet, ohne allerdings verhindern zu können, daß das Blut in Strömen fließt. Denn die offizielle Justiz sieht sich nur selten zum Eingreifen veranlaßt; den so häufigen Totschlag stuft sie als Allerweltsvergehen ein, das oft genug durch königlichen Gnadenerlaß verziehen wird. Derartige Dokumente bieten in Hülle und Fülle Beispiele alltäglicher Gewalt, die von Adligen und Priestern, Stadtbewohnern und Bauern verübt wird"(63;16).

"Für Horstmann erfüllt sich der Sinn der Geschichte in der Rückkehr der Welt in den Zustand des Anorganischen. Für Jonas dagegen steht fest, daß Ethik genau dies verhindern kann und muß und daß vor allen Dingen der Mensch nicht von der Bildfläche verschwinden darf. Folglich formuliert er den für das Zeitalter der Technik maßgebenden neuen moralischen Imperativ wie folgt: ‘Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden’"(41;168f.).

In den vorausgegangenen Betrachtungen wurde deutlich, daß meine Übereinstimmung mit dem Dogmatiker Jonas sich auf nahezu alle Punkte bezieht, während es andererseits leicht war, dem Skeptiker Horstmann eine Prokrustes - Methode im Umgang mit den Schriftstellern und Philosophen, die er zitiert, nachzuweisen. Ohnehin fällt es mir schwer, in "Menschenflucht" etwas Positives zu sehen, wenngleich die Lektüre von Horstmanns Buch mir einiges Vergnügen bereitet hat. Meiner kritischen Methode bin ich es (nach Wilhelm Krug) schuldig, zwei entgegengesetzte Standpunkte gegeneinander abzuwägen, um dann einen dritten hinzuzufügen. Diesen dritten Standpunkt habe ich in dem Kapitel über Kynismus dargelegt, von dem ich selbst versucht habe, einige Beispiele in meiner Polemik gegen das Positive Denken zu geben. Eine kynische Haltung wird insofern notwendig, als ich einerseits Horstmann nicht beipflichten kann und andererseits nicht geneigt bin, mir auf Dauer im Stil von Jonas, sosehr er auch recht hat, die Seele schwer zu machen.

Den Vorwurf, mir an manchen Stellen selbst zu widersprechen, müßte ich gegebenenfalls einfach hinnehmen. Von Gefühlen ganz zu schweigen, führen einige Behauptungen, sowohl bei Jonas, als auch bei Horstmann zu widersprüchlichen Auffassungen.

VII.Epilog

Der Indianer war vor Naturphilosophie und vor Ethik. Ihn regierte der Sachzwang der Natur, den er als den Willen Gottes interpretierte. Moral, bzw. Ethik verkürzt nun die Freiheit. Ein ethischer Satz ist ein synthetischer Sachzwang, der den Menschen aus Vernunfts -, emotionalen oder spirituellen Gründen in seinem Willen reguliert (vgl.49;185), bevor er auf den Sachzwang in der Natur trifft.

So entstand schon im alten Griechenland eine bloß gedachte, künstliche Welt, die hier und heute mehr und mehr Realität wird, und die Frage kann daher nicht nur sein, welche Ethik brauchen wir für eine moderne Welt, sondern auch, wie verhindern wir auf Dauer, daß diese Ethik zur Alleinherrschaft gelangt?

"Ich glaube nicht, daß die gegenwärtige Form von Toleranz echt ist. Sie ist ‘von oben herab’ beschlossen worden: es ist die Toleranz der Herrschaft des Konsums, die formal eine absolute Flexibilität der ‘Sitten’ erfordert, damit der Einzelne ein guter Konsument wird"(75;118).

Während Horstmann uns im moralischen Gewand den amoralischen Vorschlag unterbreitet, die Welt auszulöschen, macht Hans Jonas den Versuch, uns mithilfe der Vernunft in eine Welt zu führen, die sich nicht selbst zerstört, derselben Vernunft, durch deren kritiklose Anbetung wir da stehen, wo wir jetzt sind.

Um nicht allzu grob zu verkürzen, sei hier zugegeben, daß auch das Werk der Aufklärung noch nicht ganz getan ist,wenn auch Sloterdijk bereits von Ermüdung an der Aufklärung spricht (92;33), daß also auch die Gefahr einer Verdunklung des Geistes noch besteht. Wäre diese beseitigt, was leichter gesagt als getan ist, so könnte man, nach der Lösung der Probleme, die rational lösbar sind, sich an den Problemen versuchen, die es nicht sind, welche nämlich, entgegen einem gängigen Vorurteil, des Positivismus, nicht immer aus besagter Geistesverdunklung entspringen.

Weltumspannende Zusammenhänge scheinen in ihrer Struktur nicht so durchschaubar zu sein, daß sie einem so primitiven Konzept wie der menschlichen Vernunft, der in der Regel schon ein Schachcomputer widersteht, gehorchen.

Das Problem, das auch Jonas nicht ganz ausräumen kann, ist das Unheil, das nur durch guten Willen entsteht.

Wenn wir annehmen, daß ohne den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (den der Quantenphysiker Erwin Schrödinger in seinem Katzenexperiment widerlegt hat) keine Naturwissenschaft und auch keine Technik entstanden wäre, der schon vor Aristoteles bekannt gewesen sein muß, weil Pythagoras sonst nicht das Dreieck hätte berechnen können, stellt sich das Problem, daß wir die Zeit nicht zurückdrehen und aus der Kultur nicht in die Natur zurückkehren können.

Stattdessen fragt sich, welche Parameter unseres Erkenntnisvermögens geändert werden könnten, um tatsächlich umzudenken, was mir im Rahmen eines exklusiven abendländischen Intellektualismus nicht möglich erscheint. Einen Beitrag hierzu könnte der Humboldtsche Begriff von der philosophischen Empirie leisten, eine Verknüpfung von Ahnungen mit der Wissenschaft, denn technologische Vernunft, die zwar immer vorgibt, jenseits von Gut und Böse zu sein, ist es in ihren Auswirkungen nie. Ebenso ist es zu mißbilligen, daß Naturwissenschaftler oft von Ethik und Philosophie, selbst wenn ihre Forschungen diese berühren, keine Ahnung haben. Zuständig für DNA ist der Gentechniker, für Gott und Seele der Geistliche, für die Brötchen der Bäcker usw.

Würde man die scharfe Trennung zwischen Intuition und empirischem Ergebnis mehr und mehr vernachlässigen und nicht nur transzendentale, sondern auch transzendente Ideen in der Wissenschaft zulassen, oder zumindest in Betracht ziehen, so würde zwar die "Objektivität" leiden, von der wir doch alle wissen, daß es sich bei ihr um ein Modell gehandelt hat, aber die aufgrund solchen Vorgehens gewonnenen Anschauungen hätten immerhin die Chance, die Enge eines nur zu zwei Zügen im Voraus fähigen Verstandes zu überwinden, womit natürlich keiner sektiererischen Ideologisierung der Wissenschaft das Wort geredet sei, wenngleich sogar Jonas in seinen Überlegungen über die Tauglichkeit des Kommunismus zur Weltrettung mit einem solchen Gedanken gespielt zu haben scheint.

Die "Grenze des Philosophierens" bestimmt Wilhelm Krug in seiner "Philosophia Critica" so: "Synthesis conscientiae transcendentalis est absolutus philosophandi limes"(55;39). "Transzendentalität" definiert er wie folgt: "factum vero originarium illud est, quod a nullo antecedente deduci, ex eoque explicari potest ..."(ebd.).

So scheint es, daß die Frage nach Sein oder Nichtsein der Biosphäre unseres Planeten, so wie wir sie kennen, also nicht nur auf Viren und Ratten geschrumpft, nicht in jedem Fall eine Frage der Tat, sondern ganz entscheidend auch eine der Denkgewohnheiten ist.

Man muß sich vor Augen halten, daß die abendländische Ratio, unbezweifelbar das bisher größte Projekt der Menschheit, wenn man bedenkt, daß sie mittlerweile bereits asiatische Hirne erweicht, nichts als eine immer detaillierter werdende Quadratur des Kreises vorstellt, bei der wir unfähig bleiben,die Dinge an sich, oder das Wesen der Dinge anzusprechen.

Auch die Idee, das Wesen der Dinge als bloßen Spuk zu bezeichnen (vgl.95;42f.) konnte uns nur einmal mehr über diese Unfähigkeit hinwegtäuschen, gab uns dafür aber verlorenes Selbstvertrauen zurück, das bis Stirner zwischen tradierten Autoritäten verkeilt war.

So zeigt sich, daß für die Anwendung der Vernunft zunächst nicht der Beweis ihrer Tauglichkeit, sondern der Glaube an sie notwendig ist (Karl Popper). Da kann man wenn man Lust hat auch an Buddha glauben.

So werden wir, um zwei Denkrichtungen der klassischen Moderne zu nennen, im Existenzialismus (z.B. Sartre und Cioran) vor die Wahl "Totum et Nihil" gestellt, wobei für uns, die wir vom ausgeschlossenen Gegenteil verführt wurden, die Annahme, daß Alles Nichts sei, inakzeptabel ist, während der Pragmatismus (z.B. Peirce und Mead) aus dem Menschen mit all seinen Möglichkeiten den Menschen im Alltag macht, mit nur einer Möglichkeit, nämlich Handlungserwartungen zu entsprechen und danach seine Begründungspflicht zu erfüllen (im Alltag !), was selbst neben der auch nur vagen Befürchtung eines globalen Holocaust, von Verseuchung, Verschmutzung etc. Realsatire ist.

Wenn man sich einen solchen Menschen vorstellt, wie er sich ständig im Alltag bewährt, aber ohne jede Ahnung ist von Angst, Liebe, Tod, von Grenzsituationen also, dann wirkt er wie die Karikatur eines antiken Stoikers, der während eines Gewittersturmes versucht, ein Formular auszufüllen. So steckt für mich in dem Begriff "objektives" Handlungsproblem schon eine Nichtanerkennung göttlicher Vorsehung, die jeder hungernde Inder Lügen straft. Denn wie kann ein Handlungsproblem "objektiv" sein, wenn Fatalismus schon einen Ausweg darstellt?

Auf der anderen Seite begegnet uns der Existenzialist als Stoiker ohne Pflicht, die besonders bei Cioran völlig fehlt, wo der Existenzialist seine Ataraxia inmitten von Verzweiflung und selbst herbeigeführter Verworfenheit sucht. Bei Sartre trägt er dann eine geradezu monadische Gesamtverantwortung für das Weltganze.

Horstmanns Arbeit leistet den wertvollen Beitrag grundsätzlicher Verunsicherung, während Jonas uns durch die Absicht, die Lösung voranzutreiben, vielleicht nur mit neuen Illusionen versorgt.

Es liegt auch keine Hoffnung darin, daß die Menschheit "zur Vernunft kommt", denn wir sind alle bei klarer Vernunft, die einfach nur dazu neigt, das geht uns allen so, auch dem Schachweltmeister, denn das Schachspiel ist eine grobe Verkürzung des Lebens, zuwenig Züge im Voraus zu berechnen. So ist ein finanzieller Gewinn "ein Spatz in der Hand", während die Atemluft aller in hundert Jahren "eine Taube auf dem Dach" ist.

Doch wird die Grenze zwischen Wissen und Glauben mehr und mehr fließend, und man könnte glauben, der Atomwahnsinn sei vorbei, gleichsam mit dem Untier und der Sowjetunion ad acta gelegt.

Dank an alle, die meine Arbeit mit mir diskutiert haben.

VII.1 Offenbleiben wichtiger Fragen

Die Einsamkeit als Grundproblem unserer Zivilisation, sowie theologische Fragen konnten leider nur wenig berücksichtigt werden.

Die Widersprüche im Menschenbild, das zwischen Homo Deus und bemitleidenswerter Kreatur schwankt, können nicht aufgehoben werden.

Ein Problem in meiner Arbeit ist auch, daß die Begriffe "Vernunft" und "Verstand" zunächst synonym gebraucht wurden, was sie nur in speziellen Fällen sind. Da aber keine Vernunft ohne Verstand existieren kann, sind m.E. keine schwerwiegenden Fehler in der Argumentation entstanden. Um den Sinn der entsprechenden Passagen nicht zu entstellen, habe ich sie so gelassen.

Probleme der Ökologie, der Geologie und der Physik konnten leider, teils aus Platzgründen, teils wegen meiner geringen Kompetenz, ebenfalls nur angerissen werden.

VIII. Anhang

VIII.1 Zeittafel

1789 - Entdeckung des Elements Uran

Mitte des 19. Jahrhunderts - Maxwell, Riemann und Möbius schaffen die mathematischen Voraussetzungen für die moderne Physik.

1869 - Eduard von Hartmann wünscht sich den Weltuntergang, nicht ahnend, wie nah er diesem zeitlich, der Möglichkeit nach, schon ist.

1895 - Wilhelm Conrad Röntgen entdeckt die radioaktive "Röntgen" - Strahlung. Das erste Foto zeigt die linke Hand seiner Frau Bertha. Nur die Knochen und der Ehering sind zu sehen.

1896 - Henry Becquerel stellt fest, daß diese Strahlung auch in der Natur

vorhanden ist.

1898 - Pierre und Marie Curie entdecken Polonium und Radium in der Uranpechblende.

1901 - Zum ersten mal in der Geschichte wird der Nobelpreis verliehen. Röntgen bekommt ihn für seine Leistungen in Physik.

1903 - Marie u. Pierre Curie, sowie Becquerel erhalten den Nobelpreis.

1908 - Ernest Rutherford erhält den Nobelpreis für Chemie.

1910 - Marie Curie stellt zum ersten mal Radium rein dar.

1911 - Marie Curie erhält den Nobelpreis für Chemie.

1913 - Niels Bohr entwickelt auf der Grundlage des Atommodells von Rutherford das erste quantentheoretische Atommodell.

Juni 1919 - Erstmalige Verwandlung von einem Element in ein anderes durch Beschuß mit Alpha - Partikeln, durchgeführt von Rutherford (vgl.48;17)

Anfang der 20er Jahre - Samuel Goudsmit entdeckt den "Spin", die Drehbewegung der Elektronen an Bohrs Institut in Kopenhagen.

1922 - Francis William Aston baut im Cavendish - Laboratorium in Cambridge den Prototyp des Massenspektrographen, mit dem er erstmals in großem Maßstab Isotope trennt (vgl.48;69) und erhält dafür den Nobelpreis.

- Bohr erhält ebenfalls den Nobelpreis.

1924 - 1932 Amerikanische Physiker in Göttingen (vgl.48;35)

1925 - Ida Noddack entdeckt zwei bisher unbekannte Elemente Rhenium und Masurium.

1927 - Theorie von Atkinson und Houtermans über die thermonuklearen Reaktionen in der Sonne (vgl.48;41)

ab 1928 - Edward Teller in Göttingen (vgl.48;58)

1931 - Entdeckung der Gamma - Strahlen durch die Deutschen Bothe und Becker (vgl.48;67)

ab 1932/33 - Diskreditierung von Einsteins Theorien als "jüdische Physik"

1932 - Fritz Houtermans weist auf die Möglichkeit einer Kettenreaktion hin.

Februar 1932 - James Chadwick entdeckt als Schlüssel zur Kernspaltung das Neutron.

1933 - Teller flüchtet nach Kopenhagen (vgl.48;59).

- Einstein folgt einem Ruf nach Princeton (61).

1934 - Enrico Fermi löst in Rom eine erste Kettenreaktion im Uran aus, die er aber noch nicht als solche erkennt. Er hat als erster Uranatome gespalten, während er glaubte, künstliche Transurane zu schaffen (vgl.48;75).

- Marie Curie stirbt an der Strahlenkrankheit.

1935 - Irene und Frederic Joliot - Curie erhalten den Nobelpreis für Chemie als Entdecker der künstlichen Radioaktivität (vgl.48;63).

- Leo Szilard schlägt vor, im Hinblick auf gefährliche Konsequenzen, künftige Resultate nicht zu veröffentlichen und stößt auf Ablehnung.

- Edward Teller wird an die Universität in Washington berufen.

1937 - Heisenberg und alle Anhänger der modernen Physik werden als "weiße Juden" angegriffen. Der "Deutschen Physik" antworten sie, es gebe nur richtige und falsche Physik, nicht aber "deutsche" und "jüdische"(vgl.48;89).

- Houtermans hält an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über Neutronenabsorption.

1938 - Lise Meitner muß Deutschland verlassen, wo sie mit Otto Hahn geforscht hatte.

- Nur drei Kollegen stimmen Szilards Vorschlag einer freiwilligen Geheimhaltung zu: Eugen Wigner, Edward Teller und Victor Weißkopf (vgl.48;88).

- Hahn erkennt als Reaktion auf einen Artikel von Irene Joliot - Curie endlich nach vierjährigem Irrtum die Kernspaltung an und zeigt experimentell, daß bei der Spaltung von Uran 92 Barium 56 entsteht, Veröffentlichung: 22.12.1938 (vgl.48;83).

Anfang 1939 - Niels Bohr nennt in Princeton fünfzehn schwerwiegende Gründe, warum ihm die praktische Verwertung der Kernspaltung unwahrscheinlich scheint (vgl.48;86).

Februar 1939 - Lise Meitner prägt in einer Veröffentlichung für diesen Vorgang den Begriff "fission", der ursprünglich die Zellteilung bei Bakterien beschreibt (vgl.48;85).

- Die in Amerika lebenden Atomforscher verzichten vorübergehend auf Veröffentlichung ihrer Arbeiten. Die "Achsenmächte", Deutschland und Italien, sollen von der Atomforschung ausgeschlossen werden.

3.3.1939 - Szilard nimmt an dem entscheidenden Experiment teil, bei dem gezeigt wird, daß bei der Kernspaltung des Urans weitere Neutronen freiwerden, die eine Kettenreaktion auslösen (vgl.48;87).

17.3.1939 - Fermi spricht mit Admiral Hooper über die Möglichkeit einer Atombombe.

Frühjahr 1939 - Die englische Regierung stellt der Forschungsabteilung der Royal Air Force Uranoxyd und kleinere Geldsummen für die Arbeit an der Atomspaltung zur Verfügung (vgl.48;121).

Juli 1939 - Eugene Wigner und Szilard fahren zu Einstein, um die Gefahr einer deutschen Atombombe zu besprechen.

26.9.1939 - Gründung des deutschen "Uran - Vereins" in Berlin durch neun Kernphysiker (vgl.48;104), der später von Heisenberg geleitet wird (vgl.48;105). 11.10.1939 - Ein Brief und ein Memorandum, verfaßt von Einstein und Szilard, die vor einer deutschen Atombombe warnen, werden über einen Mittelsmann an Präsident Roosevelt geleitet (vgl.48;100,122).

Winter 1939/1940 - Heisenberg beschreibt den Unterschied der gesteuerten Kettenreaktion im Uranmeiler zu der Neutronenlawine mit explosivem Höhepunkt bei der Uranbombe (vgl.48;106).

1940 - Das Atomprojekt S - 1 in Oak Ridge hat aufgrund geringer Beachtung der Regierung finanzielle Schwierigkeiten.

7.3.1940 - Einstein weist Roosevelt in einem erneuten Brief auf das intensivierte Interesse für Uranium in Deutschland seit Kriegsbeginn hin (vgl.48;125).

10.6.1940 - Frederic Joliot - Curie beginnt in Paris mit der Vernichtung seiner Papiere, die nicht den Deutschen in die Hände fallen sollen. Er selbst bleibt bei seinen Geräten, u.a. dem ersten Zyklotron Mittel - und Westeuropas, wofür er später fälschlich der Kollaboration verdächtigt wird, während er sich in Wirklichkeit der Resistance angeschlossen hat.

17.7.1940 - v. Weizsäcker, Heisenbergs engster Mitarbeiter verfaßt "Eine Möglichkeit der Energiegewinnung aus U238".

September 1940 - Houtermans verfaßt eine Arbeit über den Einsatz von Uranbrennern zur Gewinnung von (bombentauglichen) Transuranen.

1941 - Glenn Seaborg und Mitarbeiter stellen durch Neutronenbeschuß von Uran erstmals das später sogenannteTransuran "Plutonium" her.

- Unterredung zwischen Heisenberg und Bohr in Kopenhagen, bei der es jedoch zu Mißverständnissen kommt. Bohr, Heisenbergs alter Lehrer, der selbst nicht an eine Bombe glaubte, vermutet nun, daß Heisenberg sie für die Deutschen baut.

Juli 1941 - Houtermans weiß bereits, daß wägbare Mengen des Elements 94 (später Plutonium) in einem Uranmeiler erzeugt, den Bau einer Bombe ermöglichen würden. Er bittet seinen Verbindungsmann der Reichspost zum Uran - Verein, seine Arbeiten noch nicht in den Geheimdokumenten des Heereswaffenamtes zu veröffentlichen (vgl.48;110).

Winter 1941 - Geheimhaltungsverabredungen zwischen Houtermans, Heisenberg und Weizsäcker

6.12.1941 - Entschluß der amerikanischen Regierung, ernste finanzielle und technische Anstrengungen zum Bau von Atomwaffen zu machen.

7.12.1941 - Angriff Japans auf Pearl Harbour

- Offizieller Kriegseintritt Amerikas

1942 - Das dritte Reich widmet der Entwicklung neuer Waffen intensivere Aufmerksamkeit. Entwickelt werden V1, V2 und ein Düsenjäger mit doppelter Schallgeschwindigkeit, der aber nicht mehr getestet wird. Er wird Ende 1944 von den Alliierten beschlagnahmt (vgl.48;102).

- Oppenheimer wird offizieller Mitarbeiter des amerikanischen Atomprojekts.

6.6.1942 - Heisenberg trägt Minister Speer den Stand seiner Arbeit vor. Energiegewinnung mit Uranbrennern ist möglich, auch entsteht dabei bombentaugliches Material, doch, so Heisenberg, wichtige technische Probleme einer Bombe sind noch nicht gelöst.

13.8.1942 - Das DSM - Project, oder Manhattan - Project wird in Los Alamos/New Mexico, ab 17.9. unter der militärischen Leitung von General Groves, lokalisiert.

Dezember 1942 - Fermis erster primitiver Uranbrenner wird im Keller unter den Tribünen des Universitätssportplatzes in Chicago in Betrieb genommen.

- Unter Atomforschern verbreitet sich das Gerücht, Hitler werde in Chicago radioaktiven Staub aus Flugzeugen abwerfen lassen. Militärische Stellen verteilen daraufhin Geigerzähler. Viele Forscher schicken ihre Familien aufs Land.

1943 - Bohr gelangt auf der Flucht vor den Deutschen über Schweden nach England, wo er die anglo - amerikanischen Behörden, aufgrund des Gesprächs mit Heisenberg, 1941, darin bestärkt, den Deutschen mit dem Bau einer Atombombe zuvorzukommen (vgl.48;117).

- Die "geheimen Städte" Oak Ridge, Hanford und Los Alamos werden neu erbaut.

März 1943 - Die ersten Atomforscher kommen nach Los Alamos.

Juli 1943 - Die wissenschaftliche Leitung des Manhattan - Project wird Oppenheimer übertragen, nachdem Groves am 15. und 20.7. ausdrücklich darum ersucht hatte (vgl.48;128,152).

August 1943 - Rossi Lomanitz, ein Schüler Oppenheimers soll wegen pazifistischer und kommunistischer Agitation vom Projekt ausgeschlossen werden. Bei seinem Versuch, ihn zu verteidigen, erwähnt Oppenheimer, daß er von den Bemühungen der Sowjets weiß, an die Geheimnisse der Bombe zu kommen. Oppenheimer wird mehrfach verhört.

Herbst 1943 - Die "Alsos" - Einheit wird ins Leben gerufen, die mit den Alliierten Truppen landen und Aufschluß über den Stand der deutschen Atomforschung geben soll.

Winter 1943/44 - Heisenberg und Mitarbeiter bauen einen Modellreaktor in einem Bunker in Berlin - Dahlem.

- Klaus Fuchs kommt als eines der wichtigsten Mitglieder des englischen Forscherteams in die USA (vgl.48;197).

1944 - Houtermans stimmt der Bekanntgabe seines Aufsatzes an das Heereswaffenamt zu, nachdem er erfahren hat, daß auch der Hamburger Physiker Harteck an dem gleichen Problem arbeitet.

- Der deutsche Reichspostminister Ohnesorge versucht Hitler den Stand der Forschung für eine Uranbombe vorzutragen, wird aber mit einer höhnischen Bemerkung zurückgewiesen.

3.7.1944 - Bohr schickt je ein Memorandum an Churchill und Roosevelt, mit der Vermutung eines Ost - West - Konfliktes nach Kriegsende und dem Vorschlag einer gemeinsamen Kontrolle der Anwendung von Atomenergie durch die drei Atommächte USA, UdSSR und Großbritannien.

August 1944 - Einmarsch der Alliierten in Paris

26.8.1944 - Konferenz zwischen Bohr und Roosevelt

15.11.1944 - Straßburg kapituliert.

18.11.1944 - Die erste größere Studie über die vermutlichen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Folgen der neuen Kraft "Prospectus on Nucleonics", verfaßt von sechs Atomforschern, Fermi et al. wird A.H. Compton, dem Direktor des Metallurgical Laboratory übergeben.

Dezember 1944 - Alexander Sachs liest Roosevelt ein Memorandum vor, in dem es u.a. heißt, eine Vorführung der Bombe müsse vor allen Vertretern der großen Religionen, einschließlich der Muslime und Buddhisten, stattfinden.

- Fuchs kommt nach Los Alamos (vgl.48;197).

Februar 1945 - Fuchs trifft seinen sowjetischen Kontaktmann und verrät die Geheimnisse der amerikanischen Atombombe. Ein zweites Treffen findet im Juni statt.

- Heisenberg und Mitarbeiter bauen einen neuen Uranbrenner in einem Vorratskeller in Haigerloch (vgl.48;178).

Frühjahr 1945 - Eine Studiengruppe innerhalb des Manhattan - Project beschäftigt sich mit der Auswahl eines Ziels für den Abwurf der Bombe (vgl.48;187). Vier japanische Städte werden von den Bombern verschont, um unversehrte Ziele für die Atombombe abzugeben.

12.4.1945 - F.D. Roosevelt stirbt plötzlich. Auf seinem Schreibtisch bleiben Briefe von Einstein und Szilard mit der Warnung vor einem Einsatz der Bombe unbearbeitet liegen.

22.4.1945 - "Alsos" und ein alliierter Stoßtrupp besetzen Haigerloch und nehmen Heisenbergs Mitarbeiter gefangen (vgl.48;179), unter ihnen Otto Hahn, Max von Laue, C.F. v. Weizsäcker. Heisenberg selbst wurde später in seinem Haus in Oberbayern gefangengenommen.

25.4.1945 - Der neue Präsident Harry S. Truman wird in das streng geheime Bombenprojekt eingeweiht.

1.6.1945 - Das "Interim Committee", bestehend aus 5 Politikern und 7 Physikern, beschließt die Bombe so schnell wie möglich gegen Japan einzusetzen.

11.6.1945 - Der "Franck - Report", eine feierliche Eingabe an den amerikanischen Kriegsminister, verfaßt von drei Physikern, drei Chemikern und einem Biologen, u.a. James Franck, Nobelpreisträger und ehemaliger Professor in Göttingen, Szilard und Seaborg, Forscher aus Chicago sagt das globale Wettrüsten voraus und warnt vor einem Einsatz der Bombe.

12./13.7.1945 - Die Testbombe wird in Teilen zum "Punkt Null" gebracht.

16.7.1945 - Test der ersten Atombombe in Alamogordo in der Wüste von New - Mexico mit einem unerwartet hohen Ergebnis von 17 - 20 Kilotonnen Dynamit. Berechnungen wurden um das Zehn - bis Zwanzigfache übertroffen (vgl.48;215). Die Angaben über die Sprengkraft von Kernwaffen werden fortan als Äquivalent des konventionellen Sprengstoffs Trinitrotoluol (TNT) angegeben. Das Projekt läuft unter dem Namen "Trinity".

- Der Kreuzer "Indianapolis" sticht mit dem Ziel Tinian in See, an Bord Teile der für Japan bestimmten Bombe.

6.8.1945 - Abwurf der Uran235 - Bombe "Little Boy" auf Hiroshima,

ca. 100 000 Tote, aus einem B - 29 - Bomber, "Enola Gay", benannt nach der Mutter des Kommandanten, Paul Tibbets, die vom pazifischen Luftwaffenstützpunkt Tinian gestartet war, wo auch als letzter Teil der Zündmechanismus in beide Bomben eingesetzt wird.

9.8.1945 - Abwurf der Plutonium239 - Bombe "Fat Man" auf Nagasaki, ca. 80 000 Tote

10.8.1945 - Japanische Kontrollkommissionen treffen sich bei Hiroshima und bestätigen zum ersten mal offiziell, daß es sich um den Einsatz von Atomwaffen gehandelt hat (vgl.48;224).

11.8.1945 - Japan bietet die bedingungslose Kapitulation an.

21.8.1945 - Henry Dagnian verstrahlt in Los Alamos seine rechte Hand mit einer vielfachen Überdosis Gammastrahlen. Er stirbt nach 24 Tagen (vgl.48;239).

Oktober 1945 - Oppenheimer gibt seinen Rücktritt als Direktor von Los Alamos bekannt.

1946 - Frederic Joliot - Curie, Mitglied des kommunistischen Weltfriedensrates wird französischer Hochkommissar für Atomenergie.

21.5.1946 - Bei einem Experiment in Los Alamos löst Louis Slotin versehentlich eine Kettenreaktion zwischen zwei Hälften einer kritischen Masse aus. Er rettet die sieben Anwesenden, indem er die Masse mit den Händen trennt und sich so selbst verstrahlt (vgl.48;205).

30.5.1946 - Slotin stirbt qualvoll.

Juli 1946 - Atomtests auf Bikini unter schärfstem Protest amerikanischer Wissenschaftler. Der 4. Abwurf einer Atombombe in der Weltgeschichte trägt den Projektnamen "Operation Crossroads", eine sentimentalistische Anspielung, daß man nun am Scheideweg des Schicksals stehe. 200 Kriegsschiffe mit 140 Flugzeugen liegen in der Nähe vor Anker. 200 Schweine, 200 Ziegen und 4000 Ratten werden der Strahlung ausgesetzt, um ihre Wirkungen beobachten zu können.

- Der amerikanische Atomkontrollplan, der unter Mitwirkung von Oppenheimer verfaßt worden war, wird am 24. von Andrej Gromyko abgelehnt.

1949 - Es gibt für die Amerikaner sichere Anzeichen dafür, daß die Sowjets die Atombombe haben.

- Der kommunistische Weltfriedensrat tagt in Paris.

29.8.1949 - Der erste sowjetische Atombombentest findet in Sibirien statt.

1950 - Joliot - Curie wird als Hochkommissar in Frankreich abgesetzt.

- Invasion der Amerikaner in Korea. Wird Rotchina den dritten Weltkrieg auslösen?

Ende Januar 1950 - Klaus Fuchs wird in England wegen Spionage verurteilt.

1951 - Seaborg erhält den Nobelpreis für Chemie.

1952 - Die amerikanische Wasserstoff - Bombe erreicht eine Sprengkraft von 5 Megatonnen TNT.

1953 - Die UdSSR hat die Wasserstoffbombe ein Jahr später als die Amerikaner. Oppenheimer sagt, die USA und die UdSSR glichen zwei giftigen Skorpionen in einer Flasche.

- Julius und Ethel Rosenberg werden in dem amerikanischen Gefängnis Sing Sing wegen Atomspionage auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Während der Mann nach einem Stromstoß stirbt, stirbt die Frau erst nach mehreren, bei denen von ihren Haaren Rauch zur Decke aufsteigt. Ein Rundfunkkommentator sagt: "Ethel Rosenberg tritt vor ihren Schöpfer, und sie wird ihm eine Menge zu erklären haben".

- Oppenheimer wird von seiner Beratertätigkeit für die Regierung ausgeschlossen, weil man ihm nicht mehr trauen könne. Später wird er rehabilitiert.

- Walther Bothe und Max Born erhalten den Nobelpreis.

19.8.1953 - Die Sowjets testen die H - Bombe in Sibirien.

1.3. 1954 "Castle - Bravo - Test": die Amerikaner testen die FFF - Bombe (Fission - Fusion - Fission), eine Spaltung - Fusion - Spaltung Kombination aus Atom - und Wasserstoffbombe auf dem Bikini - Atoll. 20 000 Menschen auf der Pazifikinsel Ronguelap und auf zwei weiteren werden aufgrund einer falschen Wettervorhersage verstrahlt.

Auch der japanische Thunfischfänger "Der Glückliche Drache" mit 23 Mann Besatzung wird verstrahlt und bringt "heißen" Fisch auf den japanischen Markt.

Der Vorsitzende der Atomenergiekommission Lewis L. Strauss spricht von einem "gesunden und glücklichen Eindruck" den die Eingeborenen der drei verstrahlten Inseln auf ihn machen. Zeitgenössische Filmdokomente zeigen Verbrennungen, sowie Haarausfall und handtellergroße Hautflecken als Folge der Strahlenkrankheit, wie sie auch in Hiroshima zu sehen gewesen waren, bei den Insulanern.

1955 - Die H - Bombe erreicht 45 MT.

- Über der Bundesrepublik Deutschland findet das NATO - Luftmanöver "Carte Blanche" unter dem Motto: "Atomkrieg kennt keinen Sieger" statt.

- Die UdSSR vermindert ihre Streitkräfte im Zuge der Umrüstung auf Atomwaffen.

- In den USA findet eine Wasserstoffbomben - Luftschutzübung statt, bei der die Regierung Washington verläßt.

- Hahn warnt vor der Kobaltbombe.

- Ein neuer russischer Wasserstoffbombentest wird gemessen. Es handelt sich dabei um den ersten Abwurf einer H - Bombe aus einem Flugzeug.

- Erste atomgetriebene U - Boote werden gebaut.

1956 - Amerikanische und russische Atombomber sind in Vergeltungsbereitschaft.

- Man schlägt eine gegenseitige Kontrolle vor.

- Erster amerikanischer H - Bomben - Abwurf aus einem Flugzeug.

- Internationaler Kongreß zur friedlichen Nutzung der Atomenergie

- Der Jahresetat der USA beträgt 66 Mrd. $, davon entfallen 42 Mrd. $ allein auf die Rüstung.

26.10.1956 - 113 Vertragsstaaten unterschreiben in Paris die Satzung der Internationalen Atomenergie - Organisation. In der Bundesrepublik Deutschland folgen darauf entsprechende Durchführungsgesetze (99;88).

1957 - Mit dem "Göttinger Appell" wenden sich 18 Atomforscher gegen die atomare Aufrüstung von Deutschland.

- Der Bundestag beschließt die atomare Rüstung der deutschen Bundeswehr.

- Mit seinem ersten erfolgreichen Wasserstoffbombentest ist Großbritannien die dritte Atommacht.

25.3.1957 - 10 Staaten unterschreiben in Rom den Vertrag zur Gründung der europäischen Atomgemeinschaft (99;89).

11.12.1957 - Die BRD und Kanada schließen ein Abkommen zur Zusammenarbeit bei der friedlichen Verwendung der Atomenergie (99;91).

Herbst 1958 - Allgemeine Einstellung der Kernwaffenversuche

1960 - Frankreich zündet seine erste Atombombe in der Sahara. Als ehemaliger Nicht - Atomstaat war Frankreich nicht an dem Vertrag vom Herbst 1958 beteiligt.

- Vermutlich hat auch China die Bombe.

1961 - Die Sowjetunion zündet eine 58 MT - H - Bombe in der Atmosphäre und stellt damit nicht nur einen Rekord an nuklearer Sprengkraft auf, sondern verletzt auch das Abkommen.

1962 - Kuba - Krise. Vier Tage lang steht die Welt am Rande eines Atomkrieges. John F. Kennedy sagt: "Wir werden nicht leichtfertig einen weltweiten Atomkrieg beginnen, aber auch keinen Moment vor diesem Risiko zurückschrecken, wenn es erforderlich sein sollte". Chruschtschow zieht seine Raketen aus Kuba ab.

- Die USA nehmen ihre Kernwaffentests wieder auf.

1963 - Eugene P. Wigner erhält den Nobelpreis für seine Forschungen in der Quantenphysik.

5.8.1963 - 115 Vertragsstaaten einigen sich über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (99;100).

1964 - Ein sowjetischer Atomforscher legt auf einem internationalen Physikerkongreß in Cambridge/England den Bauplan einer Atombombe vor, mit der Bemerkung, daß die Realisierung nur unter größtem Aufwand an Personal, Material und Geld möglich sei.

1967 - Hans Bethe erhält den Nobelpreis für Physik für seine Erklärung der Fusionsaktivitäten in den Sternen.

1.7.1968 - Über 100 Nationen beschließen in London, Moskau und Washington den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (99;103).

1971 - Seaborg weist ein Plutonium - Isotop in der Natur nach.

11.2.1971 - Abschluß des internationalen Vertrages in London, Moskau und Washington über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund (99;60)

5.10.1971 - Abkommen zwischen der BRD und der Rep. Indien über Zusammenarbeit bei der friedlichen Verwendung der Kernenergie und der Weltraumforschung (99;106)

22. - 29.5.1972 - Nixon und Breschnew treffen sich zu SALT (Strategic Arms Limitation Talks) in Moskau. Verabredet werden die Begrenzung der Raketenabwehr, sowie ein fünfjähriges Einfrieren der Offensivraketen.

1974 - Indien hat die Bombe.

- Für Untersuchungen zur Tieftemperaturphysik erhalten Kapitza, A.A. Penzias und R.W. Wilson den Nobelpreis für Physik.

20.12.1974 - Vereinbarung zwischen BRD und USA über technischen Austausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Behandlung und Beseitigung von radioaktiven Abfällen (99;112)

1975 - Andrej D. Sacharow erhält den Friedensnobelpreis.

1978 - John Aristotle Philipps entwirft in der Theorie eine "Low - budget" - Atombombe als Diplomarbeit in Physik in Princeton.

28.3.1979 - Schwerer Reaktorunfall in Harrisburg

18.6.1979 - Zu SALT II - Verhandlungen treffen sich Jimmy Carter und Breschnew in Wien. Es kommt zu einem Vertrag über die Beschränkung der gesamten strategischen Waffen.

28.1.1981 - Vereinbarung zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Rep. Frankreich über den Informationsaustausch bei Vorkommnissen oder Unfällen, die radiologische Auswirkungen haben können (99;119)

8.8.1981 - Ronald Reagan kündigt den Bau der Neutronenbombe an.

10.8.1982 - Vereinbarung zwischen den Regierungen der BRD und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Unterrichtung beim Bau und Betrieb grenznaher kerntechnischer Einrichtungen (99;121)

26.4.1986 - Kernschmelze in Tschernobyl

26.9.1986 - Die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) trifft in Wien ein Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, sowie über Hilfeleistung bei nuklearen oder radiologischen Notfällen (99;124).

19.12.1986 - Sacharow wird von seiner Verbannung nach Sibirien begnadigt und kehrt nach Moskau zurück, wo er bis zu seinem Tod scharfe Kritik an der Regierung übt.

13.10.1987 - Strahlenschutzvereinbarung der BRD mit Dänemark in Kopenhagen

10.5.1988 - Strahlenschutzvereinbarung der BRD mit Norwegen in Oslo (99;126)

1992 - Umweltgipfel in Rio de Janeiro

Unterirdische Atomwaffenversuche der USA in der Sierra Nevada und China in der Provinz Sinkiang 1992 (18;133):

26.3.1992 USA, 100kT

30.4.1992 USA, 100kT

21.5.1992 China, 1MT

19.6.1992 USA, 100kT

23.6.1992 USA, 100kT

18.9.1992 USA, 100kT

23.9.1992 USA, 100kT

25.9.1992 China, 1MT

1994 - Die Ukraine beschließt, auf Anregung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, alle Nuklearsprengköpfe, u.a. die Nuklearbewaffnung der Schwarzmeerflotte an Rußland zurückzugeben.

1995 - Französische Atomwaffenversuche auf dem Mururoa - Atoll

2.6.1996 - Alle Nuklearsprengköpfe der Ukraine werden nach Rußland zurückgeführt.

VIII.2 Verzeichnis von Filmen mit Weltuntergangsthematik (ohne Anspruch auf Vollständigkeit

- Whoops Apocalypse ! (amerik. Comedy - Serie) 1993

- Danach, England 1968

- Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben, USA 1963

- Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein,

Sowjetunion, Deutschland, Frankreich 1989

- In der Gewalt der Unterirdischen, USA 1975

- Die Klapperschlange, USA 1980

- Die letzten Sieben, USA 1956

- Das letzte Ufer, USA 1959

- Logan’s Run, USA 1976

- Matinée - die Horrorpremiere, USA 1993

- Momo, Deutschland, Italien 1987

- Der Omega - Mann, USA

- Planet der Affen, USA 1967

- Radioactive Dreams, USA 1986

- Das siebte Zeichen, Deutschland

- Soylent Green, USA 1973

- Der Tag danach, USA 1983

- Terminator I, USA

- Terminator II, USA

- Die unendliche Geschichte, Deutschland 1983

- Wargames, USA 1982

- Zu spät - die Bombe fliegt, England 1985

VIII.3 Namensverzeichnis

Alpert, Richard 95

Anselm von Canterbury (1033 - 1109) 19, 23

Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) 17, 19, 36, 63, 87, 105, 117, 127, 134

Augustinus, Aurelius (354 - 430) 23f., 35

Bacon, Francis (1561 - 1626) 20, 23, 38,40, 93, 117

Bakunin, Michail (1814 - 1876) 31, 119f.

Baudelaire, Charles (1821 - 1867) 8, 94

Becquerel, Henry (1852 - 1908) 71

Bentham, Jeremy (1748 - 1832) 116

Bergson, Henri (1859 - 1941) 126

Beuys, Joseph (1921 - 1986) 96

Bloch, Ernst (1885 - 1977) 120

Bohr, Niels (1885 - 1962) 13

Böll, Heinrich (1917 - 1985) 93

Bosch, Hieronymus (ca. 1450 - 1516) 94

Bouillon, Gottfried v. (gest. ca. 1100) 35

Buber, Martin (1878 - 1965) 23

Bukowski, Charles (1920 - 1993) 95

Bulwer - Lytton, Edward George (1803 - 1873) 45

Burroughs, William S. 95

Byron, George Noël Gordon Lord (1788 - 1824) 94

Cage, John (*1912) 98

Canetti, Elias (*1905) 46

Capra, Fritjof 14, 84

Chirac, Jacques René (*1932) 71

Cicero, Marcus Tullius (106 - 43 v. Chr.) 33, 37

Cioran, E.M. 15, 58, 93, 109, 135f.

Clarke, Arthur C. 98

Condorcet, Antoine (1743 - 1794) 43, 116

Crowley, Aleister - eigtl. Edward Alexander Crowley (1875 - 1947) 25

Curie, Marie (1867 - 1934) 71

Curie, Pierre (1859 - 1906) 71

Dali, Salvador (1904 - ) 96

Darwin, Charles (1809 - 1882) 20, 23

De Quincey, Thomas (1785 - 1859) 94

Derrida, Jacques 122, 128

Descartes, René (1596 - 1650) 20, 23, 107

Deschner, Karl - Heinz 33f.

Diogenes von Sinope (ca. 412 - ca. 323 v. Chr.) 86 - 92, 99, 103, 118f.

Diogenes Laërtius (3. Jhd. n. Chr.) 86, 90

Ditfurth, Hoimar v. (*1921) 73

Drugpa Künleg (1455 - 1570) 90 - 92

Duchamp, Marcel (1887 - 1968) 96f.

Duns Scotus, Johannes (1265 - 1308) 23, 36

Dvorak, Antonin (1841 - 1904) 98

Eckart, Meister Eckart (ca. 1260 - 1327) 11, 15

Einstein, Albert (1879 - 1955) 12 - 14, 101, 126

Engels, Friedrich (1820 - 1895) 20, 88

Erasmus von Rotterdam,

eigtl. Gerhard Gerhards (1465/66 - 1536) 37 - 39, 42

Feuerbach, Ludwig (1804 - 1872) 22

Fichte, Johann Gottlieb (1762 - 1814) 46

Freud, Sigmund (1856 - 1939) 50, 56

Galilei, Galileo (1564 - 1642) 20, 34

Gauguin, Paul (1848 - 1903) 52

Geiger, Hans (1882 - 1945) 66, 72

Ginsberg, Allen (*1926) 95

Goethe, Johann Wolfgang von (1749 - 1832) 20, 124

Greene, Graham (*1904) 95

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von (ca. 1625 - 1676) 94

Hahn, Otto (1879 - 1968) 68f.

Händel, Georg Friedrich (1685 - 1759) 98

Hanslick, Eduard (1825 - 1904) 98

Hartmann, Eduard von (1842 - 1906) 8, 15, 50 - 53, 58, 67

Hartmann, Nicolai 126, 127

Hawking, Steven 13, 22, 100

Heartfield, John - eigtl. Helmut Herzfeld (1891 - 1968) 64

Hegel (1770 - 1831) 11, 40, 44, 46, 51

Heidegger, Martin (1889 - 1976) 102, 123f.

Heisenberg, Werner (1901 - 1976) 69, 100, 126

Hesiod (8. Jhd. v. Chr.) 30

Hitler, Adolf (1889 - 1945) 40, 67

Holbach, Paul Heinrich Dietrich Baron v. (1723 - 1789) 42 - 44, 46

Hölderlin, Johann Christian Friedrich (1770 - 1843) 58

Hugo, Victor (1802 - 1885) 45

Humboldt, Wilhelm von (1767 - 1835) 44, 134

Hume, David (1711 - 1776) 20

Jaspers, Karl (1883 - 1969) 12 - 14, 24

Joyce, James (1882 - 1941) 94

Jungk, Robert - eigtl. Robert Braun (*1913) 67

Kant, Immanuel (1724 - 1804) 8 - 11, 16f. , 23 - 26, 41, 43, 56

Kerouac, Jack (1922 - 1969) 95

Klages, Ludwig (1872 - 1956) 56

Konfuzius (551 - 479 v. Chr.) 118

Kotzwinckle, William 95

Kropotkin, Peter Fürst (1842 - 1921) 119

Krug, Wilhelm 8, 132, 135

Lactantius 37

Leary, Timothy Francis (1920 - 1996) 97

Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646 - 1716) 9, 11, 16 - 25, 27, 40f., 44 - 46, 48, 82, 109, 113

Lem, Stanislaw (*1921) 109

Leonardo da Vinci (1452 - 1519) 97

Ligeti, György (*1923) 98

Liszt, Franz (1811 - 1886) 98

Locke, John (1632 - 1704) 20

Ludlow, Fitz Hugh (1836 - 1870) 94

Machiavelli, Niccolo (1469 - 1527) 37f., 77

Mahavira (um 500 v. Chr.) 26

Maistre, Joseph Marie Comte de (1753 - 1821) 53

Malthus, Thomas Robert (1766 - 1834) 116

Mandeville, Bernard de 63

Man Ray 96

Marx, Karl (1818 - 1883) 20, 88, 90;119, 120, 125

Maugham, William Somerset (1874 - 1965) 25

Mead, George Herbert 135

Meslier, Jean, Abbé (1684 - 1729) 41f., 45

Meyrink, Gustav (1868 - 1932) 11

Mill, John Stuart (1806 - 1873) 116

Montaigne, Michel Eyquem de (1533 - 1592) 37 - 39, 43

Morus, Thomas (1478 - 1535) 23, 37

Mozart, Wolfgang Amadeus (1756 - 1791) 98

Newton, Sir Isaac (1643 - 1727) 9, 11

Nietzsche, Friedrich (1844 - 1900) 8, 10, 14 - 16, 24 - 27, 54, 64,

82, 87f., 93, 95, 104, 118, 123

Ockham, Wilhelm von (1290 - 1349) 36, 40

Oppenheimer, J. Robert (1904 - 1967) 67, 75, 85f.

Peirce, Charles Sanders (1839 - 1914) 135

Philipps, John Aristotle 79 - 81

Pico della Mirandola, Giovanni (1463 - 1494) 37

Platon (427 - 347 v. Chr.) 19, 23, 33, 36, 40, 63, 87f., 91

Popper, Sir Karl Raimund (*1902) 135

Pynchon, Thomas (*1937) 95

Pythagoras (ca. 570 - 497 v. Chr.) 134

Ramakrishna (1834 - 1886) 11, 48

Rimbaud, Jean Arthur (1854 - 1891) 8

Röntgen, Wilhelm Conrad (1845 - 1923) 71, 73

Rousseau, Jean - Jacques (1712 - 1778) 27, 43f., 63, 94

Russel, Lord Bertrand (1872 - 1970) 75, 90

Rutherford, Ernest (1871 - 1937) 13

Sacharow, Andrej (*1921) 75

Sade, Donatiën Alphonse Francois, Marquis de (1740 - 1814) 49f.

Salomo (10. Jhd. v. Chr.) 114f.

Sartre, Jean Paul (1905 - 1980) 93, 129, 135f.

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph v. (1775 - 1854) 44, 46, 51

Schleiermacher, Friedrich (1768 - 1834) 44

Schopenhauer, Arthur (1788 - 1860) 15 - 17, 21f., 24 - 27, 46 - 53,

58, 64, 131

Schrödinger, Erwin (1887 - 1961) 126,134

Schweitzer, Albert (1875 - 1965) 25f., 70f., 75

Serner, Walter (1889 - 1942) 52

Shaw, George Bernard (1856 - 1950) 31

Shelley, Mary (1797 - 1851) 31f.

Shelley, Percy Bysshe (1792 - 1822) 31

Sloterdijk, Peter 10, 86f., 89f., 103, 118, 133

Smetana, Friedrich (1824 - 1884) 98

Sokrates (ca. 470 - 399 v. Chr.) 33, 88, 102, 126

Spinoza, Baruch de (1632 - 1677) 13, 19f., 63

Stalin, Josef Wissarionowitsch,

eigtl. Dschugaschwili (1879 - 1953) 79

Stirner, Max - eigtl. Kaspar Schmidt - (1806 - 1856) 11, 14, 88, 93, 119, 135

Stockhausen, Karl - Heinz (*1928) 98

Sue, Eugene (1804 - 1857) 45

Szilard, Leo 67

Teilhard de Chardin, Pierre (1881 - 1955) 23, 57, 125

Teller, Edward (*1908) 75

Thomas von Aquin (1225 - 1274) 42, 118

Truman, Harry (1884 - 1972) 68, 85

Vivaldi, Antonio (1678 - 1741) 98

Voltaire - eigtl. Francois Marie Arouet (1694 - 1778) 17f., 20f., 27, 40, 42, 44f., 52

Wagner, Richard (1813 - 1883) 31, 98

Weizsäcker, Carl Friedrich von (* 1912) 69

Wilde, Oscar (1854 - 1900) 94

Williams, Paul 24, 57

Xenophanes (570 - 477 v. Chr.) 32

VIII.4 Literatur

1. Advaita Ashrama (Editors): Teachings of Sri Ramakrishna.

Calcutta 1985

2. Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius: De occulta Philosophia. Drei Bücher über die Magie. Nördlingen 1987

3. Arasse, Daniel: Die Guillotine. Die Macht der Maschine und das Schauspiel der Gerechtigkeit. Reinbek bei Hamburg 1988

4. Ascher, Paul: Ende der Moral in einer rationalisierten Welt?

In: Sprenger, Reinhard (Hrsg.): Fortschritt wozu und wohin?

Paderborner Hochschulschriften. Sektion: Studium generale, Band 1.

Paderborn 1976, S.27 - 55

5. Bahr,Hans - Eckehard (Hrsg.): Von der Armee zur europäischen Friedenstruppe. München 1990

6. Bailey, Alice A.: Eine Abhandlung über kosmisches Feuer. Genf 1958

7. Baigent, Michael; Leigh, Richard; Lincoln, Henry: The Holy Blood and the Holy Grail. London 1983

8. Bakunin, Michail: Philosophie der Tat. Auswahl aus seinem Werk.

Köln 1968

9. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.): Strahlenhygienischer Jahresbericht 1988 zur Umgebungsüberwachung kerntechnischer Anlagen in Bayern. München 1991

10. Behler, Ernst: Derrida - Nietzsche, Nietzsche - Derrida. München, Paderborn, Wien, Zürich 1988

11. Bellebaum, Alfred: Soziales Handeln und soziale Normen.

Paderborn 1983

12. Beltz, Walter: Die Mythen der Ägypter. Herrsching 1990

13. Bergson, Henri: Metaphysik als Intuition und Erfahrung, in: Taurek, Bernhard: Französische Philosophie im 20. Jahrhundert. Analysen, Texte, Kommentare. Reinbek bei Hamburg 1988, S.47 - 55

14. Birnbacher, Dieter (Hrsg.): Ökologie und Ethik. Stuttgart 1991

15. Bloch, Arthur: Gesammelte Gründe, warum alles schiefgeht, was schiefgehen kann! Murphy's Gesetze in einem Band. München 1985

16. Blumer, Herbert: Der methodologische Standpunkt des symbolischen Interaktionismus. In: Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd.1. Reinbek bei Hamburg 1973

17. Buber, Martin: Zur Verdeutschung der Preisungen. Beilage zu dem Werk Das Buch der Preisungen. Heidelberg 1982

18. Bundesumweltministerium (Hrsg): Umweltpolitik. Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 1992. Bonn 1992

19. Burdach, Konrad: Der Gral. Forschungen über seinen Ursprung und seinen Zusammenhang mit der Longinuslegende. Darmstadt 1974

20. Canetti, Elias: Masse und Macht. Frankfurt/Main 1985

21. Capra, Fritjof: Das Tao der Physik. Die Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie. Bern, München, Wien 1986

22. Cioran, E.M.: Das Buch der Täuschungen. Frankfurt/Main 1990

23. Cleary, Thomas (Hrsg.): I Ging. Das Buch der Wandlungen.

Zürich 1995

24. Deschner, Karl - Heinz: Vom Belügen der Leute - Ein Vorwort, in: Kuckertz, Beate (Hrsg.): Gottes Lohn. Die Kirche und ihre ungehorsamen Diener. München 1992, S.8 - 23.

25. Diogenes Laërtius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen.

Hamburg 1967

26. Ditfurt, Hoimar von: So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit. München 1985

27. Dowman, Keith: Der heilige Narr. Das liederliche Leben und die lästerlichen Gesänge des tantrischen Meisters Drugpa Künleg. Bern und München 1984

28. Drewermann, Eugen: Strukturen des Bösen. Bd. III. Paderborn 1978

29. Ebersberger, Ludwig: Der Mensch und seine Zukunft. Natur - und Humanwissenschaften nähern sich dem Weltverständnis von Teilhard de Chardin. Olten und Freiburg im Breisgau 1990

30. Eckhart, Meister: Predigt 48: Von der Einheit mit Gott. In: Flasch, Kurt (Hrsg.): Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd.2: Mittelalter. Stuttgart 1985, S. 452 - 455.

31. Einstein, Albert: Worte in Zeit und Raum. Herausgegeben und eingeleitet von Sigurd M. Daecke. Freiburg i. Br. 1991

32. Flor, Georg: Gottesgnadentum und Herrschergnade. Über menschliche Herrschaft und göttliche Vollmacht. Köln 1991

33. Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München 1979

34. Glasenapp, Helmut(Hrsg.): Bhagavadgita. Stuttgart 1955

35. Gräser, Arthur Gusto: TAO. Das heilende Geheimnis.

Schelklingen 1979

36. Gressmann, Hugo(Hrsg.): Altorientalische Texte zum alten Testament. Berlin und Leipzig 1926

37. Günther, Horst: Montaigne. Ein Essay von Horst Günther mit zeitgenössischen Abbildungen. Frankf./Main und Leipzig 1992

38. Hawking, Steven: Eine kurze Geschichte der Zeit.

Stuttgart, München 1988

39. Hildebrand, Tim: Rotwang, oder die irre Präzision der Träume.

Basel 1980

40. Horstmann, Ulrich: Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Wien - Berlin 1985

41. Jansohn, Heinz: Ethik von heute - Metaphysik von gestern? Anmerkungen zur philosophischen Begründung des Prinzips Verantwortung bei Hans Jonas, in: Trierer Theologische Zeitschrift,

Heft 3 - 1995

42. Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens.

München 1965

43. ders.: Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens. Berlin - New York 1981

44. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/Main 1984

45. ders.: Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung. Frankfurt/Main 1988

46. Jünger, Ernst: Über die Linie. Frankfurt/Main 1952

47. ders.: Das abenteuerliche Herz. Erste Fassung. Stuttgart 1987

48. Jungk, Robert: Heller als tausend Sonnen. Bern, Stuttgart, Wien 1956

49. Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft. Leipzig 1928

50. ders.: Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Leipzig 1904

51. ders.: Der Streit der Fakultäten und kleinere Abhandlungen, Werke Bd.6. Köln 1995

52. Kierkegaard, Sören: Der Begriff Angst. München 1991

53. Kronhauer, Ulrich: Vom Nutzen und Nachteil des Mitleids.

54. Kropotkin, Peter: Der Anarchismus. Ursprung, Ideal und Philosophie.

Grafenau/Württ. 1994

55. Krug, Giulielmi: Systema philosophiae criticae. Tomus I, Vienna 1820

56. Kunzmann, Peter; Burkard, Franz - Peter ; Wiedmann, Franz:

dtv - Atlas zur Philosophie. Tafeln und Texte. München 1995

57. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Hamburg 1968

58. ders.: Monadologie. Stuttgart 1994

59. Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankf./Main 1976

60. Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft.

61. Mi - la - ras - pa : Milarepas gesammelte Vajra - Lieder = Mila’i mGur ‘bum. Niedergeschrieben von Tsang Nyön Heruka. Aus dem Tibet. übers. von Henrik Havlat. Berlin 1996

62. Mowat, Farley: Der Untergang der Arche Noah. Vom Leiden der Tiere unter den Menschen. Reinbek bei Hamburg 1990

63. Muchembled, Robert: Die Erfindung des modernen Menschen. Gefühlsdifferenzierung und kollektive Verhaltensweisen im Zeitalter des Absolutismus. Reinbek bei Hamburg 1990

64. Murphy, Joseph: Die unendliche Quelle Ihrer Kraft. Ein Schlüsselbuch des positiven Denkens. Genf 1981

65. Neill, Alexander Sutherland: Das Prinzip Summerhill: Fragen und Antworten. Argumente, Erfahrungen, Ratschläge.

Reinbek bei Hamburg 1990

66. ders.: Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Das Beispiel Summerhill. Reinbek bei Hamburg 1991

67. Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. München 1984

68. ders.: Ecce Homo. In: Das Hauptwerk, Bd.IV. München 1995

69. ders.: Fröhliche Wissenschaft. In: Das Hauptwerk, Bd.II.

München 1995

70. ders.: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. In: Also sprach Zarathustra. München 1984

71. ders.: Jenseits von Gut und Böse. In: Das Hauptwerk, Bd. III.

München 1995

72. ders.: Menschliches, Allzumenschliches. In: Das Hauptwerk, Bd.I.

München 1995

73. ders.:Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile. In: Das Hauptwerk, Bd.II. München 1995

74. Ohler, Norbert: Sterben und Tod im Mittelalter. München 1990

75. Pasolini, Pier Paulo: Freibeuterschriften. Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft. Berlin 1984

76. Peirce, Charles Sanders: Die Festigung der Überzeugung und andere Schriften. Baden - Baden 1965

77. Ranke - Heinemann, Uta: Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität. Stuttgart - München 1988

78. Rousseau, Jean - Jacques: Emil oder Über die Erziehung.

Paderborn 1987

79. Russel, Bertrand: Lob des Müßiggangs. Wien/Hamburg 1957

80. Sade, Donatiën Marquis de : Gesammelte Werke. Flensburg 1992

81. Sartre, Jean - Paul: Den Menschen erfinden. Ein Lesebuch.

Reinbek bei Hamburg 1986

82. Scheurmann, Erich (Hrsg.): Der Papalagi. Die Reden des Südsee - Häuptlings Tuiavii aus Tiavea. Zürich 1985

83. Schirnding, Albert v. (Hrsg.): Hesiod: Theogonie. Werke und Tage.

München 1991

84. Schmökel, Hartmut (Hrsg.): Das Gilgamesch - Epos. Hannover 1966

85. Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung . Band 1. Stuttgart 1990

86. ders.: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band 2. Stuttgart 1993

87. Schweitzer, Albert: Friede oder Atomkrieg? Vier Schriften.

München 1984

88. ders.: Gelebter Glaube. Ein Lesebuch. Berlin 1964

89. Scott, George Ryley: The History of Torture throughout the Ages.

London, New York 1954

90. Serner, Walter: Letzte Lockerung. manifest dada. Leipzig / Wien / Zürich 1920. 62. - 64 Band der Sammlung Die Silbergäule

91. Sheldrake, Rupert: Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes. München 1984

92. Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft. Band 1.

Frankfurt/Main 1985

93. ders.: Kritik der zynischen Vernunft. Band 2. Frankfurt/Main 1985

94. Stern, Robert (Editor): G.W.F. Hegel. Critical Assessments. Vol. IV - Hegel's Philosophy of Nature and Philosophy of Spirit.

London and New York 1993

95. Stirner, Max : Der Einzige und sein Eigentum. Stuttgart 1991

96. Stirner - Nietzsche Kreis (Hrsg.): Osiris Philosophos. Präsentation 38 der interantinationalen Stirner & Nietzsche Machtwächter, März 107. Troisdorf 1996

97. Teilhard de Chardin, Pierre: Der Mensch im Kosmos. München 1983

98. Thomas von Aquin: Über die Herrschaft der Fürsten. Stuttgart 1971

99. Umweltbundesamt (Hrsg.): Völkerrechtliche Vereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiete des Umweltschutzes.

Berlin 1989

100. Vinke, Hermann (Hrsg.): Als die erste Atombombe fiel... Kinder aus Hiroshima berichten. Ravensburg 1982

101. Voltaire: Candide and other tales. Translated by Tobias Smollett and revised by James Thornton. With an Introduction and Appreciation by Christine North. Geneva o.J.

102. ders.: The Best Known Works of Voltaire. New York 1927

103. Weizsäcker, Carl Friedrich: Das Carl Friedrich von Weizsäcker Lesebuch. München 1992

104. Williams, Bernard: Der Begriff der Moral. Eine Einführung in die Ethik.

Stuttgart 1994

105. Williams, Paul: Lass Los. Basel 1991